CIARA BURNS WIRKT ERHOLT.
Sie ist braun gebrannt, energiegeladen und berichtet mit einem breiten Lächeln vom größten Abenteuer ihres Lebens; keinerlei Anzeichen von Müdigkeit oder Erschöpfung. Dabei legte sie im Hightech-Ruderboot als Teil einer zwölfköpfigen Crew am 22. März dieses Jahres von Teneriffa ab und erreichte 42 Tage, zwölf Stunden und 30 Minuten später den Hafen der Karibikinsel Antigua. Bei der Ankunft am paradiesischen Strand werden die Abenteurer*innen von Kameras und Fanbannern empfangen, sogar Rosenblätter werden gestreut. Die Österreicherin wird von ihrer Familie mit rot-weiß-roter Flagge und Kuhglockengeläute begrüßt. Nach 42 Tagen auf dem Ruderboot schwankt der Boden unter den Füßen noch etwas, während die Emotionen hohe Wellen schlagen.
DİE JUNGE FRAU UND DAS MEER.
Seit sie 16 war, reifte in Burns der Traum, den Atlantik mit dem Ruderboot zu überqueren. Als Schülerin fällt ihr das Buch „Little Lady, One Man, Big Ocean: Rowing the Atlantic“ des irischen Paars Paul Gleeson und Tori Holmes in die Hände. Der Gedanke setzt sich sofort in ihr fest. „Es gab keinen Tag, an dem ich nicht daran gedacht habe“, so Burns. Über eine Dekade lässt sie die Faszination nicht mehr los.
Natürlich rudert man nicht einfach mal so über den Atlantik. Burns war schon immer sportlich, sie spielt Rugby und hat es sogar ins österreichische Nationalteam geschafft. Sie habe dabei ihre Grenzen ausgelotet, beschreibt sie die schon seit jeher gute Beziehung zu ihrem Körper, und weiß durch den Kontaktsport, was es heißt, wenn man sagt: „To put your body on the line.“
Burns rudert auch nicht zum ersten Mal: 2019 absolvierte sie im Vierer (Ruderboot) ein Rennen von Ibiza nach Barcelona. Dieses wird zwar aufgrund des schlechten Wetters verkürzt, trotzdem sammelt Burns wertvolle Erfahrungen: Sie macht Ausbildungen in Erster Hilfe und zum Überleben auf See und lernt, zu navigieren und mit dem Funkgerät umzugehen. Das alles kommt ihr auch 2021 zugute. Der erste Schritt ist die Bewerbung bei Rannoch Adventure, „einer Weltreise im Ruderboot. Man konnte sich für verschiedene Etappen bewerben“, erzählt die Studentin.
Sie schickt einen 100-Wort-Aufsatz ab und wartet nervös auf die Antwort. In einem Blogeintrag beschreibt sie dieses Essay als „the most defining 100 words I have ever written“. Als die Zusage per E-Mail eintrifft, kann sie einen Jubelschrei nicht unterdrücken – obwohl sie gerade in einem vollen Zug sitzt.
Ciara Burns
ist Studentin an der TU Wien im Masterstudiengang „Biomedical Engineering“. 2021 ruderte die 25-Jährige in 42 Tagen über den Atlantik. Auf der Reise sammelte sie Daten, die Aufschluss über Belastung und Regeneration im menschlichen Körper geben sollen.
VOM TROCKENTRAİNİNG İNS KALTE WASSER.
Aufgrund der Covid-19-bedingten Reisebeschränkungen trainiert Burns circa vier Monate lang allein am Ruderergometer in ihrem Keller. Von Anfang an ist es ihr besonders wichtig, dass das Equipment passt. Sie recherchiert viel und fühlt sich gut informiert. Von Anfang an weiß sie: „Leichtsinnigkeit spielt es nicht, sonst wird’s gefährlich.“ Sie geht unterschiedlichste Situationen immer wieder im Kopf durch, besonders Notfallszenarien wie Feuer oder „Mann über Bord!“. Ihr Ziel ist es, sich absolut sicher zu fühlen, „den Ozean zu kennen, aber keine Angst zu haben“.
