ESA , © Contains modified Copernicus Sentinel data (2016), processed by ESA, CC BY-SA 3.0 IGO

Klimaradar aus dem Weltraum

Manchmal muss man die Erde verlassen, um sie besser zu verstehen: Erdbeobachtungssatelliten tasten die gesamte Oberfläche unseres Planeten mit Mikrowellen-Signalen ab. Die Daten werden dann auf die Erde gefunkt und mit aufwendigen Methoden analysiert. Auf diese Weise kann man viele Aspekte des Klimawandels besser verstehen – von Dürreperioden und Hochwasserkatastrophen bis zum Anstieg des Meeresspiegels.

Text: tuw.media-Redaktion Foto: ESA , © Contains modified Copernicus Sentinel data (2016), processed by ESA, CC BY-SA 3.0 IGO

Beobachter von Pol zu Pol
Knapp 99 Minuten braucht Sentinel-1A, um die Erde zu umkreisen. Der Satellit, der im Jahr 2014 von der europäischen Weltraumorganisation Esa in den Orbit geschickt wurde, bewegt sich von Pol zu Pol um unseren Planeten. Während er in einer Höhe von gut 700 Kilometern seine Runden dreht, rotiert darunter die Erde um ihre eigene Achse. Daher überquert der Satellit bei jeder Erdumkreisung einen anderen Teil der Erdoberfläche und kann Streifen für Streifen die gesamte Erdoberfläche untersuchen.

Dafür werden Radarwellen verwendet, mit einer Wellenlänge im Mikrowellenbereich, ähnlich wie man sie bei der Luftraumüberwachung am Flughafen einsetzt. Der Satellit sendet Radarwellen zu Boden, ein Teil davon wird von der Erdoberfläche reflektiert und zurückgeworfen. Nach jedem Mikrowellen-Puls, den er zur Erde schickt, registriert der Satellit ein Radarwellen-Echo.

Dieses schwache, oft verzerrte und verrauschte Echosignal ist der Datenrohstoff, den wissenschaftliche Forschungsgruppen auf der ganzen Welt in wertvolle Information umwandeln. Aus diesen Messungen kann man Antworten auf wichtige Fragen ableiten: Was befindet sich dort am Boden – Vegetation, Wüste, Gebäude? Wie feucht ist der Boden momentan? Handelt es sich vielleicht um ein Überschwemmungsgebiet, in das man Hilfe senden sollte? Oder ist vielleicht der Boden dort ungewöhnlich trocken, sodass Dürrekatastrophen zu befürchten sind?

Solche Messergebnisse sind für die Klimaforschung äußerst wertvoll – ganz besonders dann, wenn man über Jahrzehnte hinweg Daten sammelt und dadurch langfristige Veränderungen untersuchen kann: In welchen Gegenden der Welt hat sich die Vegetation verändert? Was bedeutet der Klimawandel für den Wasserkreislauf? Wie stark ist der Meeresspiegel angestiegen?

Von den Rohdaten zur Information
Während die Radaranlage am Tower des Flughafens sehr einfach und schnell die empfangenen Daten in Flugzeug-Positionspunkte auf dem Bildschirm umwandelt, ist die Auswertung der Satellitendaten mühevoll und kompliziert: Um von den rohen Sensordaten, die Sentinel-1A registriert, zu verlässlichen Aussagen über die Beschaffenheit der Erdoberfläche zu gelangen, sind viele Arbeitsschritte nötig. Daran arbeiten die Forschungsgruppen von Prof. Wolfgang Wagner und Prof. Wouter Dorigo an der TU Wien. Seit Jahren werden dort am Department für Geodäsie und Geoinformation Satellitendaten gespeichert, verarbeitet, analysiert und mit anderen Datenbanken in Beziehung gesetzt.

Wolfgang Wagner studierte eigentlich Physik, bevor er dann für seine Doktorarbeit auf das Gebiet der Satelliten-Fernerkundung wechselte. Die beiden Fächer sind eng miteinander verwandt. „Es gibt viele physikalische Effekte, die man berücksichtigen muss, um die Daten korrekt interpretieren zu können“, erklärt Wagner.

