Besonders hart vom Klimawandel betroffen sind die Städte, denn das Stadtklima eilt dem normalen Klimawandel voraus, beobachtet Katrin Hagen, Landschaftsarchitektin und Forscherin an der TU Wien. „Da das Klima in den Städten extremer ist, verändert es sich dort mit höherer Geschwindigkeit. Mit Blick auf die Zukunft sieht man daher, dass die Städte klimatisch sehr viel schneller gen Süden wandern als das Umland.“
Die Unterschiede zwischen Stadt und Land entstehen durch ein komplexes Zusammenspiel mehrerer Faktoren: Versiegelungsgrad, Gebäudestruktur, Grünflächen etc. wirken sich auf das Mikroklima einer Region aus. Hinzu kommen klimatische und geografische Gegebenheiten, die es erschweren, pauschale Aussagen über die Auswirkungen des Klimawandels in den Städten zu treffen. „Verschiedene Städte haben unterschiedliche Schwerpunktthemen. In den Niederlanden ist Wassermanagement ein großes Thema, im mediterranen Raum muss man vor allem Hitze und Trockenheit begegnen.
Ansätze findet man hier zum Beispiel auch in der arabischen Architektur mit engeren Straßen, so dass die Gebäude sich gegenseitig und den Straßenraum beschatten“, erklärt Katrin Hagen. Diese bereits vorhandenen Strukturen bilden einerseits den Rahmen, in dem sich klimafreundliche Stadtentwicklung entfalten kann, andererseits können Städte aus dem Süden Europas ein Vorbild für Mitteleuropa sein.
Betrachtet man die Auswirkungen des Klimawandels auf mitteleuropäische Städte, so werden vor allem die steigenden Temperaturen sowie erhöhte Niederschlags- und Windspitzen zur Herausforderung werden. „Bezogen auf Wien können wir mit Sicherheit sagen, dass es wärmer wird. Die Hitzeperioden werden zunehmen und länger andauern. Das führt mitunter dazu, dass sich Vegetation und Mikroklima der Stadt nicht mehr so schnell erholen können“, sagt Markus Tomaselli, Vorstand des Instituts für Städtebau, Landschaftsarchitektur und Entwerfen der TU Wien.
Das Hitzeproblem hat in der Stadt nämlich drei Dimensionen: Nicht nur versiegelte Flächen wie Straßen, Parkplätze und asphaltierte Innenhöfe heizen sich auf, auch die Gebäude speichern Wärme in ihren Gemäuern. Dunkle Baumaterialien haben zudem eine niedrige Albedo (Maß für Helligkeit eines Körpers, Anm.) und reflektieren nur wenig Sonnenlicht. Die städtische Infrastruktur erzielt gerade einmal Albedowerte von 5 bis 35 %. Wird das Licht nicht an hellen Oberflächen reflektiert, wird die Wärmestrahlung vom Material absorbiert und zu einem späteren Zeitpunkt freigesetzt, beispielsweise in der Nacht. „Auch an heißen Sommertagen kann man sehr gut spüren, wie Gebäude Wärme abstrahlen, es in Parkanlagen aber vergleichsweise kühl bleibt“, beschreibt der Raumplaner Thomas Dillinger, Studiendekan der Studienrichtung Raumplanung und Raumordnung an der TU Wien, das Phänomen der Wärmeinsel.
Die Maßnahmen, die sich zum Hitzeschutz ergreifen lassen, sind vielfältig. Werden ganze Stadtteile neu entwickelt, erfolgen die Ausrichtung der Gebäude sowie die Auswahl der Baustoffe mit Bedacht. Ebenso wird darauf geachtet, Windschneisen nicht zu verbauen, um die Luftzirkulation sicherzustellen. Wasser- und Grünflächen sollten ebenfalls ein fester Bestandteil der Planung sein, genauso wie eine gute Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr. Denn eine klimafreundliche Stadt kommt nicht ohne eine klimafreundliche Infrastruktur aus.
„Bevor der motorisierte Individualverkehr flächendeckend verfügbar war, wurden Städte möglichst kompakt gebaut“, erklärt Dillinger. „Grund dafür ist, dass Stadt das Grundbedürfnis nach Wohnen, Arbeit und Freizeit abdecken können muss. Während man historisch betrachtet versuchte, die Wege kurz zu halten, hat der Pkw neue Siedlungsstrukturen geschaffen, die nicht ohne den Individualverkehr auskommen.“ Diese Tendenz der Zersiedelung führt nicht nur zu erhöhten CO2-Emissionen, auch geraten wir dadurch in die Abhängigkeit des Automobils. Um dies zu vermeiden, sollten neue Wohngebiete nur dort geschaffen werden, wo eine Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr gewährleistet werden kann.