Die anderen Teilnehmer*innen trifft sie erst auf Teneriffa. „Das Team hat von Anfang an zusammengepasst“, erinnert sich Burns an die ersten gemeinsamen Tage. „Es rudert ja nicht jeder über den Atlantik. Man weiß also automatisch, dass alle dieselben Gedanken haben, dass man ähnlich tickt. Nur sehr wenige Menschen verspüren eine solche Abenteuerlust.“
RUDERN, SCHLAFEN, RUDERN, SCHLAFEN …
Den Moment kurz vor der Abfahrt beschreibt sie trotz ihrer gewissenhaften Vorbereitung als „surreal“. Dann geht’s los. Es soll immer abwechselnd zwei Stunden gerudert, dann zwei Stunden geschlafen oder geruht werden.
Bald einigt sich das Team aber darauf, diesen Rhythmus auf je drei Stunden auszudehnen. „Das hat für alle besser funktioniert“, erklärt Ciara. „Hier geht es vor allem um die Balance zwischen Anstrengung und Regeneration.“ Nach eineinhalb Stunden Rudern wechselt man für die nächsten 90 Minuten auf die andere Seite des Zweireihers. Das muss jedoch vorsichtig geschehen, denn jede Bewegung spielt mit der Balance des Boots.
Auf Anstrengung folgt Erholung, dann wieder Anstrengung, dann wieder Erholung, und so geht es immer weiter. Außerdem gilt es, die benötigten zehn Liter Wasser pro Tag (gewonnen aus der bordeigenen Osmoseanlage) sowie 10.000 Kalorien mittels rehydrierter, gefriergetrockneter Mahlzeiten zu sich zu nehmen. Der begrenzte Platz, das Schwanken während der Ruderzyklen – das ist alles nichts für schwache Nerven.
JETZT HABE ICH SEHR VIEL GEDANKLICHEN RAUM UND WEISS NOCH NICHT GENAU, WOMIT ICH IHN FÜLLEN WERDE. DAS WAR JEDENFALLS NICHT MEIN LETZTES ABENTEUER.
ABENTEUER AUCH İM DİENST DER WİSSENSCHAFT.
Doch Burns hat neben ihrem sportlichen Talent auch eine Leidenschaft für die Wissenschaft. Aktuell macht sie ihren Master in Biomedical Engineering. Während der gesamten 42 Tage trägt sie Elektroden am Körper – 24 Stunden am Stück, bevor das Gerät genauso lang wieder aufgeladen werden muss. Ein Elektrokardiogramm (EKG) wird später zeigen, wie sich die extremen Belastungen auf die Regenerationsfähigkeit des Körpers auswirken.
Unterstützt wird Burns dabei von Eugenijus Kaniusas vom Forschungsbereich Biomedical Electronics an der TU Wien. Kaniusas ist selbst sehr sportlich und weiß daher genau, was es bedeutet, an seine körperlichen Grenzen zu gehen. „Gemeinsam haben wir beschlossen, während der Reise aufzuzeichnen, wie gut der Körper mit den inneren und äußeren Einflüssen zurechtkommt. Wir messen also die regulatorische beziehungsweise autonome Fitness“, sagt er. Und weiter: „Wir wollen untersuchen, wie stark die Herzfrequenz in welchen Phasen variiert. Mit eigens dafür entwickelten Analysemethoden können wir dann ableiten, wie gut der Körper unter welchen Bedingungen regeneriert.“
Auch Burns ist gespannt, welche Erkenntnisse die Daten ermöglichen werden. „Der aktive Parasympathikus fährt uns herunter. Wenn wir schlafen, werden die Pupillen kleiner, die Verdauung angeregt und der Herzschlag verlangsamt. Der Sympathikus ist für das Gegenteil verantwortlich. Das kann man messen. So kann man Aussagen treffen, welcher Spieler aktiver war oder ob es von Anfang bis Ende signifikante Veränderungen gab.“ Besonders spannend ist dabei auch der Vergleich zwischen den objektiven aufgezeichneten Daten und dem subjektiven Empfinden.
Dafür hat Kaniusas einen Fragebogen entwickelt, den Burns gewissenhaft ausfüllt. Nebst dem subjektiven Befinden und den aufgezeichneten Informationen fließen auch Wetter- und Performancedaten in die Auswertung mit ein. Den Vergleich bezeichnet Kaniusas als „einzigartig“. Momentan befindet sich die Untersuchung in der Phase der Integritätsprüfung, was bedeutet, dass alle Daten zusammengetragen und zeitlich synchronisiert werden. In ein paar Wochen werden erste vorläufige Ergebnisse vorliegen.
