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VOM KOPF AUF DIE FÜSSE

Mobilität und Klima. Der Verkehr ist und bleibt das Sorgenkind beim Klimaschutz, denn die Emissionen steigen weiter an. Leonore Gewessler hat sich als Klimaschutzministerin jedoch ambitionierte Ziele gesetzt und will diese auch umsetzen. So wie etwa das 1-2-3-Ticket, das noch 2021 kommen soll.

Text: Klaus Fiala Foto: BMK

Der Artikel erschien in der Ausgabe 1–21 „Mobilität“.

Leonore Gewessler hat sich kurz vom Parteitag der Grünen verabschiedet – gerade waren die Abstimmungen zu den Statuten dran –, um mit uns über das Bahnfahren, Flugreisen, das Klima und Mobilität ganz allgemein zu sprechen. Die Klimaschutzministerin hat sich ambitionierte Ziele gesteckt – etwa mit dem 1-2-3-Ticket, das noch 2021 kommen soll, wie Gewessler sagt. Doch bis heute steigen die Emissionen Österreichs im Verkehr an, das Auto steht ganz oben in der „Nahrungskette der Mobilität“, Radfahrer*innen und Fußgänger*innen stehen hinten an. Gewesslers Rezept? Die Mobilität vom Kopf auf die Füße stellen.

Mobilität ist ja ein höchst persönliches Thema. Sie waren kürzlich mit einer Delegation in Rom, davor in Amsterdam. Wie sind Sie denn auf solchen Geschäftsreisen unterwegs?

[Leonore Gewessler]: Ich versuche natürlich, auch im Privaten das zu tun, woran ich politisch arbeite – nämlich, dass es für alle leicht und bequem möglich ist, klimaschonend unterwegs zu sein. Ich war in Rom und Luxemburg mit dem Zug. Ich fahre leidenschaftlich gerne Nachtzug, das ist eine klimafreundliche Fortbewegungsart und ich finde, auch eine sehr schöne, wenn man abends in einer Hauptstadt in den Zug einsteigt und am nächsten Tag in der Früh in einer anderen wieder aussteigt. Wir haben mit den ÖBB in Sachen Nachtzüge ja einen Vorreiter in Europa.

Wie gehen Sie mit Flugreisen um?

[L. G.]: Prinzipiell geht es in der Mobilität darum, es für alle Menschen möglich zu machen, bequem, effizient und leistbar klimaschonend unterwegs zu sein. Das heißt, dass es ganz oft darum geht, die unterschiedlichen Mobilitätsformen sinnvoll zu kombinieren. Auf der Kurzstrecke ist die Bahn eine gute Alternative; auf der Langstrecke, oder wenn es um interkontinentale Verbindungen geht, werden wir aber weiterhin fliegen. Und ja, auch ich werde fliegen.

Sie stehen also hinter den rund 450 Millionen € an Steuergeldern, die die Regierung den Austrian Airlines zur Verfügung gestellt hat?

[L. G.]: Wir haben uns das nicht leicht gemacht. Wir standen damals vor der Entscheidung, die Austrian Airlines in den Konkurs zu schicken oder sie zu unterstützen. Ich habe immer gesagt, dass Zweiteres mit starken Klimaschutzbedingungen verknüpft sein muss. Hätten wir die Austrian Airlines in Konkurs geschickt, hätten Billigstfluglinien übernommen, die sich nicht um den Klimaschutz scheren. Da hätten am Flughafen Wien einfach die Aasgeier übernommen. Wir haben uns daher für die Unterstützung entschieden – eben mit starken Auflagen.

Es gibt an allen ecken der welt menschen, die sich mit dem thema beschäftigen. Der Klimawandel ist die historische aufgabe unserer generation.

Leonore Gewessler, Klimaschutzministerin

Eines Ihrer größten Projekte ist das 1-2-3-Ticket. Sie haben mehrmals betont, zuletzt im Magazin „Das Biber“, dass das Ticket noch dieses Jahr kommen wird. Bleiben Sie dabei?

