Andreas Löffler/TU Wien, Hannes Mikula

Klick!

Der Chemiker Hannes Mikula forscht an Molekülen, die wie Legosteine ineinander­klicken. Damit soll es möglich werden, Krebsmedikamente im Körper punktgenau an der richtigen Stelle freizusetzen.

Text: tuw.media-Redaktion Foto: Andreas Löffler/TU Wien, Hannes Mikula

Aufstehen um fünf Uhr fünfunddreißig – das käme für Hannes Mikula heute nicht mehr infrage. Aber als ­Schüler musste er das wohl oder übel in Kauf nehmen, um die Chemie-HTL Rosensteingasse besuchen zu können. Knapp zwei Stunden brauchte er, um aus seiner Heimatgemeinde im Burgenland nach Wien zu kommen. „Morgens habe ich im Zug meistens geschlafen, abends habe ich dann meine Hausaufgaben erledigt“, erinnert er sich.

Gelohnt hat sich die Mühe offensichtlich: Aus dem naturwissenschaftsinteressierten Schüler wurde ein höchst erfolgreicher Wissenschaftler, der heute als Professor am Institut für Angewandte Synthesechemie der TU Wien forscht und aufsehenerregende Erfolge vorzuweisen hat.

Moleküle wie Klemmbausteine
Hannes Mikulas Arbeitsgebiet gehört derzeit zu den heißesten Forschungsthemen der Chemie – die sogenannte „Click-Chemie“. Die Grundidee ist einfach: Ganz unterschiedliche Moleküle, zum Beispiel auch riesengroße Biomoleküle wie Proteine oder Antikörper, kann man mit speziellen Andockstellen ausstatten. Diese Andockstellen verbinden sich dann mit ihrem Gegenstück, das an einem anderen Molekül befestigt ist. So kann man verschiedene Moleküle auf gewünschte Weise relativ einfach zusammen­fügen, ähnlich wie Legosteine.

Lego hat Hannes Mikula schon als Kind interessiert – jetzt macht er also etwas Ähnliches, nur in deutlich kleinerem Maßstab. Dass er in diesem Forschungsbereich gelandet ist, kam durch eine Verkettung glücklicher Zufälle zustande. Der erste davon war ein Sommerpraktikum an der TU Wien. „Ich brauchte einen Praktikumsplatz für meine HTL-Abschlussarbeit, an der Schnittstelle zwischen Biologie und Chemie“, erzählt Mikula. „Ich habe damals einfach eine E-Mail an Professor Johannes Fröhlich an der TU Wien geschrieben, der sich in weiterer Folge sehr für mich eingesetzt hat.“

Fröhlich war es auch, der Hannes Mikula im Jahr 2007 zu einer wissenschaftlichen Fachtagung nach Berlin schickte, bei der – zufällig oder nicht – auch ein Vortrag des berühmten Chemikers Barry Sharpless auf dem Programm stand. „Ich war von diesem Vortrag anfangs eigentlich etwas enttäuscht“, erzählt Hannes Mikula – denn Barry Sharpless erzählte nicht etwa über spektakuläre Synthese­methoden, für die er 2001 seinen ersten Chemie-Nobelpreis bekommen hatte, sondern über eine chemische Reaktion von Aziden und Alkinen, zwei Chemikalien, die Hannes Mikula als jungem Studenten damals noch eher langweilig erschienen.

Ein Jahr später nahm er wieder an einer Fachtagung teil; diesmal sprach die Chemikerin Carolyn Bertozzi über ein ganz ähnliches Thema. „Ich dachte mir: ,Nicht schon wieder!‘“, erinnert sich Mikula. Doch allmählich wurde ihm bewusst, dass es sich hier um eine neue Art von Chemie handelte, die ein gewaltiges Anwendungspotenzial verspricht – es war die Anfangsphase einer Forschungsrichtung, für die Barry Sharpless, Morten P. Meldal und Carolyn Bertozzi 2022 den Chemie-Nobelpreis erhielten.

Man könnte sagen, unsere Chemie steht im rechten Winkel zum Leben.

Hannes Mikula

Im rechten Winkel zum Leben
Mithilfe dieser Methoden kann man im Körper ganz gezielt chemische Reaktionen ablaufen lassen – und zwar so, dass dabei in die üblichen chemischen Prozesse im Körper nicht eingegriffen wird. Wechselwirkungen mit der natürlichen Biochemie geht man aus dem Weg; man eröffnet eine neue Dimension – ähnlich wie ein Vogel in die dritte Dimension abhebt und sich um Wechselwirkungen mit den Tieren am Boden nicht mehr kümmern muss. „Man könnte sagen: Unsere Chemie steht im rechten Winkel zum Leben“, sagt Hannes Mikula. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von „bioorthogonaler Chemie“.

In der Diagnostik wird das bereits angewandt. Man kann zum Beispiel spezielle fluoreszierende Moleküle mittels Click-Chemie an ein Biomolekül andocken lassen – bei Beleuchtung mit der passenden Wellenlänge beginnen diese Moleküle dann zu fluoreszieren und werden leicht nachweisbar.

