Helge Bauer, Johannes Puch

Land der Seen, Land der Technik

Kärnten ist als Urlaubsort weit über die Landesgrenzen hinaus beliebt. Doch das südlichste österreichische Bundesland kann mit mehr als Seen und Bergen aufwarten: Welche Möglichkeiten Kärnten für die Industrie bietet und wie mehr junge Menschen für die Wissenschaften begeistert werden können, darüber sprachen wir mit Christina Hirschl von Silicon Austria Labs und Sandra Venus vom Kärntner Wirtschaftsförderungs Fonds.

Text: Lela Thun Foto: Helge Bauer, Johannes Puch

Der Kärntner Wirtschafts­förderungs Fonds ist seit 1993 ein Partner für die Kärntner Unternehmen im Bereich der Wirtschaftsförderung. Sandra Venus ist Mitglied des Vorstands und kennt die wirtschaftlichen Entwicklungen, den ­Fachkräftemangel und auch Kärntens Potenzial wie ihre Westen­tasche. Über die Aufstiegsmöglichkeiten und die Qualität der wissenschaftlichen Betriebe in Kärnten weiß jedoch auch Christina Hirschl Bescheid: Sie ist Head of Research Division Sensor Systems und Standortleiterin in Villach bei SAL (Silicon Austria Labs) und versucht, mit ihrem Engagement junge Menschen für die Wissenschaft zu begeistern.

Kärnten ist im deutschsprachigen Raum vor allem als Urlaubs- und Ausflugsziel bekannt. Was macht Kärnten aber als Arbeitsstandort für die Forschung und Industrie so beliebt?
[christina hirschl]: Kärnten hat wahnsinnig viel zu bieten. Wir werden immer mehr zu einem Hochtechno­logie-Bundesland. Das liegt vor allem an den vielen innovativen Unternehmen, die sich in den letzten Jahren hier angesiedelt haben. Zusammen haben wir ein richtiges Wissenschaftsökosystem geschaffen. In diesem Ökosystem ist in letzter Zeit in den Bereichen Elektronik und vor allem Mikroelektronik wahnsinnig viel passiert. In Zeiten wie ­diesen, wo natürlich ein Fachkräftemangel herrscht, hat Kärnten einen ganz ­großen Vorteil, und das ist unsere schöne Natur. Wir arbeiten an einem Ort, an dem ­andere Urlaub machen. Das fördert natürlich die Lebensqualität enorm.

[sandra venus]: Was Kärnten zusätzlich ausmacht, ist die heterogene Unternehmensstruktur; das heißt, in Kärnten gibt es sehr viele unterschiedliche Branchenschwerpunkte. Unsere stark gewachsene Sachgüterindustrie ist wahnsinnig abwechslungsreich, von Maschinenbau über Holz, Chemie und Kunststoff bis natürlich Mikroelektronik. Diese große Vielfalt ist beispielsweise auch ein Vorteil für zugezogene Paare. Sprich: Wenn die eine Person für einen Job nach Kärnten zieht, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der oder die Partner*in auch leicht in der ­Umgebung einen Arbeitsplatz findet. Natürlich macht die geografische Lage mit der Nähe zu Slowenien und Italien Kärnten auch zu einem internationalen Standort. Man bekommt quasi Europa auf kleinem Raum.

Wir arbeiten an einem ort, wo andere Urlaub machen.

Christina Hirschl, Head of Research Division Sensor Systems,
Standortleiterin in Villach bei SAL (Silicon Austria Labs)

Seit 2013 ist Sandra Venus erfolgreich als Vorstand des Kärntner Wirtschaftsförderungs Fonds tätig.

Wie arbeitet Kärnten daran, zu­ge­zogene Arbeitskräfte auch langfristig zu halten?
[C. H.]: Bei uns gibt es eine große Auswahl an internationalen Kindergärten und Schulen. Das ist besonders wichtig, weil wir viele internationale Arbeitskräfte haben. Wir bei Silicon Austria Labs versuchen, vor allem Familien eine gute Arbeitsqualität zu bieten. Das schaffen wir zum Beispiel mit unseren Teilzeit-All-in-Verträgen, die vor ­allem für Mütter sehr interessant sind. Das bedeutet, dass junge Mütter, die eventuell nach der Geburt nur noch Teilzeit arbeiten wollen, mit dem Teilzeit-All-in-Vertrag ihren All-in-Bonus weiterhin bekommen. Wir bieten außerdem den Arbeitnehmer viel Flexibilität bei den Arbeitszeiten an. Bei uns darf zwischen 6 Uhr und 21 Uhr gearbeitet werden, aber wann und wie viel man arbeitet, darf sich jeder selbst aussuchen. Wir sehen einfach, dass diese Flexibilität und diese Teilzeit-All-in-Verträge für die Lebensqualität eine große Ver­besserung bieten und Mitarbeiter deswegen auch gerne hier arbeiten.

