Frequentis

MEHR SICHERHEIT DURCH KÜNSTLICHE INTELLIGENZ

Flugsicherung, Bahn, Verteidigung, öffentliche Sicherheit und öffentlicher Verkehr: Es gibt kaum einen Bereich, in dem Frequentis nicht für Sicherheit sorgt. Das aus Wien stammende und weltweit agierende Hightech-Unternehmen hat es sich zur Aufgabe gemacht, Lösungen für sicherheitskritische Informations- und Kommunikationssysteme
zu schaffen. Dabei rücken Technologien rund um künstliche Intelligenzund maschinelles Lernen immer weiter in den Vordergrund.

Text: Lela Thun Foto: Frequentis

299 Millionen € Jahresumsatz, rund 2.100 Mitarbeiter, Niederlassungen in 50 sowie Aktivitäten in 150 Ländern weltweit – mit seinen auf Information, Sprachkommunikation und vor allem Sicherheit fokussierten Lösungen, die in Kontrollzentralen für den sicherheits­kritischen Bereich zum Einsatz kommen, ist aus Frequentis in mehr als sieben Jahrzehnten ein weltweit führendes Unternehmen ge­worden.

Der Erfolg liegt auch darin begründet, dass Frequentis ständig auf der Suche nach neuen Ideen und innovativen Lösungen ist, um die eigenen Produkte besser zu machen oder die Produktpalette zu erweitern. Unter anderem setzt das Unternehmen auf künstliche Intelligenz (KI) und maschinelles Lernen, um etwa die Flugsicherheit, die Wartungsinter­valle für Bahngleise oder die Kommunikation in Notfällen besser und effizienter zu gestalten.

Eben dieses Suchen nach neuen Lösungen ist Alltag für Eduard Gringinger. Er ist seit 13 Jahren bei Frequentis und heute als Senior Lead Scientist innerhalb von Corporate Research für neue Lösungen in verschiedenen Geschäftszweigen verantwortlich. Gringinger studierte Informatik und Informatikmanagement an der TU Wien (TUW) und forscht heute in den Bereichen ­Informationsmanagement und Data Science; zudem arbeitet er als technischer Gutachter für die EU.

Wir haben ihn gefragt, welche ­Themen gerade bei Frequentis aktuell sind, wo KI-Technologie schon heute zum Einsatz kommt – und was dieser Forschungsaufwand eigentlich kostet.

Welche Rolle spielen künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen schon heute im Tages­geschäft von Frequentis?

[EDUARD GRINGINGER]: Wir haben mehrere Geschäftsbereiche, in denen diese Technologien bereits Anwendung finden. In der Flugsicherung verwenden wir zum Beispiel etwas, das sich Objektfilterung nennt: Dabei nutzen wir künstliche Intelligenz, um die Erkennung von Objekten in Videos zu verbessern, was im Produkt Smart Vision verwendet wird. Ein sehr großer Fokus liegt meistens in der Automati­sierung, um wiederkehrende Aufgaben leichter zu gestalten und die Arbeitsbelastung für den Menschen zu reduzieren – so kann der jeweilige Nutzer mehr Konzentration für sicherheitskritische Aufgaben einsetzen. Grundsätzlich unterscheidet man Assistenz­systeme in drei Kategorien: jene, die dem Nutzer ausschließlich Assistenz bieten; andere, sogenannte halb­automatisierte Systeme, die dem Nutzer Arbeit abnehmen – und zuletzt voll automatisierte Sys­teme, die aber derzeit noch keinen ­echten Einsatz im Tages­geschäft finden.

Die Anwendungsfälle, in denen die KI-Technologien heute zum Einsatz kommen, sind vielfältig. In welchen Bereichen erkannten Sie erstmals, dass KI für Frequentis eine Rolle spielen könnte?

[E. G.]: Unsere ersten Versuche entstanden rund um das Kerngeschäft von Frequentis: Kommunikation in der Flugsicherung. Unser Ziel war es, mittels KI die Spracherkennung zu verbessern. In diesem Bereich hatte man nämlich immer wieder mit einer schlechten Sprachqualität zu kämpfen, welche die Spracherkennung unmöglich machte. Es hat immer wieder Versuche gegeben, dieses Problem ohne KI zu lösen – wir sind jedoch letztendlich überzeugt, mit der künstlichen Intelligenz den richtigen Weg ein­geschlagen zu haben, um eine optimierte Spracherkennung zum Einsatz zu bringen. Ein weiterer Bereich ist die KI-basierte Muster­erkennung: Sie soll Flug- oder Fahrzeuge aus ­unterschiedlichen Blick­winkeln erkennen, damit die Lokali­sierung sichergestellt ist. Die Techno­logie soll also zum Beispiel erkennen, ob das Objekt sich auf dem Runway, am Haltepunkt oder in einer Stand- oder Parkposition befindet.

