Yuyeung Lau

FIRST, DO NO HARM

Forscher*innen haben in ihrem Tun eine enorme gesellschaftliche Verantwortung. Sie geht über die Grundsätze der Forschungsintegrität (Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit, Respekt und Rechenschaftspflicht) hinaus. Denn wie Wissenschaftler*innen ihre Forschung anlegen, ist nie trivial

Text: tuw.media-Redaktion Foto: Yuyeung Lau

Der Artikel erschien in der Ausgabe 1–21 „Mobilität“.

Insbesondere, wenn die Forschung mit Menschen zu tun hat, kommt auch Forschungsethik ins Spiel: Dabei geht es darum, Menschen keinen Schaden zuzufügen, ihre Autonomie zu respektieren und um soziale Gerechtigkeit. Ob es um die Entscheidung für eine bestimmte Forschungsfrage geht, das methodische Forschungsdesign, um die Zielgruppe, die Auswahl der Studienteilnehmer*innen, die Analyse der Daten: jede Entscheidung beeinflusst – zumindest potenziell – unsere Zukunft. In diesem Prozess ist es verantwortungsbewusst, die eigenen Zugänge ausreichend zu reflektieren. Denn Technik bietet Wahlmöglichkeiten – oder schränkt sie ein. Und „Technik für Menschen“ – so der Leitspruch der TU Wien – bedeutet, sich der Macht von Technik und Wissen bewusst zu sein. Technik für Menschen heißt aber auch, Vertrauen zwischen Forscher*innen, ihren Studienteilnehmer*innen und letztlich zwischen Wissenschaft und Gesellschaft herzustellen. Spätestens dann, wenn Technologien einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt werden, sehen wir, wie die Konsequenzen dieser Technologie vorab reflektiert wurden: spätestens jetzt zeigt die Diskussion einer breiteren Öffentlichkeit, dass etwa ein AMS-Algorithmus bestimmte Menschen diskriminiert, oder dass Contract Tracing oder der „Grüne Pass“ Datenschutzprobleme mit sich bringen. Eine trans- und interdisziplinäre Diskussion forschungsethisch relevanter Aspekte kann solche unbeabsichtigten, schädlichen Konsequenzen von Technologien frühzeitig erkennen und helfen, bessere Lösungen zu entwickeln. Mit der Einrichtung einer Koordinationsstelle für Forschungsethik hat die TU Wien einen verantwortungsvollen Weg eingeschlagen: diese Koordinationsstelle ermöglicht Forscher*innen im Rahmen des „Pilot Research Ethics Committee“ Raum für Reflexion. In einem Peer Review können Forscher*innen gemeinsam mit anderen TUW-Wissenschaftler*innen ihr Forschungsvorhaben diskutieren – disziplinübergreifend und auf Augenhöhe. Worauf muss ich achten, wenn meine Studienteilnehmer*innen vulnerable Personen sind? Warum ist eine informierte Einwilligung so wesentlich und was muss sie beinhalten? Wie kann ich neue Technologien gewissenhaft erproben? Forscher*innen profitieren von dieser Reflexion, weil ihre Forschung dadurch den gesellschaftlichen Auftrag ernst nimmt. Die beteiligten Peers profitieren, weil auch sie mit jeder neuen Diskussion dazulernen. So vergrößern wir den Kreis der Ethik-Expert*innen an der Universität – davon profitiert die TU Wien und die Gesellschaft. Win-win-win-win.

Marjo Rauhala & Bettina Enzenhofer
sind an der TU Wien tätig. Marjo Rauhala koordiniert Forschungsethik, Bettina Enzenhofer ist Mitarbeiterin in Koordination Forschungsethik.

Neben weiteren Services sowie der Beratung des Rektorats unterstützt die Koordinationsstelle auch bei der Frage, die vermutlich schon alle Forscher*innen beschäftigt hat: wie fülle ich den Ethik-Teil in meinem Forschungsantrag aus? Auch hier gilt: Reflexion ist zentral. Forschungsethik ist in unseren Augen nie ein Abhaken von Kästchen, sondern ein Prozess. Dies mag zu Beginn neu sein, ist aber notwendig – nicht zuletzt, um Forschungsgelder oder Publikationen in angesehenen Journals zu bekommen. Die Koordinationsstelle beschränkt in diesem Sinn nicht die Forschung, sondern unterstützt sie darin, bestehenden Regularien bestmöglich zu entsprechen sowie unerwartete neue Herausforderungen zu erkennen. Derzeit tut sich hierzu auf Ebene der Europäischen Union (EU) einiges, mit Horizon Europe hat die Europäische Kommission neue Verantwortlichkeiten an Ethikkommissionen delegiert. Und: sie hat Forschung im Bereich Künstlicher Intelligenz als forschungsethisch relevant definiert, die dazugehörige Anleitung soll im Juni veröffentlicht werden. Aber mehr dazu in unserer nächsten Kolumne.

Text: Marjo Rauhala & Bettina Enzenhofer  

Fotos: Wieland Kloimstein (M.R.) &Eva Kelety (B.E.)