Ousa Chea/Unsplash

WAS IST WISSENSCHAFT?

„Die Wissenschaft ist eine wunderbare Sache“, sagte Albert Einstein einst, „wenn man nicht seinen Lebensunterhalt damit verdienen muss.“ Die Wissenschaft ist außerdem eine wunderbare Sache, wenn man nicht erklären muss, was sie eigentlich ist. Doch genau wie Einstein probieren wir es dennoch – und wollen eine Erklärung dieser Disziplin verfassen, die schon die Philosophen Aristoteles und Platon beschäftigte.

Text: Lela Thun Foto: Ousa Chea/Unsplash

Laut Wörterbuch ist die Sache klar: Das Wort „Wissenschaft“ bezeichnet die Gesamtheit des menschlichen Wissens, der Erkenntnisse und der Erfahrungen einer Zeitepoche, welches systematisch erweitert, gesammelt, aufbewahrt, gelehrt und tradiert wird. Folglich gibt es die Wissenschaft schon seit Anbeginn der Menschheit, sie wurde seither immer unter den Generationen weitergegeben. All das, was die Menschheit in den letzten Jahrtausenden ihrer Existenz gesehen, erfahren, getestet und gelernt hat, vereint sich somit in dem Wort Wissenschaft. Das ist natürlich eine ganze Menge, die sich kein einzelner Mensch in seiner gesamten Lebenszeit aneignen kann. Was der Mensch jedoch kann, ist Dinge zu ordnen und zu unterteilen – und so teilte bereits der Philosoph Aristoteles im 4. Jahrhundert vor Christus diesen großen Bereich Wissenschaft in einzelne Teilgebiete.

Grundsätzlich wird zwischen praktischer, herstellender und theoretischer Wissenschaft unterschieden. Zur praktischen Wissenschaft zählen (laut Aristoteles) Ethik, Rhetorik und Politik, während zur herstellenden Wissenschaft Handwerk, Medizin und Dichtung gehören. Die theoretische Wissenschaft wird in Philosophie, Mathematik und Naturforschung unterteilt, wobei jede Subkategorie weitere Unterkategorien hat. Bis heute spiegelt sich diese Aufteilung in den Universitätsfächern wider. Doch bereits vor dieser Unterteilung gab es Wissenschaft – angefangen mit den Priestern in Ägypten und Mesopotamien, die bereits unter Beobachtung der Himmelskörper die Länge eines Jahres bestimmen und so günstige Jahreszeiten für die Ernte und das Pflanzen von Obst und Gemüse errechnen konnten. Später, in der griechischen Antike, wurde Platons Akademie der Wissenschaft gegründet. Damals wurden die philosophischen Grundlagen für die heutige Wissenschaft gelegt. Die Gründung der ersten Universitäten passierte dann im Mittelalter. Durch die Renaissance, die Wiedergeburt der Antike, konnte die Wissenschaft schließlich auch von der Religion gelöst werden. Zur selben Zeit wurde der Buchdruck erfunden, was die Verbreitung von Wissen erleichterte. Vieles von den Erkenntnissen dieser Zeit wird bis heute in den Schulen gelehrt. So gilt die Ablösung des geo­zentrischen Weltbilds durch das heliozentrische Weltbild in Johannes Keplers Ausprägung als eine der wichtigsten Entwicklungen der Historie, und im 18. Jahrhundert entwarf Sir Isaac Newton die Grundsätze der Bewegungslehre, welche heute noch in jedem Lehrbuch der Mechanik zu finden sind.

DOCH WISSENSCHAFT IST VIEL mehr als nur die Ansammlung von menschlichem Wissen, sie ist auch eine Tätigkeit. Betreibt man Wissenschaft, versucht man, die Weisheiten des Universums vorherzusehen, zu organisieren und zu testen. Diese Tatsache geht weit über die wissenschaftliche Arbeit an Universitäten hinaus, sondern betrifft jeden Menschen. Wenn ein großer Teil der Bevölkerung die Ursprünge und Zusammenhänge unserer wissenschaftlichen Arbeit, die auf Fakten und getesteten Ideen beruht, versteht und akzeptiert, so kann der Einzelne bessere Entscheidungen für die eigene Zukunft treffen. In den frühen Jahren unserer Existenz ließen wir uns oft von Intuition und Glaubenssystemen leiten. So sieht das auch Magdalena Skipper, Chefredakteurin der Fachzeitschrift Nature : „Ich denke an Wissenschaft als großartiges Werkzeug und als System, das uns die Welt um uns herum erklärt; ein Werkzeug, das uns hilft, Antworten zu finden, uns aber auch immer neue Fragen zeigt, eines, das unser Verständnis davon schärft, wie wir Teil dieser Welt sind und welche Rolle wir dabei spielen.“