Katrin Hagens Forderung „Straßenraum neu, grün, sozial und gerecht zu denken“, gilt daher sowohl für die Städte als auch für ländliche Gegenden. Innerhalb der Städte kann auch eine Verdichtung des Wohnraums sinnvoll sein – sowohl um die Wege kurz zu halten, als auch um eine gegenseitige Beschattung durch die Gebäude zu erzielen – ganz nach dem Vorbild südeuropäischer und arabischer Städte.
Azra Korjenic,Leiterin des Forschungsbereichs Ökologische Bautechnologien an der TU Wien, kann bereits ein Umdenken in der Baubranche beobachten: „Immer mehr Bauträger arbeiten mit interdisziplinären Teams, verwenden ökologische Materialien und betrachten Grünflächen als festen Bestandteil ihrer Planung.“ Was sich ebenfalls wandelt, ist der jahreszeitliche Fokus. „Bei der Auswahl von Baumaterialien und Konstruktionen hat man sich früher vor allem auf die Winterzeit konzentriert und es wurde viel gedämmt. Mittlerweile ist allen klar, dass es ebenso Maßnahmen für den Sommer braucht.“
Ob Neubau oder Sanierung, ökologische Materialien spielen eine entscheidende Rolle: „Mit ökologischen Materialien verändert man den Klimawandel selbst, denn über den Lebenszyklus betrachtet, schneiden diese Baustoffe wesentlich besser ab als herkömmliche Baumaterialien“, erklärt die Bauingenieurin Korjenic. Dennoch: Die Baubranche verursacht große Mengen an CO2, weshalb – wo möglich – saniert statt neu gebaut werden sollte.
Eine Möglichkeit, Gebäude fit für die Zukunft zu machen, stellt zudem die Begrünung von Fassaden dar. Azra Korjenic ist Pionierin auf diesem Gebiet und arbeitet viel mit Schulen zusammen. So schafft sie bereits bei Jugendlichen ein Problembewusstsein und liefert Ansätze zum lösungsorientierten Handeln. „Der Lebensstil eines Menschen lässt sich ab einem gewissen Alter kaum noch ändern. Entwickelt jemand jedoch im jungen Alter ein entsprechendes Problembewusstsein, handelt er oder sie automatisch anders“, erklärt die Bauingenieurin. Warum Fassadenbegrünung so erfolgreich ist: Die Pflanzen sorgen nicht nur im Sommer für eine Beschattung und verhindern dadurch die Erwärmung der Gemäuer, auch im Winter haben sie eine isolierende Wirkung.
Grössere Pflanzen wie Bäume spielen ebenfalls eine Schlüsselrolle bei der klimafreundlichen Stadtplanung. Katrin Hagen ist sicher: „Bäume sind das entscheidende Element, das man sowohl zum Klimaschutz als auch zur Klimawandelanpassung einsetzen kann. Sie beschatten den Stadtraum und die angrenzenden Fassaden und tragen zudem zur aktiven Kühlung der direkten Umgebung bei. Dabei haben sie im Verbund eine deutlich größere Wirkung als einzeln.“ Einen geeigneten Standort innerhalb der Stadt zu finden, erweist sich jedoch als schwer. Einerseits dürfen keine Windschneisen blockiert werden, da sich Wärmeinseleffekte ansonsten verstärken können. Andererseits müssen die Standorte gewisse Voraussetzungen erfüllen. „In der freien Natur kann ein ausgewachsener Baum zwischen 300 und 500 Liter Wasser am Tag umsetzen“, so Hagen. Auch brauchen Bäume viel Erde, weshalb sie direkt in den Erdkörper gepflanzt werden sollten.
Die umgesetzte Wassermenge ausgewachsener Bäume entspricht einer Kühlleistung
von zehn bis 15 Klimaanlagen.
