TU Wien

TRANSFER IN DIE GESELLSCHAFT

„Ich wollte stärker mitgestalten.“ Seit mehr als einem Jahrzehnt ist Johannes Fröhlich Vizerektor für Forschung an der TU Wien. Für Fröhlich muss Wissenschaft der Gesell­schaft und ihrem Vorankommen dienen. Für den Chemiker sind nicht alle Corona-Gegner*innen auch Wissenschaftsfeinde – und Kinder müssen laut Fröhlich früh für technische Themen begeistert werden.

Text: Klaus Fiala Foto: TU Wien

Es gab kürzlich eine Eurobarometer-Umfrage, in der deutlich wurde, dass die Skepsis gegenüber der Wissenschaft sowie gegenüber den Wissenschaftler*innen in Österreich sehr ausgeprägt ist – auch und insbesondere im europäischen Vergleich. Wie geht es Ihnen als Forscher damit?

[JOHANNES FRÖHLICH]: Das ist schwierig, da ich nicht genau weiß, wie diese Erhebungen durchgeführt wurden. Manchmal entspricht das, was am Ende plakativ herauskommt, vielleicht nicht ganz dem Bild, das sich in der Ausdifferenzierung der Erhebung gezeigt hat. Ich weiß nicht, ob die Wissenschaftsfeindlichkeit in Österreich so groß ist. Skepsis ist ja grundsätzlich nichts Schlechtes, denn wenn man alles glaubt, was einem jemand erzählt – da sehen wir auch jetzt in der Pandemie, was dabei herauskommt. Ich denke auch, dass es verkürzt ist, wenn man sagt, dass alle Menschen, die gegen Covid-Maßnahmen auf die Straße gehen, per se wissenschaftsfeindlich sind. Verschiedene Menschen glauben verschiedenen Meinungen und es gibt eben auch solche, die falschen Propheten nachlaufen. Es geht immer darum, dass man in der Bevölkerung ein Bewusstsein für das proaktive Aufnehmen von Meinungen schafft – und damit aber auch fördert, dass Menschen Meinungen aus einem breiten Spektrum zu reflektieren in der Lage sind, um sich daraus ein Urteil zu bilden. Das ist das, was gerade bei harten Gegnern hinsichtlich Covid auffällt: Diese Leute sind in einem Tunnel. Die gibt es auf der anderen Seite aber auch, also all jene, die denken, dass die Impfung ein Allheilmittel ist. Mit nur Schwarz und Weiß entsteht kein die Gesellschaft verbindendes Bild.

Hat das Ansehen der Wissenschaft in den letzten 20 Monaten denn Schaden genommen oder ist es eher gestiegen?

[J. F.]: Auch das ist sehr schwer zu sagen. Etwas, das über einen solch kurzen Zeitraum passiert, in einen größeren Zeitrahmen einzufügen, ist nicht einfach. Ich denke, dass die Rezeption von Wissenschaft und von wissenschaftlichen Ergebnissen in den letzten Jahren angestiegen ist. Das sehen wir in der Kommunikation mit den Menschen, egal ob es da um die breite Bevölkerung geht oder etwa Schüler und Schülerinnen beziehungsweise deren Eltern. Was sich in den letzten Monaten aber gezeigt hat, ist, dass sich mehr Polarisierung bildet. Auf der einen Seite gibt es mehr Zweifler und auf der anderen Seite übertrieben positiv Überzeugte. Blind positiv oder blind negativ – beides ist schlecht. Wir müssen, wie bereits erwähnt, an einer kritischen Reflexion arbeiten.

Wie definieren Sie denn den Begriff Wissenschaft?

[J. F.]: Wissenschaft schafft neues Wissen, darauf läuft es letztendlich hinaus. Und dieses Wissen materialisiert sich dann in einem Nutzen für die Gesellschaft und für deren Vorankommen. Das ist Wissenschaft und ihre Vision. Das ist auch der Grund, warum Universitäten wie wir versuchen, dass Ergebnisse aus wissenschaftlicher Arbeit auch einen Transfer in die Gesellschaft zu deren Wohl schaffen.

War es für Sie klar, dass Sie Wissenschaftler werden? Wurde Ihnen das aus Ihrem Elternhaus bereits mitgegeben?

[J. F.]: Meine Eltern waren keine akademisch gebildeten Leute, zumindest nicht im heutigen Sinn. Ich komme aus einer Familie von Volksschullehrern. Da war natürlich Affinität zu Bildung da, wir haben auch Bücher geschenkt bekommen, die Interesse geweckt haben. Ich habe dann mit „Kosmos“-Baukästen – jemand aus meiner Generation kennt diese sicher noch – gebastelt und früh technisches Interesse gezeigt. Dass sich das dann weiterentwickelt hat, hängt aber auch von anderen Faktoren ab. Für mich war es ein sehr guter und über den Regelunterricht hinausgehend engagierter Lehrer im Gymnasium, der eben Chemie unterrichtete. All das hat dann dazu beigetragen, dass ich in den Naturwissenschaften eine gewisse Schwungmasse aufnehmen konnte. Und dann habe ich eben begonnen, Chemie zu studieren – im Jahr 1977.

In welchem Alter kann man Menschen denn am besten für wissenschaftliche Themen begeistern – und wie?