Auf den ersten Blick könnte man glauben, die Sache sei recht simpel: Unterschiedliche Oberflächen reflektieren die Radarwellen unterschiedlich gut. An einer spiegelglatten Wasseroberfläche kann die Radarwelle einfach abprallen, ohne jemals wieder zum Satelliten zurückzukehren. Wasseroberflächen erscheinen auf den Radarbildern daher bloß als ein schwarzes Nichts. Wenn die Radarwelle hingegen auf eine kompliziert geformte Oberfläche trifft, etwa auf eine Baumkrone, dann sieht die Sache anders aus: Von den vielen Blättern werden die Radarwellen in alle möglichen Richtungen reflektiert, unter anderem auch in die Richtung, aus der sie gekommen sind – und diese Reflexion kann der Satellit dann messen.

„Das heißt aber nicht, dass jeder Punkt, der keine Wellen reflektiert, eine Wasseroberfläche sein muss“, erklärt Wagner. „Eine ebene Landepiste am Flughafen sieht in den Rohdaten beispielsweise ganz ähnlich aus. Auch glatte Sandböden in der Wüste können ein solches Bild ergeben – der Sand lässt die Strahlung eindringen und verschluckt diese quasi in größere Tiefe.“

Umgekehrt kann es aber auch passieren, dass ein Gebiet zwar überschwemmt ist, aber auf den Satellitenaufnahmen nicht aussieht wie eine glatte Wasseroberfläche – etwa wenn ein Waldgebiet überflutet wird, die Baumkronen aber noch über das Wasser hinausragen.

„Es gibt keinen einfachen Trick, der uns in jeder Situation erlaubt, die Satellitendaten korrekt zu interpretieren“, erklärt Wolfgang Wagner. „Wir müssen bei jedem einzelnen Pixel mit unterschiedlichen Algorithmen entscheiden, welche Interpretation an dieser Stelle die wahrscheinlichste ist.“ Dazu ist es wichtig, in die Vergangenheit blicken zu können: Erst indem man Zeitreihen analysiert und die aktuellen Messergebnisse mit älteren Daten in Beziehung setzt, ergibt sich ein zuverlässiges Bild.

Auf diese Weise konnte zum Beispiel ein großes Hochwasser in China im Oktober 2021 nachverfolgt werden: Vorhersagemodelle hatten vor allem hohe Pegelstände entlang des Gelben Flusses erwarten lassen, tatsächlich konnte man dann aber anhand der Satellitendaten erkennen, dass eher Flüsse weiter im Norden von Überflutungen betroffen waren. Auch Hochwasserereignisse in Österreich lassen sich mit solchen Daten besser einordnen: „Es gibt in Österreich sehr gute Karten, die mögliche Überflutungsflächen im Falle eines 30- oder 100-jährliches Hochwassers ausweisen“, sagt Wolfgang Wagner. „Aber natürlich kann es im Falle einer realen Flut wie des Salzach-Hochwassers im Juli 2021 lokale Abweichungen von diesen Szenarien geben, die dank der Satellitendaten dokumentiert werden können.“

„Tropensturm Ana und die damit einhergehenden Regenfälle ließen den Fluss Shire nahe der Stadt Chikwawa (Malawi) über die Ufer treten. Der europäische Satellit Sentinel-1A beobachtete das Ereignis am 26. 1. 2022, wobei die entsprechenden überfluteten Flächen mittels des Algorithmus der Microwave Remote Sensing Forschungsgruppe erfasst wurden.“ Wolfgang Wagner über eine Aufnahme aus Malawi, einmal das Rohbild, dann die Berechnung dazu.

Erfolg und Misserfolg im Weltraum
Dass der Sentinel-Satellit die dafür nötigen Daten Tag für Tag zuverlässig zur Erde funkt, ist nicht selbstverständlich: Die Sentinel-Mission zeigt auch, was bei solchen Weltraummissionen alles schiefgehen kann. Im Sommer 2016, der Satellit Sentinel-1A hatte gerade eben erst zwei Jahre auf seiner vorgesehenen Umlaufbahn verbracht, kam es zu einem plötzlichen Leistungseinbruch. Bilder von der Bordkamera zeigten: Die Solarzellen waren durchschossen worden, vermutlich von einem winzigen Projektil mit einer Größe von wenigen Millimetern. Ob es sich um einen kleinen Partikel aus den Tiefen des Sonnensystems gehandelt hatte oder um menschgemachten Weltraummüll, lässt sich nicht sagen.