Katrin Hagen
Ein Problem dabei ist, dass in der Stadt nicht nur der überirdische Raum genutzt wird, sondern sich auch unterirdisch jede Menge städtische Infrastruktur befindet, die den Zugang zum Erdkörper versperrt. „Unterirdisch gibt es technische Infrastruktur wie Leitungen und Abwasserkanäle. Das macht es schwer, Bepflanzungsprojekte zu realisieren“, sagt Thomas Dillinger. Die Bepflanzung mit Bäumen zahlt sich jedoch aus, denn „die umgesetzte Wassermenge ausgewachsener Bäume entspricht einer Kühlleistung von zehn bis 15 Klimaanlagen oder einer gefühlten Abkühlung von zehn bis 15 Grad“, erklärt Katrin Hagen.
„Bäume brauchen einige Zeit, bis sie ihr volles Potenzial entfalten. Das dauert um die 20 bis 30 Jahre. Dies ist eine lange Periode, in der sich die Qualität des öffentlichen Raums erst entwickelt“, gibt Markus Tomaselli zu bedenken. „Heute agieren wir daher für öffentliche Räume, die erst in diesem Zeithorizont ihr volles Potenzial entfalten.“ Leider entspricht dieser Zeitraum der aktuellen Lebenserwartung von Stadtbäumen. „Damit sich das ändert, versucht man den Erdkörper unterhalb städtischer Flächen in einem möglichst großen Verbund umzusetzen, sodass Versickerung und Speicherung von Oberflächenwasser stattfinden kann und die Bäume ein gutes Lebensumfeld haben. Nur so können sie wachsen und ihre volle Wirkung zeigen“, sagt Katrin Hagen. Dieses Prinzip wird auch als Schwammstadt-Prinzip bezeichnet.
mit dem schwammstadt-prinzip begegnet man nicht nur der zunehmenden Hitze, auch können die darin vorgesehenen, versickerungsfähigen Flächen sowie speicherfähigen Böden große Niederschlagsmengen aufnehmen. „Vegetation, Wasser und versickerungsfähige Oberflächen sollten die Stadt strukturieren“, fordert Katrin Hagen daher. Ist der Versiegelungsgrad innerhalb einer Stadt zu hoch, können lokale Minima bei Starkregen schnell zu reißenden Bächen werden – dies gilt es zu verhindern. Eine Möglichkeit, ablaufende Wassermassen versickern zu lassen, sind Senken, wie wir sie auch neben Autobahnen finden. Wasser kann aber auch als Gestaltungsmittel eingesetzt werden: In Phasen der Trockenheit, kann ein abgestuftes Becken beispielsweise als Theater genutzt werden, das bei Starkregen und Überschwemmungen mit Wasser gefüllt wird.
Bislang weniger erforscht ist, welche Auswirkungen der Klimawandel auf den Wind hat. Anzunehmen ist jedoch, dass nicht nur Temperatur- und Niederschlags-, sondern auch Windspitzen zunehmen werden. Das stellt die Stadtentwicklung vor weitere Herausforderungen: „Durch unterschiedliche Bauhöhen fallen bei sehr scharfkantigen Gebäuden hohe Verwirbelungsgeschwindigkeiten an und es entstehen Fallwinde“, erklärt Markus Tomaselli. Dies gilt es bei der Stadtentwicklung zu berücksichtigen. Weiters macht die zunehmende Hitze die Verschattung von Gebäuden notwendig, der Sonnenschutz muss aber auch starkem Wind standhalten können. Schatten und Stabilität bieten beispielsweise Arkaden. Architekt Markus Tomaselli sieht großes Potenzial in den Bogengängen und fordert daher „kein Neubau mehr ohne Arkadierung“.
Damit sich die Stadt mit dem Klima wandelt, müssen Forschende verschiedener Professionen zusammenkommen. Architektur, Bauingenieurwesen, Raumplanung und Landschaftsarchitektur sehen nicht nur die Probleme, die der Klimawandel mit sich bringt, sie suchen auch nach Lösungen. Diese müssen nun auch in die Gesellschaft hinein transportiert werden.
„Es braucht einen Dialog, denn bei der Stadtplanung treffen viele Interessengruppen aufeinander. Dieser Wandel passiert bereits, nur könnte es mit der Zeit knapp werden“, drängt Tomaselli zur Eile. Um die Auswirkungen des Klimawandels auf die Städte abzufedern, braucht es Maßnahmen im großen Maßstab, aber: „Auch kleine Maßnahmen können Bewusstsein schaffen. Sanierungen sollten daher gezielt für eine Umstrukturierung zugunsten des Klimas genutzt werden. Dazu braucht es politischen Mut, der sich langfristig aber auch finanziell auszahlt“, ist Hagen sicher.