[L. G.]: Das kommt sicher 2021. Ein Österreich-Ticket steht seit 15 Jahren in den Regierungsprogrammen. Das ist immer wieder von einem ins nächste gewandert. Ich bin angetreten und habe das Ticket zu einem zentralen Projekt gemacht. Wir wollen das Öffi-Fahren zur günstigsten und gescheitesten Alternative für die Menschen machen. Wir bauen Infrastruktur und das Angebot aus und machen das Bahnfahren billiger. Das Ticket kommt zu einem Preis von umgerechnet 3 € pro Tag, also 1.095 € pro Jahr, und gilt für alle öffentlichen Verkehrsmittel in Österreich. Wir haben die Verträge mit fünf Ländern finalisiert, mit den anderen sind wir in finalen Verhandlungen. Das kommt noch 2021  ich möchte die Menschen in Österreich nicht länger warten lassen.

In manchen europäischen Ländern gibt es Versuche mit einem gänzlich kostenlosen öffentlichen Verkehr, etwa in Luxemburg oder Estland. Ist das für Sie auch in Österreich vorstellbar?

[L. G.]: Ich habe mich dazu kürzlich mit meinem Luxemburger Amtskollegen ausgetauscht und mir auch deren Modell angesehen. Er sagt, dass für ihn ganz zentral war, den öffentlichen Verkehr insgesamt zur ersten Wahl für die Menschen im Land zu machen, also das Angebot und die Infrastruktur auszubauen. Erst der dritte Teil ist dann der Preis. Deswegen ist das 1-2-3-Ticket so wichtig, denn damit wird Mobilität für viele Menschen deutlich günstiger.

Aber noch mal: Ist ein kostenloser öffentlicher Verkehr in Österreich für Sie denkbar?

[L. G.]: Ich glaube, das 1-2-3-Ticket ist in Österreich und für die Menschen ein wirklich gutes, unschlagbares Angebot. Jetzt fokussieren wir uns mal darauf.

Wenn man sich mit Stadt- und Verkehrsplaner*innen austauscht, ist der Konsens klar: Wir haben das Auto über Jahrzehnte auf ein Podest gehoben, das ihm nicht mehr gebührt. Wenn das aber so klar ist – warum passiert dann da so wenig?

[L. G.]: Was jedenfalls stimmt, ist, dass der Verkehr beim Klimaschutz unser großes Sorgenkind ist. Im Verkehr sind die Emissionen explodiert, obwohl sie stark hätten sinken müssen. Deshalb müssen wir da jetzt an wirklich vielen Schrauben gleichzeitig drehen. Den öffentlichen Verkehr haben wir schon besprochen, Österreich ist in der Europäischen Union das Bahnland Nummer 1, das wollen wir beibehalten und ausbauen. Aber man muss auch alle Formen der klimafreundlichen Mobilität nach vorne bringen, also auch den Fokus aufs Radfahren und das Zu-Fuß-Gehen legen. Wir haben das Budget dort im letzten Jahr verzehnfacht und wollen Rad- und Fußwege ausbauen – in Städten wie in ländlichen Regionen. Wir brauchen dafür aber Platz und ein Umdenken in der Verkehrsplanung. In ganz Europa passiert da viel, die Innenstädte in Paris, London, Brüssel gehen stark in diese Richtung, weil es einfach mehr Lebensqualität bedeutet, wenn die Menschen wieder Platz haben. Diese Entwicklung kommt. Wir werden weiterhin Auto fahren, müssen aber unser Mobilitätskonzept vom Kopf auf die Füße stellen.

Leonore Gewessler
studierte Politikwissenschaften und Internationale Beziehungen an der Universität Wien. 2008 wurde sie Gründungsdirektorin der Green European Foundation (GEF) in Brüssel, ab 2014 war sie für Global 2000 tätig, zuletzt als politische Geschäftsführerin. Im Jänner 2019 wurde sie als Ministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie angelobt.

Die E-Mobilität ist ja gerade ein riesiges Thema. Sie haben gesagt, dass der letzte Benziner 2040 auf Österreichs Straßen unterwegs sein soll. Bei E-Autos ist das große Thema jedoch die Ladeinfrastruktur. Im Gegensatz zum Tankstellensystem schauen die Autobauer bei der E-Mobilität meist in Richtung öffentliche Hand. Wen sehen Sie denn in der Pflicht?

