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POPSTARS DER WISSENSCHAFT

Wissenschaft kann ganz schön kompliziert sein. Daher entstand aus der Notwendigkeit, fundiertes Wissen einer breiten Masse nahezubringen, im 19. Jahrhundert die Populärwissenschaft. Heute genießen ihre Vertreter, darunter der bereits verstorbene Astrophysiker Stephen Hawking, der Stringtheorie-Experte Michio Kaku oder der deutsche Astrophysiker Harald Lesch, fast so etwas wie Popstar-Status. Sie verkaufen Millionen von Büchern und treten regelmäßig im Fernsehen auf. Dabei schreiben sie nicht weniger wissenschaftlich als andere. Das Geheimnis liegt vielmehr in der Vereinfachung.

Text: Muamer Bećirović Foto: National Cancer Institute/Unsplash

Der Verkauf von Büchern setzt lesende Menschen voraus – das gilt auch für die Populärwissenschaften. Es ist also kein Zufall, dass diese Disziplin um das frühe 19. Jahrhundert entstand. Der deutsche Historiker Jürgen Osterhammel nannte sein Buch, das diese Periode beschreibt, „Die Verwandlung der Welt“ – denn genau das war der Fall: In nur wenigen Jahrzehnten hatten sich gesellschaftliche Strukturen und ihre Rahmenbedingungen vollständig ver­ändert. Das Bürgertum hatte die Aristokratie langsam, aber sicher als vorherrschende Klasse in der Gesellschaft verdrängt, indem es mehr Kapital konzentrierte und dieses besser einzusetzen wusste. Arme Bauern und Landarbeiter hingegen waren verstärkt in die Städte gezogen, da man als Fabrik­arbeiter*in mehr ver­dienen konnte als in der Provinz. Da der Staat und die Wirtschaft ­fähiges Humankapital benötigten, war eine Schulpflicht eingeführt worden, denn damals waren große Teile der deutschen Bevölkerung Analphabet*innen. Die ­Bildungsreform zeigte Wirkung: Die Zahl der Analphabet*innen sank zwischen 1840 und 1890 von 50 % auf 10 %. Da nun eine breite Mehrheit der Menschen lesen konnte, stand einem boomenden Buchmarkt nichts mehr im Weg. Die Nachfrage stieg, und selbst komplizierte Fachbücher wurden von Laien gelesen: Die Populärwissenschaften waren im Mainstream angekommen.

Ihre Ursprünge reichen aber weiter zurück. Johann Heinrich Helmuth war einer der ersten Vertreter überhaupt: ­Bereits 1786 verfasste er mit seinem Werk „Volksnaturlehre zur Dämpfung des Aberglaubens“ eines der ersten populär­wissenschaftlichen Bücher überhaupt. Seine Intention war es – wie im Titel ersichtlich –, den Aber­glauben zu verdrängen. Sein Werk vermittelte wissenschaftliche Grundkenntnisse so, dass jeder Laie Naturwissenschaften verstehen konnte. Die Herangehens­weise zeigte Wirkung: Bis 1853 erschienen insgesamt 15 Auflagen des Buchs – ein Erfolg, wie ihn heute nur die allerwenigsten Autor*innen ­verzeichnen können.

Doch auch heute gibt es jene, die Wissenschaft in die breite Bevölkerung tragen. Was zeichnet sie aus? Die Einfach­heit: Die Sprache ist verständlich, die Erklärungen werden stets anhand von konkreten Beispielen ausgeführt. Auch gehört die bildhafte Sprache, unterstützt durch Bilder und Grafiken, zu den Cha­rakteristika der Populärwissenschaft.

Der Aufstieg solcher Bücher trug dazu bei, dass sich die Wissenschaft ihren Weg in die breite Bevölkerung bahnte. Und so verdien(t)en auch fähige Autor*innen: 1976 machte der deutsche Buchhandel noch einen Umsatz von knapp drei Milliarden Euro, heute sind es etwas mehr als neun Milliarden. Populär­wissenschaftliche Veröffentlichungen haben einen nicht zu vernachlässigenden Anteil daran.