Daten dieser Art sind vor allem in der Medizin relevant, etwa im Bezug auf objektive Fitnesserfassung. Können die regulatorischen Fitnessdaten eines/einer Patient*in vor einer Operation gemessen werden, erlaubt das dem/der Operateur*in Rückschlüsse darauf, wie der/die Patient*in mit dem Stress umgehen wird. Auch dem/der Anästhesist*in ermöglicht dieses Wissen, sich besser auf die erwarteten Risiken bei der Operation vorzubereiten. Sportler*innen könnten messen, wie ihr absolviertes Training tatsächlich zur Fitness beiträgt und ob der vorangegangene Schlaf die Regeneration ausreichend unterstützt. Auch Berufen mit chronischer Dauerbelastung – zum Beispiel im Hinblick auf viele aufeinanderfolgende Nachtdienste über einen längeren Zeitraum hinweg – wären solche Daten dienlich.
Als Studiendekan freut Kaniusas neben den Daten aber natürlich auch die Aufmerksamkeit, die das von Burns initiierte „U-Boot-Projekt“ für den Masterstudiengang Biomedical Engineering generiert. Er hofft, dass dadurch auch andere Studierende motiviert werden, das Feld zu betreten: „Bei uns lernt man, die Sprachen der Technik und der Medizin zu sprechen.“
DEM ALLTAG DAVONGERUDERT
Burns versucht, in den 42 Tagen alles „aufzusaugen“, jede Emotion zu spüren und „möglichst im Moment“ zu sein. Als totales Highlight beschreibt sie das Naturspektakel, das sie besonders in mondlosen Nachtschichten bewundert. Fliegende Fische begleiten das Boot, sie bestaunt Vögel, Delfine und Wasserschildkröten. Sie tauscht sogar einen neugierigen Blick mit einem Wal, der neben dem Boot den Kopf aus dem Wasser hebt. „Ich habe vom Atlantik alles bekommen, was ich wollte“, strahlt sie.
Burns gibt zu, während des Ruderns nicht viel an die Uni oder die Forschungsergebnisse gedacht zu haben. „Wie eine Detox-Tour“ beschreibt sie, wie ihr das Abenteuer Abstand von „der ständigen Erreichbarkeit und dem konstanten Druck, immer kommunizieren zu müssen“, verschafft hat. Am Meer hatte sie viel Zeit zum Nachdenken: „Viele meiner Freunde meinten, dass ich viel glücklicher aussehe als vor der Abfahrt. Und es stimmt: Ich bin richtig glücklich.“ Das Rudern hat offenbar Großes in Burns bewegt: „Klar bin ich müde, aber emotional fühle ich mich richtig gut, sogar erholt.“
Auf dem Ruderboot wird sie sich auch der vielen Selbstverständlichkeiten in ihrem Leben so richtig bewusst. Das rationierte Essen an Bord nimmt sie als Inspiration, in Zukunft wieder bewusster zu leben und die Kleinigkeiten wieder mehr wertzuschätzen. Ein kleines Stück Schokolade wird für die Studentin zum Geschmackserlebnis, eine Prise Salz auf der gefriergetrockneten Eierspeise lässt die gesamte Mannschaft jubeln. Aber auch ein Witz oder ein paar verständnisvolle Worte können die „schichtabhängige“ Stimmung in Sekunden verbessern und die Motivation wieder nach oben schrauben. Dass auf dem Boot alles geteilt wird, empfindet Burns als Bereicherung. „Diese wiedergefundene Dankbarkeit und Wertschätzung möchte ich im normalen Leben beibehalten. Einfach das Positive in jeder Situation sehen können und mich nicht mehr über den grantigen Mann hinter mir in der Supermarktschlange ärgern.“
Im Nachhinein ist sie überrascht, wie sehr es bei dem Unterfangen um die mentale Herausforderung und nicht um die physischen Strapazen ging. Dass es statt der angestrebten 35 Tage dann doch 42 Tage dauerte, ist für Burns nicht wichtig. Als manche Crewmitglieder sich darüber die Köpfe zerbrechen, setzt sie sich Kopfhörer auf und genießt die Fahrt.
Jetzt gilt es, wieder im Alltag anzukommen. „Je mehr mir Leute aus meinem Umfeld gratulieren, desto mehr realisiere ich, dass das jetzt abgeschlossen ist“, so Burns. „Jetzt habe ich sehr viel gedanklichen Raum und weiß noch nicht genau, womit ich diesen füllen werde“, sagt sie nachdenklich. Und dann, etwas bestimmter: „Das war jedenfalls nicht mein letztes Abenteuer.“
Text: Elisabeth Kling