[L. G.]: Wir sehen, dass das E-Auto in Summe und im Vergleich die klimafreundlichere Variante ist. Deswegen arbeiten wir sehr intensiv daran, der E-Mobilität zum Durchbruch zu verhelfen. Wir haben die Förderungen deutlich erhöht, auf 5.000 €. Im Mai hatten wir mit 12 % Neuzulassungen bei rein elektrischen Autos wirklich einen absoluten Höhepunkt. Das ist mehr als ein Trend, das ist eine Entwicklung, die wir europaweit sehen. Damit uns das aber gelingt, braucht es auf vielen Ebenen begleitende Maßnahmen. Wir sind in Österreich in der Infrastruktur im Europavergleich relativ gut aufgestellt, aber haben auch noch Hausaufgaben zu machen. Deswegen wird die Asfinag im Ausbau des Ladestellennetzes sehr intensiv arbeiten. Wir haben aber auch eine Verantwortung, den gesetzlichen Rahmen zu ändern, damit wir rechtliche Hürden aus dem Weg räumen.
In einem Mehrparteienhaus in Österreich muss aktuell jeder einzelne Miteigentümer zustimmen, selbst wenn man nur eine Steckdose in der Garage anbringen will – erst recht gilt das, wenn man eine Ladestation einrichten will. Deswegen arbeiten wir mit dem Justizministerium an den entsprechenden Änderungen im Wohnungseigentumsgesetz, damit man eben auch diese Entwicklung der privaten Ladeinfrastruktur organisatorisch leichter macht. Wir haben da gerade in der Anfangsphase einen Auftrag.

Was wären diese Änderungen im Wohnungseigentumsgesetz konkret? Würde dann eine einfache Mehrheit bei der Zustimmung der Wohnungseigentümer ausreichen?

[L. G.]: Wir arbeiten gerade an der konkreten Ausgestaltung. Die Umsetzung soll einfacher werden, wir arbeiten auch hier an einem „Vom-Kopf-auf-die-Füße-Stellen“.

Wir sprechen über große Infrastrukturprojekte, den Ausbau von Ladestellen – für Menschen mit Beeinträchtigung ist es aber oftmals unmöglich, den Alltag zu meistern. Funktionieren diese großen Visionen denn noch, wenn wir die kleinen Dinge übersehen?

[L. G.]: Wir haben im Ministerium eine Abteilung, die sich dezidiert mit dem Thema beschäftigt. Die Mobilität der Zukunft ist nicht nur eine, die Menschen bewegt und modern und klimafreundlich ist; sie ist auch eine, die auf unterschiedliche Bedürfnisse eingeht und inklusiv ist. Unsere Gesellschaft ist vielfältig – wir alle wollen und dürfen mobil sein. Deswegen schauen wir gezielt hin, was es braucht. Wir arbeiten an Fragen der Barrierefreiheit in Zusammenhang mit E-Ladestellen, mit Gehsteigen et cetera. Aber wir haben auch Versuche rund um das Thema automatisierter öffentlicher Verkehr. Da stellt sich die Frage, wie wir auf Menschen Rücksicht nehmen müssen, die Hilfe brauchen. Letztendlich müssen alle mobil sein können.

Junge Menschen haben während Corona weitgehend auf ihr Leben verzichtet und sehen gleichzeitig, dass bei den CO2-Emissionen nichts weitergeht. Welchen Grund haben diese Menschen für Optimismus?

[L. G.]: Sehen wir uns an, was in den letzten Wochen und Monaten global passiert ist: Der Mehrheitsführer im US-Senat hat gesagt, dass in den USA 2040 nur noch emissionsfreie Autos auf den Straßen unterwegs sein werden; wir sehen Länder, die ihre Klimaziele nachbessern – und wir sehen die Entwicklung in Deutschland nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs. Es ist klar, dass die großen Öl- und Gaskonzerne sich nicht mehr vor ihrer Verantwortung drücken können. Es gibt an allen Ecken dieser Welt Menschen – auch Politiker*innen –, die das Thema vorantreiben. Das macht zuversichtlich. Es ist klar: Der Klimaschutz
ist die historische Aufgabe unserer Generation.