Huger, Barbara Wenz, unsplash

Neue strassen braucht die Stadt?

Wie viel können Städte noch wachsen und müssen sie das überhaupt? Wie könnte die Stadt der Zukunft ausschauen? Was sagen ­Expert*innen zu den umstrittenen Projekten Lobautunnel und Wiener Stadtstraße? Spannende Fragen, die im folgenden Gespräch TU-Wien Verkehrswissenschaftlerin Barbara Laa und TU-Wien-Rechtswissenschaftlerin Dragana Damjanovic diskutiert haben.

Text: tuw.media-Redaktion Foto: Huger, Barbara Wenz, unsplash

Wie sieht Ihr ideales Verkehrskonzept der Zukunft aus – eines, das Stadt und Individualverkehr neu denkt?

Barbara Laa: Für mich ist die Stadt der Zukunft die Stadt der Vergangenheit mit gewissen Innovationen (lacht). Grundsätzlich gibt es bei den heutigen Städten zwei Unterscheidungen: die gewachsene Stadt, bevor es Autos gab, und die autogerechte Stadt.

In der gewachsenen Stadt haben wir die besten Voraussetzungen, dass es auch ohne Auto funktioniert. Alles ist zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbar. In Wien, in der Innenstadt haben wir ein hervorragend ausgebautes öffentliches Verkehrsnetz.

Die autogerechte Stadt mit Fokus auf viel Platz für private Pkws ist einfach nicht zukunftsfähig. Das ist ein Problem, das wir vor allem in den Außenbezirken Wiens haben. Das waren früher kleinere Dörfer, die durch Straßen miteinander verbunden waren. Im Grunde ist das Straßennetz, das wir heute dort vorfinden, immer noch das gleiche, aber dazwischen sind dann Wohnungen, Einfamilienhäuser, Gewerbeparks, aber auch Müllverbrennungsanlagen entstanden.

Damit verbunden ist eine Infrastruktur mit Straßen und Parkplätzen. Die große Herausforderung ist, in den Außenbezirken Urbanität zu schaffen, zum Beispiel über ein engmaschigeres Straßennetz, sowie die Schaffung von Arbeitsplätzen – dass Menschen zum Arbeiten nicht in die Innenstadt pendeln müssen und man das tägliche Leben auch in der Nähe bewerkstelligen kann.

Abschließend möchte ich noch kurz als Leitbild für die Stadt der Zukunft die umgekehrte Prioritätenpyramide, in Bezug auf wie viel Platz, welchen Verkehrsteilnehmer*innen eingeräumt wird, anführen. Ganz oben in der Pyramide sind die Fußgänger*innen, danach folgen der Radverkehr sowie der öffentliche Verkehr, schließlich der Güterverkehr und Sharing-Fahrzeuge und ganz zum Schluss erst private Pkws.

Wo sehen Sie die wesentlichsten Unterschiede zwischen urbanem und ländlichem Raum?

[B. L.]: Im ländlichen Raum ist es ähnlich wie mit den Randgebieten von Städten. Da es früher auch keine Pkws gab, waren die Ortskerne stark entwickelt, erst mit der Zeit gab es am Ortsrand große Supermärkte, die nur mit dem Auto erreichbar waren und sind. Dadurch wurde die Nahversorgung, also die Anzahl der Geschäfte, die ich zu Fuß leicht erreichen kann, reduziert. Ebenso haben sich Arbeitsplätze verlagert.

Aber auch heute sind am Land viele Wege eigentlich noch in Geh- oder Radfahrdistanz, jedoch fehlt es an Infrastruktur, wie geeigneten Fuß- und Radwegen, wodurch Menschen dann doch lieber mit dem Auto fahren. Wenn man entsprechende Infrastruktur wie schöne Gehwege oder sichere Radwege schafft, wäre es auch im ländlichen Bereich möglich, mehr Wege ohne eigenes Auto zu erledigen.

Ich versuche immer eine Vision zu zeichnen: Vielleicht sind viele Wege heute nur mit dem Auto machbar, es geht auch nicht darum, dass von heute auf morgen niemand mehr mit dem Auto fährt, sondern es geht vor allem darum, dass man die Möglichkeit schafft, dass Menschen, die auch gerne anders mobil wären, überhaupt die Möglichkeit dazu haben. Es geht darum, jetzt die Weichen für die Zukunft zu stellen.

In Österreich gibt es unterschiedliche Widmungen für Flächen, wie Baugründe oder Grünflächen. Wie kommen diese zustande?

[Dragana Damjanovic]: Für Fachplanungen ist der Bund zuständig. Dazu gehören unter anderem spezielle Infrastrukturplanungen, wie die Festlegung von Eisenbahntrassen oder Bundesstraßen. Für die allgemeine Raumplanung, also etwa die Entscheidung, ob eine Fläche als Grün- oder als Baufläche genutzt wird, sind die Länder zuständig.

Diese erlassen Raumordnungsgesetze, in denen im Kern normiert wird, nach welchen Kriterien und in welchem Verfahren die Entscheidung über die Flächenwidmung erfolgt. Diese Gesetze können durch Sachprogramme der Länder konkretisiert werden, in denen beispielsweise festgelegt wird, was gute Zonen für die Freiflächen-Photovoltaik sind. Auf dieser Grundlage entscheiden dann die Gemeinden über die konkrete Flächenwidmung in Selbstverwaltung. Sie vollziehen schlussendlich die Gesetze und sind bei der Entscheidung nicht an Weisungen gebunden, aber sie unterliegen der Aufsicht der Landesregierung.

Städte wachsen, Bauzonen sind rar. Wie kann eine umweltverträgliche, nachhaltige Erweiterung bestehender Städte geplant werden?

