Licht aus

Berühmte Forscher*innen und Erfinder*innen, dazu jede Menge Schriftsteller*innen, Ärzt*innen, Intellektuelle und Industrielle,
die sich regelmäßig treffen, um miteinander zu plaudern, zu trinken und sich über aktuelle Entwicklungen auszutauschen.

Text: tuw.media-Redaktion

Im Jahr 1765 ­trafen sich berühmte ­Gelehrte wie Erasmus Darwin (Naturforscher und Großvater von Charles Darwin), Joseph Priestley (Entdecker des Sauerstoffs) oder James Watt (Fortentwickler der Dampfmaschine) einmal im Monat mit anderen Mitgliedern der „Lunar Society“. Diese „Mond-Gesellschaft“ war allerdings nicht speziell an der Erforschung unseres Nachbarn im All interessiert, sondern vielmehr an seinem Licht: Die Treffen fanden immer dann statt, wenn gerade Vollmond war, denn da konnte man nachts sehr viel leichter wieder nach Hause kommen.

Eine Lunar Society der Gegenwart müsste sich nicht um den Mond­kalender kümmern, sondern könnte sich jeden Tag treffen. Dank moderner Straßenbeleuchtung muss man sich keine Gedanken mehr darüber machen, ob man den Heimweg auch in stockfinsterer Nacht findet – denn eine „stockfinstere Nacht“ gibt es ­quasi nicht mehr. Zumindest nicht in Mitteleuropa, und schon gar nicht in dicht besiedelten Regionen wie Birmingham, dem Gründungsort der Lunar Society. Heute ist das die zweitgrößte Stadt des Vereinigten Königreichs mit mehr als einer Million Einwohner; aber auch im 18. Jahrhundert war Birmingham kein abgelegenes Dorf, sondern eine Stadt mit gut 30.000 Menschen – und trotzdem stockfinster, sobald die Sonne unterging und kein heller Vollmond am Himmel stand.

Wir können uns heute fast nicht mehr vorstellen, wie ein wirklich dunkler Nachthimmel aussieht. 80 Prozent der Weltbevölkerung und 99 Prozent der Menschen in Europa sind von „Lichtverschmutzung“ betroffen. 60 Prozent aller in Europa lebenden Menschen können die Milchstraße nicht sehen und verpassen damit einen Anblick, der für die überwiegende Mehrheit der Menschen während der überwiegenden Zeit der Menschheitsgeschichte Nacht für Nacht vollkommen normal war. „Lichtverschmutzung“ ist aber eigentlich das falsche Wort: Nicht das Licht wird dreckig, sondern wir verschmutzen die Dunkelheit mit künstlichem Licht.

Das stört natürlich die Astronominnen und Astronomen, die sich auch aus diesem Grund für ihre Forschung in abgelegene Regionen der Welt zurückziehen (müssen). Wer nun nicht gerade selbst zu dieser zugegebenermaßen kleinen Gruppe von Menschen gehört, könnte geneigt sein, das Problem zu ignorieren: Warum sollen wir nachts durch die Dunkelheit stolpern, nur damit ein paar Nerds ferne Galaxien beobachten können? Weil es erstens durchaus spannend ist, ferne Galaxien zu erforschen – und weil die Lichtverschmutzung zweitens nicht nur die Forschung betrifft: Auch viele Tiere und Pflanzen leiden unter den unnatürlich hellen Nächten. Vögel und Insekten können sich nicht mehr vernünftig orientieren, der Wachstumszyklus von Pflanzen wird durch­einandergebracht; Beutetiere, die auf den Schutz der Dunkelheit angewiesen sind, werden öfter von Räubern gefressen und so weiter und so fort.

Wem neben Astronomie auch Umweltschutz egal ist, sollte einmal darüber nachdenken, warum denn der Himmel eigentlich hell ist. Gegen Licht in der Nacht ist ja eigentlich nichts einzuwenden. Da haben die Mitglieder der Lunar Society ja absolut recht gehabt: Es ist viel angenehmer, durch die Gegend zu gehen, wenn man auch sehen kann, wohin man steigt. Wir brauchen das Licht also am Boden, auf der Straße, und auch zur Beleuchtung der Häuser. Aber wozu sollten wir den Himmel beleuchten? Alles Licht, das dort landet, ist tatsächlich verschwendet, und diese Verschwendung kostet Geld. Überall dort, wo der Himmel zu hell ist, wird ohne Not Strom und Energie verschwendet. Wir wären ja durchaus in der Lage, die Beleuchtung so zu organisieren, dass wirklich nur das hell wird, was auch hell sein soll, verzichten aber aus Bequemlichkeit und Unwissen darauf. Oder aus falscher Angst vor der Dunkelheit – denn auch, wenn alle Studien zeigen, dass eine Reduktion der nächtlichen Beleuchtung nicht zu mehr Kriminalität führt, lehnen viele Menschen Konzepte zur Eindämmung der Licht­verschmutzung ab, weil sie sich dadurch mehr Sicherheit versprechen.

Selbst wenn man von den Problemen für die astronomische Forschung, den (teils lebensgefährlichen) Schwierigkeiten für Tiere und Pflanzen und der absurden Verschwendung von Energie absieht, bleibt immer noch ein großes Problem: der Verlust der Dunkelheit. Und das Schlimme daran ist, dass die meisten Menschen sich dabei gar nicht bewusst sind, dass sie etwas verloren haben. Der Anblick des Sternenhimmels gehört zu unserem historischen Erbe; die Tausenden Lichter am dunklen Himmel haben uns von Anfang an begleitet und selbstverständlich auch beeinflusst. Wir haben unsere Götter bzw. Göttinnen und Held*innen, unsere Mythen und Monster an den Nachthimmel gesetzt; unsere Wünsche, Ängste und den ganzen Rest von dem, was es hier unten auf der Erde nicht gibt. Die Sterne und die Nacht haben Religion, Kunst, Kultur und Wissenschaft über Jahrtausende hinweg beeinflusst – aber das, was wir heute sehen, wenn wir nachts zum Himmel schauen, hat nichts mit dem zu tun, was man früher sehen konnte.

Das ist tragisch. Die Lichtverschmutzung gehört aber glücklicherweise zu den Problemen, die man vergleichsweise schnell lösen kann. Im Gegensatz zur Klimakrise braucht man hier wirklich nur die richtigen technischen Mittel, um die Nacht wieder annähernd so dunkel zu machen, wie sie sein soll. Das Licht ist ein Symbol unserer Zivilisation und unseres technischen Fortschritts. Wir wollen es nicht aufgeben und müssen es auch nicht. Aber wenn wir unser Wissen vernünftig einsetzen, dann können wir beides haben: Licht auf der Erde und Dunkelheit am Himmel.

Text, Foto: Science Busters