Leben wir bald auf dem Mars?

„Der Weltraum hat die Menschen schon immer fasziniert“, sagt Sandra Häuplik-Meusburger, „wir blicken auf zu den Sternen und träumen von dem, was sein kann.“ Häuplik-Meusburger ist Weltraumarchitektin und Dozentin an der TU Wien. Als solche hat sie einen besonderen Blick auf den Weltraum, denn Architektur verbindet verschiedene Kulturen und Professionen miteinander.

Text: tuw.media-Redaktion

Es seien der menschliche Drang, Neues entdecken zu wollen, aber auch der Traum von einer besseren Welt, die die Erforschung des Weltraums vorantreiben. Gerade kreativ Schaffende, zu ­denen Häuplik-Meusburger auch Architekt*innen zählt, erzeugen Zukunftsbilder, die unser Denken beeinflussen. „Als Architekt*innen schaffen wir Räume für die Zukunft, aber vor ­allem Möglich­keiten“, hebt Häuplik-Meusburger hervor. Gerade dieser Zukunfts­gedanke ist es, der Architektur und Science-Fiction miteinander verbindet: Werden wir einmal in einer Utopie oder in einer Dystopie leben? Damit die Zukunft eine lebenswerte ist, gilt es auch in der Weltraumarchitektur diverse Grundprinzipien zu beachten. Eines ­davon: „Es gibt nichts zu verschenken“ – Nachhaltigkeit ist ein zentraler Gedanke. Außerdem: „Weltraumarchitektur verzeiht keine Fehler“ – während ein mangelhaftes Bauelement auf der Erde schnell ersetzt werden kann, gestalten sich Aufgaben wie diese außerhalb unseres Planeten deutlich schwieriger.

Denn trotz der Weitläufigkeit des Weltraums sind die Ressourcen begrenzt, die man von der Erde mit zum Mond oder einem anderen ­Planeten nehmen kann. Ressourceneffizienz ist anderorts daher noch viel wichtiger als auf der Erde. Dennoch wäre es falsch, alle Rohstoffe von der Erde mit­zubringen. Teil der Besiedlung des ­Weltraums ist es vielmehr, die Himmelskörper und ihre Ressourcen zu kennen und zu nutzen. Wie lässt sich ­beispielsweise auf dem Mond Wasser gewinnen, oder auf dem Mars Sauerstoff? Und welche ­Ressourcen eignen sich für bauliche Zwecke? Regolith, auch als Mondstaub bekannt, kann beispielsweise für den Strahlenschutz ­verwendet werden, ebenso als ­Grundstoff für den 3D-Druck.

Für einen Forschungsaufenthalt würde Sandra Häuplik-Meusburger sofort zum Mond fliegen. Die Weltraumarchitektur plant aber auch Habitate auf unseren Nachbarplaneten Mars und Venus. Denkbar wäre, dass diese als Basen für „Deep Space“-Missionen genutzt werden; sie werden aber eher von den heutigen Schüler*innen und Studierenden durchgeführt werden, lässt Sandra Häuplik-Meusburger erwarten, denn die Planung und Umsetzung wird noch einige Jahre in Anspruch nehmen. Die Arbeit der Weltraumarchitekt*innen befindet sich somit nah an der Grenze von Science und Science-Fiction; denn das, was sie planen, ist physikalisch und funktionell durchaus ­möglich, und doch handelt es sich bislang zumeist um Projekte und Objekte, die nur in den Köpfen ihrer Entwickler*innen, in Skizzenbüchern oder auch in Vollendung auf der Erde existieren - noch. Ist das aber Grund genug, um die Weltraumarchitektur in der Ecke der Science-Fiction zu verorten?

Nein, denn Science-Fiction kann Wirklichkeit werden. Hinzu kommt, dass das Wissen der Weltraum­architekt*innen auch auf der Erde von Nutzen ist. Weltraumarchitekt*innen planen für ein Leben unter extremen Bedingungen, wie wir sie auch in der Wüste oder am Meeresgrund vorfinden. Science-Fiction kann aber auch als Inspirationsquelle dienen – Forschende arbeiten beispielsweise bereits an einem Weltraumaufzug, der die Erde mit einem Punkt im Orbit verbindet und den Transport von Menschen und Gütern ganz ohne Rakete er­möglicht. Die Idee dafür formulierte Arthur C. Clarke bereits 1968 in seinem Roman „2001 – Odyssee im Weltraum“. Aber auch die Idee der künstlichen Gravitation stammt aus diesem Roman. Ließe sich auf einer Raumstation nahe der Erde die Gravitation vari­ieren, wäre das ein Durchbruch für die Erforschung von Weltraum-Equipment wie Raumanzügen unter ver­schiedenen Bedingungen.

