In den 1960er-Jahren dachte man, die Kolonisierung des Sonnensystems sei in Griffweite. Forscher*innen stellten sich vor, dass spätestens zur Jahrtausendwende Hunderte Menschen auf dem Mond leben würden (und weitere 100.000 in riesigen, die Erde umkreisenden Raumstationen). Die Realität im Jahr 2021 sieht jedoch ganz anders aus: Tatsächlich befinden sich derzeit genau sieben Menschen im All – und zwar in der International Space Station (ISS), der größten existierenden Raumstation. Kein einziger Mensch lebt auf dem Mond oder einem anderen Planeten.
Zudem gibt es – Stand heute – bisher nur drei Raumfahrtnationen, die bemannte Missionen ins All mit eigenen Fahrzeugen durchgeführt haben: Russland, China und die USA. Auch Indien bereitet derzeit eigene bemannte Weltraumflüge vor; Europa ist davon jedoch noch weit entfernt. Der seit März 2021 amtierende ESA-Chef Josef Aschbacher will das ändern: Geht es nach ihm, soll bis Ende dieses Jahrzehnts der erste Europäer oder die erste Europäerin auf dem Mond landen und die europäische bemannte Raumfahrt angekurbelt werden. Zudem soll als erster europäischer Mensch eine Frau die Marsatmosphäre betreten. Auch budgetär will man aufstocken: Aktuell beträgt das Budget der ESA für 2021 noch knapp 6,5 Milliarden Euro, 19,1 Milliarden Euro sind es in den USA bei der NASA. Europa kämpft also um Relevanz. Doch welche Rolle spielt Österreich in alledem?
Bisher darf überhaupt erst ein Österreicher von sich behaupten, im Weltall gewesen zu sein. 20 Jahre nachdem der sowjetische Kosmonaut Juri Gagarin 1961 als erster Mensch in den Weltraum flog, folgte ihm Franz Viehböck im Rahmen der Mission „Austromir“ nach. Österreichweit folgte ihm bisher noch keine/r. Woran liegt das? „Die bemannte Raumfahrt ist sehr teuer, da muss man bei begrenzten Mitteln einfach Prioritäten setzen. Und Österreich hat diese Prioritäten immer auf Weltraumprogramme gesetzt, die einen unmittelbaren Nutzen für den Bürger versprechen. Da ist die Satellitenkommunikation sicher ein Schwerpunkt, genauso wie die satellitengestützte Erdbeobachtung und Klimaforschung“, erklärt Max Kowatsch, ehemaliger Geschäftsführer der RUAG Space Austria und heute Präsident der Interessensgemeinschaft Austrospace. Die RUAG gilt als österreichischer Marktführer in den Bereichen Satellitennavigation und Thermalschutzsysteme im All.
Aktuell sind rund 150 österreichische Unternehmen und Forschungsinstitutionen in der Luft- und Raumfahrttechnik tätig. Neben der RUAG gibt es auch Atos, das europaweit führend in Sachen Satellitenkommunikation ist. Ursprünglich eine Space-Abteilung beim deutschen Industriekonzern Siemens, ist die Atos-Space-&-Avionics-Abteilung heute Teil von Atos Austria, einer Tochtergesellschaft der französischen Atos SE. „Der Fokus liegt bei uns vorwiegend am Boden beim Testen der Satelliten. Wir sind sehr stark in allem, was bei Satelliten mit Power und den jeweiligen Tests zu tun hat. Gleichzeitig liegt unser Augenmerk auf der Hochfrequenztechnik. Das heißt: die Kommunikation zwischen den Satelliten und der Bodenstation“, so Hans Steiner, CTO von Atos Space & Avionics und Managing Director bei Austrospace. „Joanneum Research und die TU Graz setzen auch einen starken Fokus auf Satellitenkommunikation. Außerdem haben wir (in Österreich, Anm.) die Seibersdorf Laboratories, die wichtige Forschung zur Weltraumstrahlung und Abschirmungsoptimierung betreiben“, sagt Steiner. Ihm zufolge spielt Österreich zudem eine Rolle bei Technologien wie Nanosatelliten: „Wir haben ein recht breites Spektrum.“
BISHER DARF ERST EIN ÖSTERREICHER VON SICH BEHAUPTEN, IM WELTALL GEWESEN ZU SEIN: FRANZ VIEHBÖCK.
