Jan Siemen

Science-Fiction für die Wissenschaft

2011 erschien der Spielfilm „Contagion“, der den Ausbruch eines tödlichen Virus auf der Erde sowie seine Verbreitung und Bekämpfung nachzeichnete. Der Film hat einige Aspekte, die wir zehn Jahre später während der Coronapandemie selbst erlebten, in erstaunlicher Genauigkeit vorhergesagt. 2021 sagte der damalige britische Gesundheitsminister Matt Hancock, der Film habe die britische Impfstrategie inspiriert. Nun kann man von der Impfstrategie der Briten halten, was man will, aber diese Aussage ist doch bemerkenswert: Dass ein*e führende*r europäische*r Politiker*in sagt, ein Spielfilm habe seine/ihre Entscheidungen beeinflusst, ist ungewöhnlich – und doch so sinnvoll.

Text: Klaus Fiala Foto: Jan Siemen

Egal ob Politiker*innen, Manager*innen, Unternehmer*innen, Forscher*innen oder sonstige Führungskräfte: Entscheidungsträger*innen lassen sich heutzutage eher von Projektplänen und Excel-Sheets leiten als von den Ideen, die wir aus Büchern, Filmen und Kunst erhalten. Das kann fatale Auswirkungen haben, wie wir in der fehlenden Vorbereitung auf Covid-19 gesehen haben. Wer sich mit Ridley Scotts Filmreihe „Alien“ beschäftigt hat, hat heute womöglich eine bessere Vorstellung über die Chancen und Risiken von künstlicher Intelligenz. Wer einst das Werk „Biedermann und die Brandstifter“ von Max Frisch im Theater besuchte, könnte eine erste Idee erhalten haben, welche Auswirkungen Trägheit, Eitelkeit und falsche Höflichkeit im Angesicht von Gefahr haben können. Der Umgang Europas mit der russischen Invasion der Krim, aus der schließlich der heutige Ukraine-Krieg entstanden ist, weist viele Parallelen dazu auf.

Fiktion und Geschichten sollten uns unbedingt als Inspiration dienen, uns zum Nachdenken anregen und uns auch bei unseren Entscheidungen helfen. Und daher ist es kein Zufall – und nicht nur dem Nerd in uns geschuldet –, dass wir für diese Ausgabe des TUW Magazine das Überthema „Science-Fiction“ auswählten. Denn natürlich macht es viel Spaß, sich durch Filme und Bücher zu wühlen, Science-Fiction-Werke wissenschaftlich zu hinterfragen und sich zu überlegen, was davon überhaupt realistisch ist. Und: Nicht alles, was Hollywood und Co produzieren, ist es wert, länger analysiert zu werden.

Doch fiktive Werke haben in der Vergangenheit bewiesen, dass sie uns helfen können, die Zukunft zu antizipieren. Die „Jetsons“ waren schon in den 60er-Jahren in fliegenden Autos unterwegs – ein Produkt, an dem heute zahlreiche Unternehmen und Forscher*innen arbeiten. „2001: A Space Odyssey“ zeigte uns, wie ein Tablet aussehen könnte, und „Blade Runner“ sagte Smart Homes und Videocalls voraus. Fiktion kann aufzeigen, was vielleicht Realität werden könnte – und die Wissenschaft sollte nicht nur herausfinden, was tatsächlich Realität ist und wie sie funktioniert, sondern sie muss auch jenes erforschen, was wir bisher noch nicht als reale Möglichkeit erkannt haben.

Denn obwohl die Covid-Pandemie noch nicht vorbei ist, stehen neue Herausforderungen vor der Tür. Bei jenen, die wir kennen, etwa der Klimakrise, können wir die Ausmaße ansatzweise erahnen; wirklich begriffen haben wir sie aber noch nicht. Und bei jenen, die wir noch nicht kennen, ist alleine die Vorstellung einer konkreten Bedrohung für viele von uns schwierig. Insofern ist es nicht nur in Ordnung, sondern sogar wünschenswert, das Excel-Sheet oder den Projektplan mal zur Seite zu legen und sich einer Folge von „Star Trek“ oder „Black Mirror“ zu widmen. Es passiert ja im Namen der Wissenschaft.