Unterteilt man den Buchmarkt weiter in seine Genres, dann spielt der Sach- und Fachbuchbereich auf den ersten Blick eine vergleichsweise geringe Rolle. Belletristik hat mit 31 % den größten Anteil am Gesamt­umsatz, gefolgt von Kinder- und Jugendliteratur mit 18 %; das Ratgebersegment macht 14 % aus und erst an vierter Stelle (und mit einem Anteil von 11 %) kommen die Sachbücher. Nimmt man Kunst, Musik, die Sozial-, Rechts-, Natur-, Medizin-, Geistes- und Wirtschaftswissenschaften hinzu, dann ergibt sich ein Sach- und Fachbuchanteil von etwas über 20 %.

Man darf jedoch Sach- und Fachbücher nicht miteinander verwechseln. Sach­bücher richten sich in erster Linie an Menschen, die sich über ein spezielles Thema informieren möchten, aber keine Fachleute darin sind; Fachbücher richten sich, wie aus der Bezeichnung ent­nommen werden kann, an Fachleute, die bereits Vorwissen zum behandelten ­Thema haben. Außerdem können diese Bücher unter anderem handlungsorientiert sein: Eine Ärztin, die für ihre Weiterbildung ein Fachbuch liest, um das Wissen dann in der Praxis anzuwenden, liest Inhalte auf Expert*innen­niveau, welches für Laien unverständlich ist. Sachbücher hingegen sollen auch für Nichtexpert*innen verständlich sein – ihr Hauptaugenmerk liegt genau darauf.

Der 2018 verstorbene Stephen Hawking, einer der bekanntesten Physiker unserer Zeit, beherrschte die Kunst der Ver­einfachung wie kein anderer. Sein Buch „Eine kurze Geschichte der Zeit“ verkaufte sich allein in Deutschland über 700.000 Mal. Auch die Lektüre von Büchern von Michio Kaku oder Harald Lesch zeigt, dass diese die eiserne Regel, alles so einfach wie möglich zu er­klären, weiter­führen. Details werden dann eingebracht, sofern sie das Gesamtbild unterstützen, alles andere wird aus­gelassen.

Fachbuchautor*innen beäugen die Populär­wissenschaft kritisch: Der Vorwurf lautet oft, dass deren Vertreter*innen sich nicht an wissenschaftliche Standards halten. Das stimmt nur teilweise: Stephen Hawking veröffentlichte selbst zahlreiche wissenschaftliche Papers, in denen er seine physikalischen Thesen bewies. Diese finden sich jedoch nicht in seinen Büchern wieder. Das hat einen Grund: Sie setzen zu viel Wissen für ein breites Publikum voraus. Daher teilen Autor*innen ihre wissenschaftlichen Arbeiten verstärkt in zwei Teile auf: Ihre Fachexpertise veröffentlichen sie in spezifischen Journals, und im zweiten Schritt veröffentlichen sie ein Buch mit einer lesbaren Storyline ihrer Erkenntnisse für die breite Masse. Diese Herangehensweise scheint insbesondere im englischsprachigen Raum eine übliche Praxis zu sein – es ist kein Zufall, dass die meisten Bestseller aus diesem Raum kommen. Während im deutschsprachigen Raum Wissenschaftler*innen penibel darauf achten, wissenschaftlich zu klingen und damit ihre Audienz großteils auf ein Fachpublikum beschränken, machen die US-Amerikaner*innen und Brit*innen das genaue Gegenteil. Eine Publikation über wissenschaftliche Themen ist in ihren Augen dann etwas wert, wenn sie von allen Menschen gelesen werden kann. Ein Blick auf die Best­sellerlisten zeigt, dass auch viele deutsche Leser*innen dieses Urteil teilen.