[J. F.]: Meiner Meinung nach muss das beginnen, sobald Kinder diese Themen in ihr Leben integrieren. Als ich noch Dekan der Technischen Chemie hier an der TU Wien war, haben wir ein Mitmachlabor für Schülerinnen und Schüler entwickelt. Dort haben wir aktiv mit Volksschulkindern gearbeitet, um Interesse an Naturwissenschaften, Technik und den Phänomenen des Lebens allgemein zu wecken. Und ich glaube, genau zu diesem Zeitpunkt – im Kindergarten, in der Volksschule – muss man beginnen, diese verschiedenen Facetten zu zeigen. Wenn man erst mit 13 oder 14 Jahren beginnt, ist es oft schon zu spät. In Ländern, wo genau das gut gelingt, ist die Skepsis oder Feindlichkeit gegenüber der Wissenschaft meist weniger stark ausgeprägt.

Johannes Fröhlich

studierte Technische Chemie / Organische Chemie an der TU Wien. 2003 wurde er Professor für Organische ­Chemie, 2004 Dekan der Fakultät für ­Technische Chemie. Seit 2011 ist er Vizerektor für Forschung an der TU.

 

Wie gut schafft es die TU Wien, die richtigen Leute für die richtigen Fächer anzusprechen?

[J. F.]: Das ist natürlich das Spezialgebiet des Vizerektors für Studium und Lehre (Prof. Kurt Matyas, Anm.) und nicht meines. Ich kann da also nur für „meinen“ Bereich der Chemie sprechen, wo ich auch in der Lehre tätig war. Ich glaube, dass wir dort durchaus die richtigen Personen bekommen. Es ist auch wichtig, den Studierenden, die an die TU Wien kommen, zu Beginn ein richtiges Bild des Studiums zu vermitteln. Das passiert nun, etwa im Rahmen der Studieneingangsphase. Als ich studiert habe, bestand das erste Semester ja zu einem großen Teil aus Stoff, der auch sehr wichtig ist, aber nicht die Breite der Chemie umfasste – etwa Mathematik, Technisches Zeichnen, Physik. Im ersten Semester hat man als Studierender also gar keine Vorstellung bekommen, was im Verlauf des Chemiestudiums – salopp gesagt – eigentlich so alles auf einen zukommt. Studierende können etwa auch ein ganzes Semester sozusagen im Labor verbringen; das muss man im wahrsten Sinn des Wortes erst einmal „durchstehen“.

Vermissen Sie die Arbeit als Forscher?

[J. F.]: Ich selbst stehe nicht mehr aktiv im Labor oder forsche. Das wäre vermessen, denn genauso wie meine Tätigkeit als Vizerektor ist auch die Arbeit als Forscherin oder Forscher ein Fulltime-Job. Das nebenbei zu machen funktioniert nicht. Es wäre auch nicht gut, denn letzten Endes muss man sich einer Sache widmen und kann sich auch nicht teilen. Ich habe vor meiner Zeit als Dekan intensiv geforscht und viel gelehrt. Ich hätte mir mit 30 oder 35 Jahren wohl auch nicht vorstellen können, dass ich später „in der Verwaltung“ arbeiten würde, als die ich aus damaliger Warte wohl meine nunmehrige Tätigkeit gesehen hätte. Es war im Laufe meiner persönlichen Weiterentwicklung eine bewusste Entscheidung von mir, einen Weg zu gehen, in dem ich stärker mitgestalten und, was mir sehr wichtig ist, mit ermöglichen kann. Ich vermisse die Forschung aktiv also nicht, sonst hätte ich mich ja nicht so entschieden, bin ihr aber durch meine Funktion als Vizerektor für Forschung und Innovation keinesfalls „abhandengekommen“ – ich diene ihr eben in einer anderen Rolle.

Wie sehen Sie denn, nach etwas mehr als einem Jahrzehnt im Rektorat, die österreichische Politik?

[J. F.]: Das ist auch ein Thema, über das man lange diskutieren kann, aber ich versuche mal, es kompakt mit Konnex zur Universitäts- respektive Wissenschaftspolitik zusammenzufassen. Ich begann als Dekan eigentlich in einer universitären Zeitenwende, denn damals (2004, Anm.) wurde das bis heute gültige Universitätsgesetz 2002 in Kraft gesetzt: Die Universitäten wurden zu autonomen Institutionen, was sich letztlich als weise politische Entscheidung der damals Verantwortlichen herausgestellt hat. Die Rahmenbedingungen waren zum Start nicht einfach, aber es hat den Universitäten und deren Weiterentwicklung gut getan, und meines Erachtens haben die Universitäten die Chancen der Autonomie unter den gegebenen Rahmenbedingungen auch gut genutzt. Eine wesentliche davon ist die budgetäre Lage, die sich über die Jahre jedenfalls verbessert hat, aber eben nicht den Standard vergleichbarer Institutionen im Ausland hat, die man uns gerne als Vorbilder in Rankings präsentiert. Wie man so schön sagt: Geld ist nicht alles, aber alles ist nichts ohne Geld.

Wenn Sie morgen Wissenschaftsminister wären: Was wäre die erste Maßnahme, die Sie setzen würden?

[J. F.]: Da habe ich eine ganz einfache Antwort: Ich wäre morgen nicht Wissenschaftsminister, keine Option für mich. Was ich aber tun würde, wäre im Sinne beider Seiten darauf zu achten, dass die Autonomie der Universitäten – mit den Partnern auf Augenhöhe und ohne Mikromanagement – gut weiterentwickelt wird. Das ist mir ein Anliegen; als Vizerektor genauso wie als – nicht einmal hypothetischer – Minister.