Was für ein verlockender und zugleich beängstigender Gedanke: die Verschmelzung des Menschen mit digitalen Geräten oder KI zu einem neuen Wesen, das viel mehr vermag und viel perfekter ist als der Mensch für sich. Diese Idee und ihre Folgen beflügelten die Fantasie von Autor*innen und Denker*innen seit jeher, erlebte aber eine erste Hochblüte ab dem 19. Jahrhundert mit seinen vielversprechenden technologischen Fortschritten – denken wir etwa an literarische Beispiele wie Mary Shelleys Monster Frankenstein oder E. T. A. Hoffmanns Automatenfrau Olimpia. Im Näherrücken der ersten Mondfahrt in den 1960er-Jahren rückten Vorstellungen weltalltauglicher und hochtechnisierter Mensch-Maschine-Wesen nach und das Gedankenkonstrukt Cyborg (Kurzform für „Cybernetic Organism“) wurde von den Wissenschaftlern Manfred E. Clynes und Nathan S. Kline erschaffen. Im Bereich der Popkultur entstanden im Weiteren auch positiv besetzte Utopien der Verschränkung Mensch/Maschine wie etwa die fantastische schillernde Cyborgfigur „Ziggy Stardust“, David Bowies Alter Ego.
Die Vorstellung eines Menschen, der mit fortschrittlicher Technologie und erweiterten Möglichkeiten ausgestattet ist, war immer schon ein Wesen, das sich in unterschiedlichen Milieus wohlfühlte. Die feministische Theoretikerin Donna Haraway schuf 1985 mit ihrem Cyborg-Manifest ein Gründungsdokument des Cyberfeminismus, der sich mit den Möglichkeiten eines Mensch-Maschine-Wesens beschäftigte. Die Vielzahl von Rollen inklusive der Dekonstruktion der Geschlechternormen, aber auch jene von Klasse und Rasse trug zum Faszinosum dieser Denkfigur bei. Haraway war sich damals bereits bewusst, dass ökonomische Vereinnahmung der Technologien immer auch eine reale Bedrohung der neu gewonnenen Freiheiten bedeutete.
Die Kulturwissenschaftlerin Karin Harrasser sagt: „Die Cyborg ist weder das eine noch das andere: weder technisch noch natürlich, weder Einzelwesen noch Kollektiv, weder männlich noch weiblich. Aber sie ist mehr als die Summe ihrer Teile und ermöglicht deshalb vielleicht auch neue Sozialformen und politische Praktiken.“ Damit ist erklärt, warum eine Vielzahl von Gruppen und Personen sich auch für eine körperliche Allianz mit Technologie interessiert: Feminist*innen, Transgenderpersonen, Menschen mit gesundheitlichen Problemen oder Behinderungen, aber auch jene, die neugierig sind und mit neuen Möglichkeiten ihre Sinne und Wahrnehmungen schärfen möchten – wie etwa Künstler*innen oder das Militär.
WIr haben unsere Cyborg-existenz auf holprigem untergrund gebaut.
Katta Spiel,
FWF-Hertha-Firnberg-Postdoc an der HCI Group der Technischen Universität Wien
Wir Cyborgs. Fantasien und Realität der Verbindung zwischen Mensch und Technologie haben sich verändert, aber vieles von den Konstrukten der 1980er- und 1990er-Jahre ist heute, 30 oder 40 Jahre später, alltäglich gelebte Realität geworden. Wir akzeptieren unsere Wearables wie Smartphones, Airpods, Smartwatches, unsere Apps, aber auch unsere medizinischen Hilfsmittel und Prothesen als Teil unserer selbst. Unser Alltag lässt sich manchmal schwer oder kaum ohne digitale Geräte denken. Allerdings gehören zu unserem Alltag die hilfreichen und vergnüglichen Seiten genauso wie die Fehleranfälligkeiten von Apps, Sensoren oder Geräten, die unser Leben eigentlich verbessern sollen.