Kommen viele der Arbeitskräfte in technischen Bereichen aus dem Ausland?
[C. H.]: Wir haben mittlerweile gut 290 Mitarbeiter an allen drei Standorten von SAL. Ungefähr die Hälfte davon kommt aus 40 unterschiedlichen Ländern. Sprich: Wir sind hier sehr international. Wir dürfen uns sehr glücklich schätzen und müssen dankbar sein, dass so viele Mitarbeiter aus dem Ausland zu uns kommen wollen. In bestimmten technischen Bereichen sind unsere Mitarbeiter, die aus dem Ausland kommen, besser aufgestellt als jene, die wir in Österreich rekrutieren können. Gerade im Bereich der Mikroelektronik fehlt uns hier in Österreich etwas. Wir haben zwar das Studium Elektrotechnik an der TU Wien, aber ein dezidiertes Studium für Mikroelektronik gibt es eigentlich nicht. Dennoch liefern TU Wien und TU Graz hervorragende Fachkräfte für diverse Bereiche. Doch wenn man sich anschaut, wie viele Menschen dort ein Studium anfangen und wie viele eines beenden, erkennt man schnell, dass wir zu viele Arbeitsplätze haben und zu wenige gut ausgebildete Fachkräfte. Es gibt einfach zu wenige Absolventen im Inland, um die stetig wachsende Nachfrage zu decken.

[s. v.]: Wir bemerken auch eine wachsende internationale Diversität in unseren Unternehmen, was diese natürlich auch vor Herausforderungen stellt, da sie die Unternehmenskultur anpassen müssen, damit sich jeder, egal aus welchem Land, im Unternehmen wohlfühlt. Dennoch sehen wir das große Poten­zial an Fachkräften aus dem Ausland und haben deshalb ein Projekt gestartet, um auch mittelgroße Unternehmen zu motivieren, Arbeitnehmerinnen und -nehmer im Ausland zu suchen.

Gibt es einen Fachkräftemangel im Bereich der Technik? Wie könnte man diesen beheben?
[s. v.]: Es gibt ganz klar einen Fachkräftemangel. Das liegt vor allem am starken Wirtschaftswachstum nach der Coronapandemie. Es suchen eigentlich alle gerade nach Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, egal, in welchem Bereich, egal, wie groß das Unternehmen ist. Wenn wir uns die Prognosen für die nächsten Jahre anschauen, sehen wir, dass es im Moment rund 564.000 Einwohnerinnen und Einwohner in Kärnten gibt. Die Vorhersagen für die nächsten 20 Jahre zeigen aber, dass die Zahl zurückgehen wird. So soll Kärnten im Jahr 2040 nur noch um die 553.000 Einwohner haben. Diesem Problem müssen wir uns ganz klar stellen. Wie machen wir das am besten? Ich bin der Meinung, dass wir Kinder schon in jungen Jahren für Wissenschaft und Technik, für naturwissenschaftliche Fächer begeistern müssen. Eines unserer Projekte, um die Kleinen in die Wissenschaft zu locken, ist das sogenannte Educational Lab am Lakeside Park. Das ist quasi ein offenes Forschungslabor für neue Formen der Aus- und Weiter­bildung, in dem Kinder spielerisch mit der Wissenschaft vertraut gemacht werden. Aber auch an der späteren Weiterbildung darf es nicht mangeln. So haben wir etwa ein Projekt mit der HTL Wolfsberg initiiert und so Robotik und Sensorik in die Werkmeisterausbildung integriert; zwei Bereiche, die gerade sehr gefragt sind.

[C. H.]: Ich kann Frau Venus hier in allen Punkten zustimmen. Es braucht aber meiner Meinung nach mehr flächen­deckende Initiativen, um junge Leute und junge Frauen für die Wissenschaft zu motivieren. Leider haben wir nämlich immer noch, trotz jahrelangem Fokus, zu wenige Frauen in der Wissenschaft. Würden mehr Mädchen diesen Ausbildungsweg wählen, wäre der Fachkräftemangel auch bestimmt nicht so groß. Auf der anderen Seite muss man unseren technischen Universi­täten wirklich hoch anrechnen, dass sie ständig am Puls der Zeit sind und ihr Lehrprogramm regelmäßig updaten. Leider motivieren sie dennoch nicht genug Leute, um mit technischen Studien­gängen anzufangen.