Was zurückbleibt ist eine Beschädigung mit einem Durchmesser von etwa 40 Zentimetern. Zum Glück wurde der Satellit dadurch aber in seiner Leistungsfähigkeit nicht wesentlich eingeschränkt. Die übrigen Solarzellen reichen aus, um den Satelliten mit Energie zu versorgen.

Weniger Glück hatte Sentinel-1B, der Zwillingsbruder von Sentinel-1A. Er wurde im April 2016 in eine Erdumlaufbahn gebracht – mit zwei identischen Satelliten sollte es möglich werden, jeden Punkt der Erdoberfläche doppelt so oft zu untersuchen. Das klappte zunächst auch wie geplant, doch im Dezember 2021 brach die Datenübertragung ab. Versuche, die Kommunikation wiederherzustellen, scheiterten. Bis heute ist nicht klar, ob es gelingen kann, Sentinel-1B zu reaktivieren. Die Erdbeobachtungsmission muss sich vorerst wieder mit einem einzigen Sentinel-Satelliten begnügen.

 

Bei der zivilen Erdbeobachtung ist Europa weltweit die Nummer eins.

Wolfgang Wagner

Das Klima und der Wasserkreislauf
An diesem technisch hochkomplexen Weltraumabenteuer hängen nicht nur Hochwasserprognosen für die ganze Welt, sondern auch viele andere Forschungsprojekte. Wouter Dorigo hat sich an der TU Wien darauf spezialisiert, die Feuchtigkeit der Böden und ihre Veränderung über Jahrzehnte hinweg aus Satellitendaten abzuleiten. Für die Klimaforschung ist das ein Schlüsselthema: Schon ein relativ geringer Temperaturanstieg verändert den Wasserkreislauf auf der Erde – und zwar auf komplexe Weise. „Eine höhere Temperatur bedeutet, dass mehr Energie im System vorhanden ist“, sagt Wouter Dorigo. „Wasser verdunstet schneller, die Luft kann größere Wassermengen halten, dadurch kann es auch zu stärkeren, länger andauernden Regenfällen kommen.“

Die weltweite Wasserzirkulation scheint sich zu verändern: Sowohl Regenperioden als auch Trockenperioden werden länger und intensiver. Manche feuchten Regionen werden tendenziell feuchter, während andere, trockene Regionen tendenziell trockener werden. Allerdings hängen die Veränderungen von verschiedenen regionalen Parametern ab, man kann keine allgemeinen Regeln aufstellen, die für den ganzen Planeten gültig sind. Nachdem niemand die gesamte Erdoberfläche mit Bodenfeuchte-Sensoren ausstatten kann, sind Satellitenmessungen in diesem Bereich die einzige zuverlässige Methode.

Wie wichtig diese Daten sind, die an der TU Wien mit viel Computer-Rechenarbeit aus den Sentinel-Satellitendaten gewonnen werden, zeigt sich daran, dass sie von zahlreichen Forschungsgruppen auf der ganzen Welt genutzt werden. Die Überflutungs- und Bodenfeuchte-Datenbanken, die Wolfgang Wagner und Wouter Dorigo mit ihren Teams anlegen, bilden die Basis für weiterführende Klimaforschung unterschiedlichster Art. So schafften es die beiden Forscher bereits mehrmals hintereinander auf die Liste der „highly cited researchers“, die von der Datenanalyse-Firma Clarivate Analytics jedes Jahr veröffentlich wird. Dort werden jene Forscherinnen und Forscher aufgelistet, deren Arbeiten am häufigsten in Fachjournalen zitiert werden.

Die nächsten Satelliten sind bereits geplant
Damit das auch so bleibt, muss die Europäische Weltraumorganisation Esa dafür sorgen, dass weiterhin zuverlässig Daten aus dem Weltraum geliefert werden: Zwei weitere Satelliten – Sentinel-1C und Sentinel-1D – sind bereits geplant. Sie sollten eigentlich die ersten beiden Sentinel-Satelliten ersetzen, wenn diese das Ende ihrer Lebenszeit erreicht haben. Aufgrund der Probleme mit Sentinel-1B könnte der nächst Satellitenstart allerdings vorgezogen werden.