Gemeinsam mit ONDEWO arbeiten Sie an einem KI-gestützten Air-Traffic-Management-System, wobei eine Maschine die Stimme des Piloten erkennt und für eine Automatisierung der Kommunikation zwischen Pilot und Lotse sorgt. Wie weit ist das ­Projekt vorangeschritten? Welche großen Herausforderungen gab es hier zu lösen?

[E. G.]: Das Projekt nennt sich Next Generation Safety und hat das Ziel, künstliche Intelligenz zur Steuerung von Air-Traffic-Management zu verwenden; gefördert wird es von der Öster­reichischen Forschungsförderungs­gesellschaft FFG. Zusammen mit ONDEWO – mit Standort im Frequentis StartUp Center – forschen wir an neuen KI-Algorithmen im Bereich von Speech to Text und umgekehrt. Wir wollen so die Kommunikation zwischen Flug­lotse und Pilot automatisieren. Unser Ziel ist es, den Fluglotsen im Aware­ness­­Bereich zu unterstützen, damit dieser in der Zukunft mehr in die Rolle eines Supervisors wechseln kann. In Zukunft soll er KI quasi nur noch überwachen, um notfalls einschreiten zu können, und so auch sein Erfahrungswissen an das System weitergeben. Das Projekt endet im August 2022 – zwei Drittel des Wegs sind bereits geschafft. Gerade arbeiten wir daran, die Sprach­erkennung zu verbessern.

Im Projekt HARMONY versuchen Sie wiederum, mittels KI frühzeitig Gleisschäden bei Zügen zu erkennen. Wie kam es zu dem Projekt?

[E. G.]: Dieses Projekt entstand ebenfalls durch Unterstützung der FFG. Da arbeiten wir mit Mission Embedded als Konsortialführer zusammen, einem Unternehmen aus der Frequentis-Gruppe, sowie dem Institut für Computer­technik der TU Wien. Begonnen hat das Ganze mit dem Ziel, Gleisschäden frühzeitig zu erkennen; mittels künstlicher Intelligenz sollen Anomalien in der Infrastruktur lokalisiert werden, um Unfälle zu vermeiden. Im Moment wird daran gearbeitet, große Mengen an Sensordaten effizient zu reduzieren, um diese zeitnah an Bord eines Zugs analysieren zu können.

Zu den weiteren Projekten von ­Frequentis zählt zum Beispiel auch Slotmachine. Woran arbeitet Ihr ­Unternehmen hier konkret?

[E. G.]: Das Projekt Slotmachine befindet sich noch in einem frühen Stadium der Entwicklung und entsteht in Zusammenarbeit mit Horizon 2020, Eurocontrol, dem Austrian Insti­tute Of Technology AIT, der Johannes Kepler Universität und der Fluglinie Swiss. Hier wird ein Marktplatz für Flug­linien gebaut, um Slot-Prioritäten im Traffic-Management austauschen zu können. Wir haben mit dem Problem zu kämpfen, dass Airlines ihre Geschäfts­modelle ungern preisgeben und daher ihre Daten nicht gerne auf konventio­nellem Wege zur Verfügung stellen. Daher verwenden wir hier die Kombi­nation aus Multi-Party Compu­tation und Blockchain-Technologie, um Datenschutz und gleichzeitig eine Unveränderbarkeit der Transaktionen zu garantieren, damit die Unternehmen entsprechendes Vertrauen in eine solche Lösung haben.

Welche Einsatzmöglichkeiten von KI sehen Sie im Bereich der Flug­sicherung?

[E. G.]: Aus meiner Sicht finden sich die interessantesten Anwendungen in der Konfliktlösung. Eine KI soll hierbei erkennen können, wenn zwei Flugzeuge kollisionsgefährdet sind. Fluglotsen müssen die Warnung des Computers dann nur noch akzeptieren und entsprechende Maßnahmen setzen. Eine weitere Anwendung wäre im Bereich der Anomalie-Erkennung – ein Algo­rithmus könnte hierbei Flüge analy­sieren und all jene identifizieren, die ungewöhnliche Merkmale auf­weisen und dann herausfinden, warum es zu diesen Anomalien kam. So könnte man später beispielsweise Verzögerungen vermeiden.

Was hat es mit der Frequentis Data Science Community auf sich?