Wie hat sich der Wirtschafts­standort Kärnten während der Krisen ent­wickelt?
[s. v.]: Wie schon erwähnt gab es in Kärnten nach der Coronakrise einen großen Wirtschaftsaufschwung. Für das Jahr 2022 wurde ein Wirtschaftswachstum von plus 5 % prognostiziert. Das ist eine ganze Menge. In den letzten Jahren hatten wir aber vor allem mit Lieferketten­schwierigkeiten zu kämpfen. In fast allen Bereichen ist die Nachfrage gestiegen, konnte aber gleichzeitig mit den vorhandenen Ressourcen nicht gedeckt werden. Auch mit der derzeitigen Energiekrise und der Inflation haben wir in Kärnten, so wie überall anders auch, zu kämpfen.

Sandra Venus ist gebürtige Burgenländerin, studierte aber nach ihrem Schulabschluss Betriebswirtschaft in Graz. 2003 zog sie nach Kärnten und ging dort ihrer Leidenschaft für industrielle Themen und den Förderungsbereich nach. Seit 2013 ist Sandra Venus erfolgreich als Vorstand des Kärntner Wirtschaftsförderungs Fonds tätig.

Christina Hirschl ist gebürtige Kärntnerin, zog jedoch nach der Schule nach Wien, um Physik zu studieren. Obwohl ihre Eltern dachten, sie studiere nur das Lehramtsstudium Mathematik bzw. Physik, merkte die Kärntnerin schnell, dass sie keine geborene Lehrerin ist, und nahm ein klassisches Physikstudium auf. So absolvierte sie ihr Diplom und ihr Doktorat in Physik (und beendete zusätzlich dazu noch ihr Lehramtsstudium in Physik und Mathematik). Heute ist sie zurück in Kärnten und hat die Leitung von Silicon Austria Labs am Standort Villach übernommen, wo sie an der Halbleiter- und Mikroelektronik-Technologie forscht.

Frau Hirschl, Sie sind in der Halbleiterbranche tätig. Warum spielen Halbleiter für die Wirtschaft und für die Technologie eine so große Rolle?
[C. H.]: Meiner Meinung nach ist die Halbleitertechnologie in allen Bereichen ein wichtiger Baustein für unsere technologische Weiterentwicklung. Für fast alle Branchen bietet die Mikroelektronik eine Möglichkeit, in digitalisierte Funktionen einzusteigen. Dabei ist es egal, ob es sich um einen Holzverarbeitungsbetrieb oder einen Agrarbetrieb handelt; alle können von der Digitalisierung mittels Mikrotechnologie profi­tieren. Grundsätzlich ist es für uns natürlich sehr vorteilhaft, dass überall dieser Digitalisierungsdruck herrscht. Mittlerweile brauchen fast alle Branchen elektronische Bausteine, wo wir als ein essenzieller Zulieferer aus der Umgebung natürlich gut dastehen.

Wie sieht für Sie der Wirtschaftsstandort Kärnten in zehn Jahren aus?
[C. H.]: Das ideale Szenario wäre für mich eine sehr aktive Unternehmenslandschaft, die sich stets selbst neu erfindet. Ich sehe durchaus das Potenzial, dass sich hier in den nächsten zehn Jahren viele Start-ups ansiedeln und auch ältere Unternehmen zu uns kommen. Natürlich hoffe ich, dass sich viel im Bereich Mikroelektronik tut und die neu angesiedelten Unternehmen Halbleiter und Mikroelektronik einsetzen wollen. Ich hoffe wirklich, dass wir die Chance ergreifen können, aus diesem wunderschönen Bundesland Kärnten heraus den europäischen Markt zu bespielen und ein Zentrum für Industrie und Technologie zu werden.

[s. v.]: Wir leben in einer wunder­schönen, attraktiven und lebenswerten Region. Meine Vision ist es, dass wir auch als technologisches Zentrum wahrgenommen werden. Ich sehe uns auf einem guten Weg, uns mit den „Silicon Alps“ zu positionieren. Ich denke auch, dass in Zukunft unser innova­tives Ökosystem noch weiter aus­gebaut und die Zusammenarbeit von Wissenschaft, Wirtschaft und Aus­bildung noch besser funktionieren wird. Kärnten arbeitet wirtschaftlich eng mit der Steiermark zusammen, ich denke, dass dieses Verhältnis noch weiter gedeihen und auch über die Steiermark hinaus wachsen kann.