Vor mehr als 30 Jahren stand Sundar Pichai noch vorne auf einem Motorroller, dahinter sein Vater, die Hände an der Lenkstange; auf dem Sozius die Mutter mit dem Jüngsten auf dem Schoß, mitten im Verkehr von Chennai. In der südindischen Großstadt wuchs der heutige Google-CEO in einem einfachen Haus mit zwei Zimmern auf. Seine Eltern, ein Elektroingenieur und eine Stenotypistin, verfügten nur über bescheidene Mittel; viele Jahre besaß die Familie weder Fernseher, Telefon noch ein Auto. Auf Ausbildung wurde aber höchster Wert gelegt, und so kam Pichai am renommierten Indian Institute of Technology in Kharagpur unter.
Nach Abschluss des Ingenieurstudiums in Metallurgie bekam er ein Stipendium für Stanford, wo er ab 1993 ein Doktoratsstudium in Werkstoffwissenschaften begann und eine akademische Laufbahn einschlagen wollte. Wie so oft bei Stanford-Studierenden lockte aber das Silicon Valley – Pichai heuerte also zunächst beim Chip-Pionier Applied Materials an. Später folgten noch ein MBA an der Wharton School und eine Zwischenstation als Berater beim Consulter McKinsey & Co.
Bei Google landete Pichai 2004. Damals war Microsoft der größte „Google-Gegner“. Bald erkannte man Pichais Talente und übertrug ihm die Verantwortung für ein zwar wenig glanzvolles, aber umso bedeutenderes Softwareprodukt: die Google-Toolbar, mit der User*innen direkt im Browser eine Suche durchführen können, ohne dafür zur Google-Homepage wechseln zu müssen. Über diese strategische Arbeit kam Pichai zur nächsten großen Herausforderung, dem Chrome Browser. Das Projekt selbst war intern nicht unumstritten: Einige befürchteten, sich unnötig den Zorn von Microsoft zuzuziehen, das damals mit seinem Internet Explorer den Browsermarkt dominierte. Mit einem kleinen Team entwickelte Pichai, damals noch unter der Führung der späteren Yahoo-Chefin Marissa Mayer, das Produkt ohne großes Aufsehen. Der Browser erwies sich als besser und schneller als alle Konkurrenten – bis heute. Der Erfolg von Google Chrome festigte Pichais Ruf als genialer Produktentwickler und als unternehmerisches Talent. Es war der Beginn seines kometenhaften Aufstiegs im Google-Management.
Pichais Verantwortungsbereiche wuchsen weiter, während manch anderer im Konzern in Ungnade fiel – darunter Marissa Mayer und Vic Gundotra, der für „Google +“ zuständig gewesen war, Googles misslungenen Versuch, im Social Networking zu reüssieren. Unterdessen blieb Pichai stets der unerschütterliche, als kollegial geschätzte Manager und verdiente sich vor allem auch das Vertrauen von Larry Page. „Die beiden sind in Bezug auf die Entwicklungen der Zukunft völlig einer Meinung“, ist seitens ehemaliger leitender Mitarbeiter*innen zu hören. Als Page Google zu einer Holding mit dem Namen Alphabet umgestaltete, ernannte er Pichai zum CEO von Google, das für 99 Prozent von Alphabets Erlösen und dessen gesamten Gewinn verantwortlich zeichnet. Pichais Google-Story ist noch nicht zu Ende: Kenner der Szene sind sich darin einig, dass der Konzern für „The Next Big Thing“ rund um Themen der künstlichen Intelligenz bestens gerüstet ist. Die Steuern, die der Konzern künftig mehr abführen wird müssen, werden nicht an der Marktführerschaft rütteln.