[E. G.]: Wir haben innerhalb der Frequentis AG in Wien nach einer Möglich­keit gesucht, Wissen in die Breite zu bringen. So haben wir beschlossen, Menschen den Raum zu geben, dass sie Communitys zu gewissen Themen gründen können, um Workshops abzuhalten und Ideen zu fördern. Eine dieser Communitys ist die Data Science Community. Dort beschäftigen wir uns mit unterschied­lichen Fragen, etwa: Wie sammelt man Daten überhaupt? Welche State-of-the-Art-Technologien gibt es dazu? Wie kann man künstliche Intelligenz hier am besten integrieren? Was sind relevante Anwendungsbereiche? Die Informationen werden dann ge­sammelt und den einzelnen Bereichen zur Verfügung gestellt. Eingeladen zu diesen Communitys werden interessierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den diversen Niederlassungen der Frequentis-Gruppe, die sich mit solchen Technologien beschäftigen.

Wie heikel ist der Einsatz von KI ­in sensiblen Bereichen wie der Sicherheitsbranche? Welche Vorkehrungen müssen Sie treffen, um das Vertrauen aller Beteiligten zu bekommen?

[E. G.]: Das ist wirklich ein ganz wichtiger und kritischer Punkt. Grundsätzlich gibt es bereits Vorschriften, die auch für den Einsatz von KI zutreffen. Das Problem geht aber über diese bestehenden Vorschriften hinaus. Beim Deep Learning (Teilbereich der KI, bei dem Maschinen aus großen Datenmengen lernen, Anm.) muss beispielsweise darauf geachtet werden, dass die Parameter des Lernens richtig eingestellt wurden und die Bewertungen der Daten korrekt abläuft – das Stichwort lautet Learning Assurance. Dabei wird darauf geachtet, dass die Ergebnisse, welche durch den Deep-Learning-Prozess zustande kamen, auch rückverfolgbar sind. Ein anderer Punkt ist die Bilderkennung: Hier wird heutzutage meistens auf neuronale Netzwerke gesetzt. Das Problem dabei ist aber, dass kleine Veränderungen in den Daten zu komplett unterschiedlichen Ergebnissen führen können. Um hier Sicherheit zu gewährleisten, braucht es Zwischenschritte in der Bearbeitung. Die Ergebnisse werden eingefroren und getestet und können erst dann in den operationalen Bereich überführt werden. Hier ist die Explainability sehr wichtig – also zu wissen, wo die Ergebnisse herkommen und ­warum der Algorithmus funktioniert, wie er funktioniert.

Wie viel Geld gibt Frequentis für Forschung und Entwicklung ins­gesamt aus?

[E. G.]: Im Jahr 2020 haben wir für unfinanzierte Forschung und Entwicklung ungefähr 13 Millionen € ausgegeben. Das ist weniger als im Vorjahr – und durch die Pandemie bedingt auf eine starke Fokussierung auf die refinanzierten Forschungs- und Entwicklungsaufwände und weniger stark auf unfinanzierte, freie F&E-Aufwände zurückzuführen.

Wie finanzieren Sie diese Forschung? Verkaufen Sie die ent­wickelten ­Lösungen an andere Unter­nehmen oder nutzen Sie diese ausschließlich für unternehmensinterne Zwecke?

[E. G.]: Wir investieren einen bestimmten Anteil in Forschung. Das sind Vorhaben, die uns erst in einigen Jahren wirtschaftlichen Erfolg bringen können und trotzdem nötig sind, um die Technologie­führerschaft in unserer Branche behalten zu können. Zum Teil können diese Vorhaben über Förder­programme teil­finanziert werden. Oft werden diese Forschungs­projekte durch Frequentis gemeinsam mit Universi­täten und unseren Kunden betrieben, und alle drei Parteien sind an den Forschungs­ergebnissen interessiert.

Wie sieht Ihrer Meinung nach die ­Zukunft der KI aus? Was dürfen wir erwarten?

[E. G.]: Der Hype um das ganze Thema ist groß, in gewisser Weise zu groß. Natürlich gibt es zahlreiche sinn­volle Anwendungsgebiete, die wir auch bei Frequentis sehen. Doch oft übersteigen die Erwartungen der Beteiligten die Möglichkeiten. Es wird nicht alles in Zukunft sofort vollautomatisch sein. Natürlich ist es toll, wenn ver­sprochen wird, dass Autos selbstständig fahren – tatsächlich sind die meisten Fahrzeuge und vor allem die Technologie aber noch nicht so weit. Dennoch: Es bleibt spannend, was die Zukunft bringen wird.