Die menschliche Mobilität im Weltraum fängt jedoch nicht mit Satelliten, sondern mit Raketen an. „Da gibt es aufgrund der budgetären Möglichkeiten in Österreich relativ limitierte Aktivitäten. Die Entwicklung einer Weltraumrakete ist ein sehr teures Unterfangen, Österreich beteiligt sich da üblicherweise mit einer Größenordnung von etwa 0,4 % der gesamten Entwicklungskosten“, sagt Max Kowatsch. Trotz der geringen Summe hat das Land durchaus seine Finger bei der Entwicklung im Spiel: Österreichische Forschung war an der europäischen Rakete „Ariane 5“ beteiligt, für die Magna Treibstoffleitungen für die Triebwerke lieferte; die RUAG Österreich steuert wiederum Thermalschutzsysteme zur „Ariane 6“ bei. Und auch das Unternehmen TTTech ist involviert: Das Spin-off der TU Wien entwickelt Computerchips für die sichere Kommunikation zwischen den Subsystemen der Rakete.
In der politischen Landschaft ist das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (kurz BMK) für den Weltraum zuständig. Neben dem Vollzug des Weltraumgesetzes (Österreich ist eines der wenigen Länder in Europa, die über ein solches Gesetz verfügen) umfasst die Aufgabe auch die Förderung von Wirtschaft und Wissenschaft im Rahmen des nationalen Weltraumprogramms ASAP (Austrian Space Applications Programme). „Jährlich investieren wir rund 70 Millionen Euro in den Weltraumsektor, der Großteil davon fließt in Programme der Europäischen Weltraumagentur ESA, bei der Österreich seit 1987 Mitglied ist“, erklärt Margit Mischkulnig, Abteilungsleiterin für Weltraumangelegenheiten im BMK. „Zudem investiert Österreich als Miteigentümer der EU-Weltrauminfrastrukturen rund 30 Millionen Euro pro Jahr in das Erdbeobachtungsprogramm Copernicus und die europäische Satellitennavigation Galileo sowie in die Weltraumforschung im Rahmen des Forschungsprogramms Horizon Europe.“
Das EU-Weltraumprogramm umfasst neben Copernicus und Galileo auch die Weltraumlage-Erfassung (inklusive Entdeckung und Beobachtung von Objekten im Weltall sowie Weltraumwetter). „Der Weltraum fasziniert und inspiriert, und mit den Weltraumdaten und -dienstleistungen verfügt Europa zudem über Tools, die eine zentrale Rolle bei der Bewältigung der globalen Herausforderungen wie Klimakrise, Mobilitäts- und Energiewende sowie der demografischen Entwicklung spielen“, so Mischkulnig. Europaweit sorgt die Weltraumindustrie in den 22 Mitgliedsstaaten der ESA für 230.000 Jobs, österreichweit sind es rund 1.000 Arbeitsplätze. Österreich habe sich seit dem Beitritt zur ESA vor 40 Jahren als international anerkannter Partner im Weltraumbereich etabliert, so Mischkulnig.
Der Begriff „New Space“ beschreibt die zunehmende Kommerzialisierung der Weltraumaktivitäten. Prominente Beispiele sind die in den USA ansässigen Unternehmen Space X von Tesla-CEO Elon Musk und Blue Origin von Amazon-Gründer Jeff Bezos. Es sind private Unternehmer und Unternhemerinnen, die davon träumen, die Weiten des Weltraums zu erobern, indem sie den Raum für alle zugänglich machen – eine Revolution mit günstigen und leistungsstärkeren Raketen. Derzeit versteigert Blue Origin einen Platz in seiner „New Shepard“-Rakete, die im Sommer 2021 ins Weltall fliegen soll. Das aktuelle Höchstgebot für das Ticket: 2,8 Millionen US-Dollar.
ICH GLAUBE NICHT, DASS JEDER MENSCH AUF DEM MOND LEBEN WILL. DAS IST WOHL AUCH GAR NICHT ERSTREBENSWERT.
Sandra Häuplik-Meusburger, Dozentin, TU Wien
Franz Viehböck
mit Franz Viehböck kann bisher erst ein einziger Österreicher von sich behaupten, im Weltraum gewesen zu sein. Der Beitrag des Landes zur zunehmenden Erschließung des Alls ist jedoch nicht unbedeutend: In den Bereichen Satellitenkommunikation, Strahlungsenergie im All sowie Klimaforschung spielt Österreich eine wichtige Rolle. Aktuell sind 150 österreichische Unternehmen in der Luft- und Raumfahrttechnik tätig.