[B. L.]: Zuerst möchte ich gerne die Feststellung „Städte wachsen“ infrage stellen. Dabei wird nämlich nie hinterfragt, wo kann dieser Wohnraum entstehen? Gerade in Zeiten der Klimakrise, müssen wir als Gesellschaft überlegen, wie wir mit den vorhandenen Ressourcen bestmöglich haushalten können. Eine Analyse zeigt, dass alle Österreicher*innen in Einfamilienhäusern, die bereits gebaut sind, leben könnten, wenn es vier Personen pro Haus sind. Wir haben bereits sehr viele Gebäude, oft ist es nur eine Frage der Verteilung, dass man zum Beispiel Wohnraum gerecht aufteilt.

Die bessere Frage ist, wie viel sollen und müssen Städte überhaupt noch wachsen? In Wien zum Beispiel ist die Frage nach leistbarem Wohnraum groß. Lösungen wie die in der Seestadt finde ich großartig. Dort haben wir eine sogenannte „Brown Field“-Entwicklung, es wurde nicht auf landwirtschaftlich genutzten Flächen gebaut, sondern dort, wo früher die Flugfeld-Nutzung war. Das Gebiet könnte ohnehin nicht anderweitig genutzt werden und so wurde es sinnvoll als Stadtentwicklungsgebiet genützt.

Ein weiteres zukunftsträchtiges Konzept sind autofreie Siedlungen. Der Autoverkehr muss reduziert werden, gleich von Anfang Gebäude so zu planen, die ohne Auto erreichbar sind, ist daher sinnvoll.

Barbara Laa, Universitätsassistentin, Institut für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik

Wie werden sensible Bereiche wie Naturschutzgebiete in die Planungen miteinbezogen? Ist deren Status fix definiert oder unter bestimmten Umständen veränderbar?

[D. D.]: Die Festlegung von Naturschutzgebieten erfolgt nicht nach den Raumordnungsgesetzen, sondern nach den Naturschutzgesetzen der Länder. Diese haben ihre Grundlage in entsprechenden EU-Richtlinien, z. B. der Vogelschutzrichtlinie. Konkret weisen die Landesregierungen auf Basis dieser Vorschriften gewisse Gebiete als Naturschutzgebiete aus.

Sobald ein Gebiet zum Naturschutzgebiet erklärt wurde, sind Eingriffe nur unter ganz speziellen Voraussetzungen möglich. Dafür gibt es ein spezielles Genehmigungsverfahren: die Naturverträglichkeitsprüfung. Zudem darf in diesen Gebieten kein Bauland mehr ausgewiesen werden. Sollten sich jedoch die Voraussetzungen in den Naturschutzgebieten ändern, also beispielsweise keine besonderen Tier- und Pflanzenarten mehr dort leben, dann ist die Ausweisung als Naturschutzgebiet rückgängig zu machen und das Gebiet anderweitig zu nützen.

Ein Naturschutzgebiet ist aber nicht zu 100 % geschützt. Dass es möglich ist, in Naturschutzgebiete einzugreifen, zeigen Projekte wie der Lobautunnel. Im Rahmen der Naturverträglichkeitsprüfung ist eine Alternativenprüfung durchzuführen, wo gefragt wird, ob es geeignete Alternativen zu dem beantragten Projekt gibt. Wenn man zu dem Schluss kommt, es gibt keine Alternativen im Sinn von wirtschaftlich geeigneten Alternativen, dann kann es sein, dass eben unter einem Naturschutzgebiet gebaut wird. Dafür muss allerdings auch nachgewiesen werden, dass es ein überwiegendes öffentliches Interesse für das geplante Projekt gibt, wie den Bau neuer Straßen.

In den Prüfverfahren gibt es auch eine breite Öffentlichkeitsbeteiligung; diese wird von der zuständigen Behörde gehört und danach wird abgewogen, ob der Schutz des Gebietes oder ein anderes öffentliches Interesse überwiegt.

Dragana Damjanovic, Professorin für Öffentliches Recht, TU Wien

Bundesministerin Gewessler hat den Bau des Lobautunnels gestoppt. Vorbereitungsarbeiten dafür haben aber schon stattgefunden. Ist hier ein Automatismus vorgesehen, was mit den Flächen passiert? Werden diese renaturiert, umgewidmet oder stehen gelassen für einen eventuellen Weiterbau?

[D. D.]: Nein, einen Automatismus gibt es hier nicht. Das Straßenbauprojekt um den Lobautunnel ist noch im Verzeichnis des Bundesstraßengesetzes verankert, auch die UVP-Genehmigung dazu ist noch gültig.

Bundesministerin Gewessler hat dem Bauprogramm der Asfinag, das nach den Genehmigungsverfahren erstellt wird, und in dem festlegt ist, was konkret umgesetzt wird, nicht zugestimmt. Rechtlich gesehen ist das Projekt also nicht endgültig abgesagt. Dazu müsste sie über eine Regierungsvorlage eine Abänderung des Straßenbauprojekts und damit auch des Bundesstraßenverzeichnisses ins Parlament einbringen und das Parlament müsste darüber entscheiden, ob es dieses Projekt aus dem Verzeichnis herausnimmt.

Erst wenn es eine Gesetzesänderung gibt, wäre das Projekt komplett abgesagt und dann könnte über eine anderweitige Nutzung oder Renaturierung nachgedacht werden.

Die Verkehrsplanerin Barbara Laa
forscht und lehrt seit 2018 an der TU Wien im Forschungsbereich Verkehrsplanung und Verkehrstechnik.

Dragana Damjanovic
hat Rechtswissenschaften an der Universität Wien studiert. Seit März 2020 ist sie als Universitätsprofessorin für Öffentliches Recht an der TU Wien tätig.