Hinzu kommt der Aspekt der Überwachung, sehr plastisch in Ridley Scotts dystopischem Film „Blade Runner“ von 1982. Weniger dramatisch erleben wir jedoch heute das meist unbemerkte Sammeln unserer Userdaten durch verwendete Apps: Interessen, Einkaufsgewohnheiten, Kinder, Alter, Krankheiten, Vorlieben, Hobbys, Freund*innen, Gewohnheiten und vor allem auch unsere Bildungs- und Einkommensschicht – wir bemerken oft erst dann, dass wir unter Beobachtung stehen, wenn wir mit mehr oder weniger zu unserer Person passender Werbung konfrontiert werden.
Neben der Bezeichnung Cyborg hat sich ein weniger schillernder Begriff etabliert: Heute wird für die körperliche Verbindung von Mensch und Technologie öfter von Transhumanismus gesprochen. Diese internationale Bewegung geht davon aus, dass die nächste Evolutionsstufe der Menschheit durch die Fusion mit Technologie bevorsteht. Ein bekannter Vertreter der Transhumanismusbewegung ist der Künstler Neil Harbisson, der sich bereits 2004 einen Sensor implantieren ließ, der Farben in Töne übersetzt. Sichtbar ist die Vorrichtung durch eine nach vorne gerichtete Antenne mit Kameraauge. Er fühle sich als Cyborg, seit er aufgehört habe, den Unterschied zwischen der Software und seinem Gehirn zu spüren, sagt Harbisson. Es ginge also um das Gefühl einer Verbindung zwischen Kybernetik und seinem Organismus. Harbisson konnte übrigens für sich durchsetzen, dass er einen gültigen Pass mit diesem Implantat bekommt, und wurde damit zum amtlich anerkannten Cyborg.
Cyborg konkret: Nachgefragt bei TUW-Expert*innen. Wir sind nun aber ganz konkret der Frage nachgegangen, inwieweit wir eingedenk unserer massiven Verflechtung mit der digitalen Welt nicht bereits alle Cyborgs oder Transhumans geworden sind, und was Expert*innen der TU Wien dazu sagen. Wir haben Forscher*innen gefragt, die sich mit der Entwicklung, aber auch in der Auseinandersetzung mit ethischen und theoretischen Fragen der Technikfolgenabschätzung befassen.
Katta Spiel vom Institut für Human Computer Interaction und Hannes Kaufmann, Leiter des Forschungsbereichs Virtual and Augmented Reality, haben sich auf Gespräche mit offenem Ausgang eingelassen und sind
trotz ihrer unterschiedlichen Schwerpunkte zu überraschend ähnlichen Einschätzungen gekommen.
Hannes Kaufmann kennt die Möglichkeiten der Virtual Reality wie kaum ein anderer und weiß um die neuesten Entwicklungen kurz vor dem Durchbruch. Im Gespräch erzählt er darüber – etwa, dass aktuell an Kontaktlinsen gearbeitet wird, die externe Geräte wie VR-Brillen ersetzen werden, dass also virtuelle Inhalte direkt am Auge ausgespielt werden und damit ein Stück weiter real werden. Noch sei es nicht so weit, da ein wesentliches Problem noch nicht gelöst sei: Jede Art von Schaltkreis erzeuge Wärme, erklärt Kaufmann, und das führe zu Komplikationen. In seiner eigenen Forschung beschäftigt Kaufmann sich auch mit anderen faszinierenden Dingen wie der Simulation von haptischen Eindrücken. So kann er uns über den Sehsinn virtuell glauben machen, dass wir eine kuschelige Wand aus Samt berühren und nicht glatten Beton.