Man kann auch maßgeschneiderte Antikörper produzieren, die sich an ganz bestimmten Stellen im Körper festsetzen, zum Beispiel an Krebs­zellen. Wenn man an diesen Anti­körper dann eine radioaktive Sub­stanz anhängt, kann man messen, wo sich besonders viele dieser Antikörper befinden, und weiß somit auch, wo sich Krebszellen verstecken. „Allerdings kann es Tage dauern, bis die Anti­körper an ihren Bestimmungsort gekommen sind“, sagt Mikula. „Und tagelang radioaktive Substanzen im Körper zu haben ist natürlich nichts, was man sich wünscht.“

Stattdessen kann man aber auch die Antikörper mit einer Andockstelle ausstatten, und erst wenn die Antikörper am richtigen Ort angekommen sind, verabreicht man radioaktive Sub­stanzen mit dem passenden Gegenstück dazu. „Diese Moleküle sind viel kleiner, sie verteilen sich schnell und verbinden sich mit den Antikörpern in einer Click-Reaktion. Mit einem Posi­tronen-Emissions-Tomographen kann man dann sehen, wo sie sich befinden“, erklärt Mikula.

Die molekulare Schere
Auch kompliziertere chemische Kas­kaden sind mit bioorthogonaler Chemie möglich. So gibt es etwa Moleküle, die nach dem Andocken auseinander­fallen – ein Teil bleibt mit der Andockstelle verbunden, der Rest wird freigesetzt. Eine der beiden Substanzen wird somit zur „molekularen Schere“. Auf diese Weise kann man Wirkstoffe genau an der gewünschten Stelle im Körper aktiv werden lassen.

Möglich soll es auch werden, zwei Komponenten eines Wirkstoffs unabhängig voneinander in Krebszellen zu schleusen und erst dort miteinander zu verbinden. „Damit lässt sich die Treffsicherheit noch einmal erhöhen“, sagt Mikula. „Dass eine der Komponenten mal versehentlich in eine Zelle gelangt, die eigentlich gar nicht getroffen werden soll, kann schon mal passieren. Die Wahrscheinlichkeit, dass das mit ­beiden Komponenten gleichzeitig an derselben Zelle geschieht, ist aber ­äußerst gering.“

Bis man mit einer solchen Grundidee allerdings ein echtes, wirksames Medikament produziert hat, muss man viele schwierige technische Aufgaben lösen. „Man hat es in diesem Bereich immer mit Trade-offs zu tun“, sagt Mikula. „Ein Molekül dockt besser an, das andere reagiert schneller; ein Molekül setzt den Wirkstoff schneller frei, das andere verteilt sich besser im Körper. Man muss immer widersprüchliche Anforderungen gleichzeitig erfüllen.“

Wien – Boston – Wien
Seine Dissertation an der TU Wien schloss Hannes Mikula 2013 mit der höchsten Auszeichnung ab, die in Österreich möglich ist – mit einer „Promotio sub auspiciis Praesidentis rei publicae“. Im Jahr 2014 wechselte er ans Center for Systems Biology, Massachusetts General Hospital & Harvard Medical School, 2016 kehrte er wieder an die TU Wien zurück und bewies, dass er nicht nur Talent für Wissenschaft hat, sondern auch Talent für Wissenschaftsmanagement: Als Assistenzprofessor gelang es ihm rasch, seine eigene erfolgreiche Forschungsgruppe aufzubauen. Neben wissenschaftlichen Erfolgen gab es auch hoch dotierte Forschungsförderungen zu feiern – etwa einen START-Preis des FWF (Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung) sowie einen der heiß begehrten ERC Grants des European Research Council, der in der europäischen Forschungslandschaft als ganz besonderer Ritterschlag angesehen wird.

Damit kann Hannes Mikula nun seine Forschungen in der bioorthogonalen Chemie weiter ausbauen. Ganz wichtig ist es dabei, passende molekulare Andockstationen zu entwickeln. „Mit Aziden und Alkinen, auf denen die klassische Click-Chemie anfangs beruhte, arbeiten wir heute eher selten“, sagt Hannes Mikula. Seine Gruppe forscht vorwiegend an Tetrazinen und Trans-Cyclooktenen (TCOs).

MILLIONENFACH SCHNELLER
Diese Art der Click-Chemie stellte sich als extrem schnell und effizient heraus. „Teilweise erreicht man damit eine millionenfach höhere Geschwindigkeit als bisher, das ist ein echter Game­changer“, sagt Mikula. Wenn es nicht wieder einen Trade-off geben würde: „Moleküle, die besonders schnell klicken, waren bislang als molekulare Scheren sehr ineffizient – man musste sich also entscheiden, ob man schnelles Klicken oder schnelles Spalten möchte“, erläutert Hannes Mikula. „Dieses Problem konnten wir schlussendlich lösen: Unser Molekül kann beides, und das noch dazu mit bislang unerreichbarer Effizienz.“

Möglich wurde die Entdeckung dieser Hochgeschwindigkeitsspaltung durch harte Arbeit – und durch ein bisschen Glück. Dass die Methode vielversprechend ist, war bereits klar; dass sie jedoch so gut funktionieren würde, konnte zunächst niemand vorhersehen. „Es war zu 50 % geplant; zu 50 % ist es einfach passiert“, meint Mikula.

Und vielleicht ist ja gerade das eines der wichtigsten Erfolgsrezepte in der Wissenschaft: dem Zufall eine Chance zu geben. Denn was man nicht ausprobiert, kann nicht zum glücklichen Zufall ­werden.

Text: Florian Aigner