Den Traum vom Weltraum haben nicht nur jene, die ihn erforschen wollen – auch Nicht-Kosmo­naut*innen wollen hoch hinaus. Bereits 2021 starteten die ersten Raketen mit ziviler Besatzung in den Weltraum. Möglich machten dies die Unternehmer Richard Branson (Virgin Galactic) und Jeff Bezos (Blue Origin). Der erste Platz für einen kurzen Flug mit der „New Shepard“ in die luftige Höhe von 106 km wurde für 28 Millionen US-$ versteigert. Neben diesen kurzen Ausflügen in den Orbit möchte Blue Origin künftig auch Reisen zu einer privaten Raumstation ermöglichen. Auf „Orbital Reef“ soll nämlich nicht nur geforscht werden, auch Tourist*innen sollen die Station ab Ende des Jahrzehnts besuchen können.

Die Weltraumarchitektur als Spezialfall der Architektur erfreut sich nicht nur steigender Notwendigkeit, sondern auch wachsender Beliebtheit. 2023 wird an der TU Wien Academy der europaweit erste Studiengang angeboten werden, der sich auf Weltraumarchitektur spezialisiert. Mit dem „MBA Space Architecture“ richtet sich die Universität aber nicht nur an Architekt*innen, sondern auch an Entscheidungsträger*innen aus unterschiedlichsten Bereichen – denn um erfolgreich für den Weltraum entwerfen zu können, müsse man die Naturgesetze kennen, sich aber auch besonders mit psychologischen und physiologischen Aspekten des Menschen auseinandersetzen. Inter­disziplinarität ist daher besonders wichtig, ist Sandra Häuplik-Meusburger überzeugt: „Vieles gilt für das Entwerfen im Weltraum ebenso wie für das Entwerfen auf der Erde“, weiß die Weltraumarchitektin. „Wenn man es genau nimmt, leben wir bereits im Weltraum, denn unser Planet ist nur ein kleiner Teil dieser Unendlichkeit.“

Damit aus dem, was sich stellenweise eher nach Science-Fiction anhört, einmal Wirklichkeit werden kann, ist nicht nur eine interdisziplinäre, sondern auch eine interkulturelle Zusammenarbeit nötig. Das ist einerseits eine Heraus­forderung, andererseits aber auch eine große Chance. „Architektur verrät viel über die kulturellen Hinter­gründe einer Person. Auf dem Mond oder dem Mars werden aber Personen verschiedener Nationalitäten in den Habitaten zusammenleben, deren Bedürfnisse berücksichtigt werden müssen“, so Häuplik-Meusburger. Daher muss das, was Weltraumarchitekt*innen entwerfen, auch immer wandelbar sein. Es müssen grundlegende menschliche Bedürfnisse gedeckt werden. Dazu zählt der Wunsch nach Gemeinschaft ebenso wie die Notwendigkeit für einen individuellen Rückzugsort.

Davon, dass die Menschheit einmal die Erde verlässt und einen anderen Planeten besiedelt, ist Sandra Häuplik-Meusburger nicht überzeugt. Auch wenn Science-Fiction- wie Weltraumfans davon träumen, im Weltraum einen Ort zu finden, an dem die Menschheit neu anfangen kann, gilt: „Der Mensch ist so, wie er ist. Wo er auch hingeht, wird ihm sein Wesen folgen. Blicken wir in den Weltraum und sehen wir darin eine Zukunft voller Hoffnung, gleicht dies eher einem Blick in den Spiegel.“ Und das, was wir im Spiegel sehen, ist die Zukunft, die wir uns für unser „Raumschiff“, die Erde, wünschen.

© Project Protocity by Doris Binder, Aleksandra Brajic and Bojana Gojkovic, Mars Science City Design Studio 2020, HB2, TU Wien