Kaufmann ist überzeugt, dass nicht nur die transhumanistische Bewegung, sondern etwa auch die Gaming-Community und andere bereit sind, sehr weit zu gehen – also auch bereit sind, Körpergrenzen zu überschreiten, wenn die Technologie entsprechende Anwendungen anbietet. Er rät zur Vorsicht und gibt zu bedenken, dass wir im Umgang mit dieser Technologie immer auch an die schweren Folgen denken sollten, die ein unbekümmerter Umgang verursachen könne. Das hört sich erst mal wie eine große Spaßbremse an, aber auch Katta Spiel stimmt hier zu.
Aufwachen statt träumen. Katta Spiel forscht zu den Wechselbeziehungen zwischen Mensch und Computer und bewegt sich auch in der Forschung an der Schnittstelle zwischen Kulturwissenschaft und Informatik. Spiel hat im Gespräch medizinischen Anwendungen großen Raum gegeben. Sie zieht eine Trennlinie zwischen medizinischer
bzw. lebenserhaltender Notwendigkeit und anderen Anwendungen der Mensch-Maschine-Technologien: Hochtechnisierte Prothesen, Insulinpumpen oder Sensoren helfen Menschen, am Leben zu bleiben – Spiel unterscheidet dabei streng, ob Menschen die Verwendung einer Technologie frei wählen können oder ob sie lebenserhaltend – also ein Muss – für Betroffene ist.
Katta Spiels Appell: „Führen wir die Diskussion über unsere Verflechtung mit Technologie und Transhumanismus gründlich!“ Für Spiel ist es verständlich, dass uns oft die schillernden Aspekte der Technologie und ihre Verheißungen am meisten interessieren. Aber, so Spiel, „wir haben unsere Cyborg-Existenzen auf richtig holprigem Untergrund gebaut“, das komme immer wieder dramatisch zum Vorschein. „Die Frage, was das ändert, wenn wir Technologien in bestimmten Kontexten einsetzen, und ob wir das wollen, wird nicht oft genug gestellt“, so Spiel. Vielmehr solle man
in die Tiefe schauen, Konstellationen und ihre Effekte untersuchen.
Ähnlich formuliert es auch Hannes Kaufmann: Er kritisiert, dass die Folgen von Technologie selten bedacht werden und von politischer Seite meist viel zu spät reagiert würde. Als Beispiel dafür nennt er den Internetboom der 1990er, der unsere Gesellschaft radikal verändert und zu schwerwiegenden gesellschaftlichen Folgen geführt habe (etwa, wenn es um Entwicklungen wie Cybermobbing gehe). Kaufmann sieht die Politik aufgerufen, rechtliche Rahmen bereitzustellen – etwa im Bereich von Implantaten.
Kaufmann ist es für seine eigene Forschung wichtig, dass sie den Menschen wirklich zugutekommt – und nicht rein kommerziellen Interessen folgt. So arbeitet er etwa daran, Real-Time-Simulationen für Feuerwehr- oder Rettungsleute zu entwickeln, damit diese ihre Einsätze virtuell vorbereiten können.
Die Zukunft des Cyborgs. Wie sieht nun die Science-Fiction der Science-Fiction-Figur Cyborg aus? Katta Spiel ist angesichts der schlimmer werdenden Klimakatastrophe pessimistisch gestimmt, wie unsere Zukunft in 100 oder 200 Jahren aussieht, und sieht voraus, dass einige wenige privilegierte Menschen sich Hightech zum Schutz ihres Lebens in einer klimaerhitzten Umwelt leisten werden können. Aber eine Utopie entwickelte Spiel dann doch: die Idee eines Körpers, der nicht mehr als Individuum gedacht wird, sondern als sozialer Körper. Katta Spiels Cyborg der Zukunft ist also ein kollektiver und sozialer Cyborg, der uns dabei unterstützt, das immer bedrohlicher werdende Szenario der Klimaerhitzung und anderer Umweltprobleme zu lösen – ein schöner Vorschlag, den wir unbedingt verfolgen sollten.
Text: Edith Wildmann
Foto: TU Wien
Illustration: Jan Siemen