Ein massentauglicher Weltraumtourismus nimmt also zunehmend Form an. Das erste Hotel im Orbit könnte bereits 2027 eröffnen und bis zu 400 Personen – zwei Drittel Gäste, ein Drittel Personal – beherbergen. Die Orbital Assembly Corporation mit ihrer „Voyager Station“ nimmt schon jetzt Reservierungen entgegen. Doch wie realistisch ist ein dauerhafter Aufenthalt, gar ein Leben im Orbit? Sandra Häuplik-Meusburger ist Weltraumarchitektin und Dozentin an der TU Wien und beschäftigt sich tagtäglich mit der Frage, wie das Leben abseits der Erde aussehen könnte: „Der Mensch ist gemacht für das Leben auf der Erde. Im Weltraum gelten aber ganz andere Bedingungen. Da braucht man als Mensch immer eine dritte Haut. Das ist entweder der Raumanzug oder das Habitat, ohne die man nicht überleben kann.“ Ob die Sehnsucht nach einer neuen Heimat überhaupt so weit verbreitet ist, bezweifelt sie: „Ich glaube nicht, dass jeder Mensch auf dem Mond leben will. Das ist wohl auch gar nicht erstrebenswert.“
Die Weltraumarchitektur komme aktuell an einen Wendepunkt, so Häuplik-Meusburger. Bisher diente sie nur dem Zweck, dass der Mensch im Weltall überlebt – nun versucht man hingegen, auch vermehrt auf die psychologischen Bedürfnisse einzugehen, dazu gehören Rückzugsorte, ergonomische Sitzmöglichkeiten sowie Bewegung: „Um im All in Bewegung zu bleiben, muss man andere Anreize schaffen als hier auf der Erde. So gibt es etwa VR-simulierte Spaziergänge durch Wälder. Die Möglichkeiten sind aber begrenzt.“ Häuplik-Meusburger betont auch den sozialen Aspekt: „Ein Gemeinschaftsraum ist wichtig, um die Teamstärke zu fördern. Aktuell zielt die Architektur vor allem darauf ab, die extremen Bedingungen zu kompensieren. Die Bauweise soll das ermöglichen, wofür man eigentlich vor Ort ist – nämlich wissenschaftliches Arbeiten“, sagt Häuplik-Meusburger.
Neben ihrer Tätigkeit als Dozentin an der TU Wien gibt sie ihr Wissen an der Science Academy in Wiener Neustadt an Jugendliche weiter, die an der Architektur oder allgemein an einer Karriere im Weltraumsektor interessiert sind. „Für eine Karriere in dieser Branche sind wir in Österreich gut aufgestellt. Wir haben Weltmarktführer mit innovativen, hochtechnologischen Produkten. Außerdem versuche ich, vor allem meine Studentinnen zu fördern, indem ich Vorträge organisiere oder sie zu Konferenzen einlade, damit sie sich in diesem Bereich etablieren können. Das gelingt immer besser“, so die Dozentin. An ihrer Tätigkeit und Forschung findet sie die Wechselwirkung zwischen Science und Fiction besonders aufregend. Zudem lerne man, klug mit Ressourcen umzugehen: „Im Weltraum hat man nichts zu verschenken. Man lernt, alles wiederzuverwerten – sogar den eigenen Urin.“
Die heutigen Vorstellungen, wie die Zukunft im All aussehen könnte, ähneln zum Teil jenen aus den 1960ern. Im Jahr 2035 sollen wir uns inmitten der Gründungsphase des ersten permanenten Außenpostens abseits der Erde befinden. „Moon Village“ beruht auf Plänen des ehemaligen ESA-Chefs Jan Wörner und wird von Organisationen wie Space X, Blue Origin oder der NASA unterstützt. Nicht neu ist das Dilemma der Ressourcenknappheit auf der Erde; immer mehr könnte daher der Ressourcenabbau im Weltraum in den Fokus rücken. Indem man in Bergwerken im All Rohstoffe aufbereitet und die fertigen Produkte auf die Erde bringt, will man das große Problem der Umweltverschmutzung umgehen. In Sachen Energiegewinnung soll der Mond dienen: Nicht nur Edelmetalle sind dort zu holen, sondern auch Millionen von Tonnen von Helium-3, einem idealen Fusionsbrennstoff für die Energiegewinnung.