WISSENSCHAFT SCHAFFT NEUES WISSEN, DARAUF LÄUFT ES LETZTENDLICH HINAUS.

Johannes Fröhlich, Vizerektor der TU Wien für Forschung und Innovation

DIE FORSCHUNG IST EIN WICHTIGER TEIL der Wissenschaft. Sie versucht, alte Theorien zu beweisen oder zu widerlegen und schafft neue Blicke auf unsere Umwelt. So sieht das auch Quantenphysiker Peter Zoller: Wissenschaft ist für ihn ein „Dialog mit der Natur; man stellt Fragen und versucht dann, über Experimente Antworten zu bekommen.“ Forschung fängt demnach immer mit einem Problem oder einer (Forschungs-)Frage an. Die Aufgabe von Wissenschaftler*innen ist es, diese Frage zu formulieren und Möglichkeiten zu finden, sie zu beantworten. Welche Methoden dabei benutzt werden, ist egal. Wichtig ist nur, dass der/die Forscher*in zu einer Theorie kommt, die später von anderen Wissenschaftler*innen bestätigt oder widerlegt werden kann. In der Wissenschaft zählt eine These als richtig, wenn sie nicht widerlegt werden kann. Eines der berühmtesten Beispiele dafür ist Albert Einsteins spezielle und allgemeine Relativitätstheorie: Die 1905 bzw. 1916 veröffentlichte Theorie stellte damals alle bisher entwickelten Gesetze rund um das Universum infrage. Bis heute konnte sie nicht falsifiziert werden, ganz im Gegenteil: Viele Vorhersagen, die Einstein vor über hundert Jahren machte, konnten mit modernster Technologie erneut bewiesen werden. Entscheidend ist die fachübergreifende Zusammenarbeit von Wissenschaftler*innen, um Thesen zu widerlegen oder zu beweisen.

Worüber insbesondere in der Coronavirus-Pandemie oft gestritten wird, ist die Rolle von Wissenschaft in der Gesellschaft. Die Wissenschaft und ihre Vertreter*innen werden zunehmend polarisiert wahrgenommen – als Allwissende von der einen, als Idioten von der anderen Seite. Dabei hat die Wissenschaft per se kein Wertegerüst, ist nicht konservativ oder progressiv. Sie will einfach nur die Welt verstehen und Neues entdecken. Dass ihre Ergebnisse auch in die Bevölkerung kommuniziert und transportiert werden müssen, wird zunehmend klar.

DIESEN MEHRWERT für die Gesellschaft streicht auch Johannes Fröhlich, Vizerektor der TU Wien für Forschung und Innovation, heraus: „Wissenschaft schafft neues Wissen, darauf läuft es letztendlich hinaus. Und dieses Wissen materialisiert sich dann in einem Nutzen für die Gesellschaft und für deren Vorankommen. Das ist auch der Grund, warum Universitäten wie wir versuchen, das alles, was aus der wissenschaftlichen Arbeit kommt, auch einen Transfer in die Gesellschaft schafft.“

Die Wissenschaft formt unsere Entwicklung als Menschheit, kreiert, organisiert und erklärt unsere Welt und zeichnet ein Bild von einer möglichen Zukunft. Sie versucht, Ursache und Wirkung mithilfe von Logik und Rationalität zu erklären, und wird geformt durch Menschen, die unsere Welt besser verstehen wollen. Um zum Schluss noch einmal Albert Einstein zu zitieren: „Der Fortgang der wissenschaftlichen Entwicklung ist im Endeffekt eine ständige Flucht vor dem Staunen.“