Der gute alte Sentinel-1A, der nach wie vor brav seine Kreise von Pol zu Pol um unseren Planeten zieht, könnte also bald wieder Verstärkung bekommen. Für die Wissenschaft wäre das eine gute Nachricht: „Auch wenn Marssonden und andere Weltraummissionen vielleicht mehr Aufmerksamkeit erregen – die Erdbeobachtung ist ein sehr wichtiges Thema“, sagt Wolfgang Wagner. „Und angesichts des Klimawandels wird es in Zukunft immer wichtiger werden, Veränderungen auf unserem Planeten vom Weltraum aus genau im Blick zu behalten.“

Sentinel-1A sendet Radarwellen zu Boden, ein Teil davon wird von der Erdoberfläche reflektiert und zurückgeworfen. Nach jedem Mikrowellen-Puls, den er zur Erde schickt, registriert der Satellit ein Radarwellen-Echo. © ESA/ATG medialab

Weltklassetechnik
Wenn man Klimaforschung auf Spitzenniveau betreiben will, braucht man auch wissenschaftliches Equipment auf Spitzenniveau. Mit den Sentinel-Satelliten für die Erdbeobachtung hat die Europäische Raumfahrtbehörde Esa neue Maßstäbe gesetzt. Doch um sie optimal nutzen zu können, braucht man auch auf der Erde erstklassige Ausrüstung: Nur mit Supercomputern und riesigen Datenspeichern lassen sich die gewaltigen Datenmengen verarbeiten. Wolfgang Wagner über die technischen Herausforderungen der Erdbeobachtung.

Bei Mond- und Marsmissionen hatte bisher die US-amerikanische Nasa meist die Nase vorn. Die Satellitendaten, die Sie hauptsächlich verwenden, kommen aber von der Esa. Wie kommt das?Wolfgang Wagner: Das sind eben unterschiedliche Schwerpunktsetzungen. Bei der zivilen Erdbeobachtung ist Europa weltweit die Nummer eins. Die Europäische Union hat gemeinsam mit der Esa das Copernicus-Erdbeobachtungsprogramm ins Leben gerufen. Dabei werden ganz unterschiedliche Parameter untersucht – von Klima, Extremwetterereignissen und Bodenfeuchte bis hin zu Luftqualität oder Meeresverschmutzung. Die Sentinel-Satelliten sind das Herzstück dieses Umweltbeobachtungsprogramms. Die Daten werden nicht nur in der EU genutzt, sondern der ganzen Welt frei zur Verfügung gestellt.

Wolfgang Wagner
studierte an der TU Wien, dann führten ihn Forschungsaufenthalte unter anderem in die Schweiz, nach Kanada, zur Nasa in die USA und zur Europäischen Weltraumbehörde Esa in die Niederlande. 2001 kehrte er an die TU Wien zurück, dort ist er nun Dekan der Fakultät für Mathematik und Geoinformation.

Die Rohdaten des Satelliten selbst sind aber bloß der erste Schritt. Was braucht man danach, um die Daten entsprechend verarbeiten zu können? [W. W.]: Das ist eine Herausforderung. Über die Jahre sammeln sich gewaltige Datenmengen an, wir brauchen Datenspeicher in der Größenordnung von Petabyte. Bereits im Jahr 2014 haben wir deshalb das Earth Observation Data Centre (EODC) gegründet – ein Datenzentrum mit schnellen, leistungsfähigen Festplatten, ergänzt durch Bandspeicher-Backupsysteme. Es ist eine Kooperation der TU Wien mit der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik und Firmenpartnern.

Wie kann man diese Datenmengen verarbeiten? Ist es auch eine Herausforderung, die nötige Rechenpower aufzubringen? [W. W.]: Ja, dabei spielt der Vienna Scientific Cluster für uns eine wichtige Rolle. Das ist Österreichs leistungsfähigster Supercomputer, der von mehreren österreichischen Universitäten gemeinsam betrieben wird. Wir sehen in diesem Bereich sehr deutlich, wie wichtig die Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen wissenschaftlichen Institutionen ist: Eine einzelne Forschungseinrichtung ist kaum in der Lage, Datenspeicher oder Rechenzentren von internationalem Spitzenniveau zu finanzieren – geschweige denn ein Satellitenprogramm. Wenn man kooperiert und den Nutzen allen Beteiligten zugänglich macht, dann kann man weltweit in der ersten Liga mitspielen.