Jasmin Schuller

Fiktion im GreenScreen

Die Computereffekt-Szene ist in den letzten Jahren gewachsen und sitzt längst nicht mehr ausschließlich in Hollywood, sondern auch in Europa. Ge­meinsam mit Florian Gellinger, Mitgründer und Executive Producer des deutschen Special-Effects-Studios Rise FX, werfen wir einen Blick hinter den Greenscreen und erfahren, was es eigentlich mit den spektakulären Computer­effekten auf sich hat.

Text: Lela Thun Foto: Jasmin Schuller

In einem verlassenen Krankenhaus in Gotham City torkelt Heath Ledger als Joker in einem Krankenhauskittel durch die Gänge. In seiner Hand hält er den Zünder für eine Bombe. Als er die große Eingangstür öffnet und das Krankenhaus verlässt, drückt er den großen roten Knopf auf dem Zünder, wo­raufhin hinter ihm das gesamte Krankenhaus fulminant explodiert. Diese ikonische Szene aus dem „Batman“-Film „The Dark Knight“ war echt, ein sogenannter „Practical Effect“: Regisseur Christopher Nolan hat dafür tatsächlich ein altes Krankenhaus in die Luft gejagt. Auch in den alten „Jurassic Park“-Filmen wurde an praktischen Effekten nicht gespart – so baute ein Team monatelang einen riesigen, vier Tonnen schweren, ­motorisierten ­Tyrannosaurus Rex. Christopher Nolan und Stephen Spielberg, der Regisseur des ersten „Jurassic Park“-Films, waren bekannt dafür, keine Kosten und Mühen zu scheuen, um den Zuschauer*innen imposante Bilder zu bieten. In den heutigen ­Science-Fiction- und Superhelden-Filmen findet man dagegen kaum noch praktische Effekte. Selbst bei vergleichsweise einfachen Szenen wird häufig auf Greenscreens zurückgegriffen – so auch in den neuen „Spider-Man“-­Filmen: Hier wurde sogar eine simple Partyszene vor einem Greenscreen gedreht.

Grund dafür ist unter anderem der Fortschritt an technischen Möglichkeiten. Spezialeffekte sehen heute besser aus als vor 20 Jahren und sind vergleichsweise einfacher und schneller zu produzieren. Kaum ein/e Regisseur*in würde heute auf die Idee kommen, einen ­lebensechten Dinosaurier für den Film zu bauen, sondern wird stattdessen auf Computeranimationen zurückgreifen. Folglich ist die Nach­frage nach Special Effects mittlerweile um ­einiges größer als Anfang der 2000er. Das merkt auch Florian Gellinger, der seit einigen Jahren von Berlin aus für die großen Hollywoodproduktionen an Computereffekten bastelt.

 

Als er vor sieben Jahren zusammen mit vier Kollegen das Special-­Effects-Studio Rise FX in Berlin ­gründete, konnte er sich kaum vorstellen, an welchen Hollywood-Blockbustern und Serien er in den kommenden Jahren ­arbeiten würde. Von „Captain ­America“ über „Stranger Things“ bis hin zu „The King’s Man“ und „The French Dis­patch“: Mittlerweile ist Rise FX an der Herstellung einiger US-Produktionen beteiligt gewesen. Dennoch war Gellingers ursprünglicher Markt Deutschland, wo es 2015 kaum große Produktionen mit Special Effects gab. „Damals ging es hauptsächlich um TV-Events und Independent-Arthouse-Filme. Dass man irgendwann in Europa an Hollywood-Blockbustern arbeiten kann, war eigentlich undenkbar, ist heute aber Fakt“, so Gellinger. Aktuell hat das Studio Standorte in Berlin, München, Stuttgart und London, zählt 290 Mitarbeiter*innen und kommt mit den ­Anfragen kaum mehr hinterher.

Zu Beginn arbeiteten Gellinger und seine Kollegen dennoch an lokalen Produktionen. Eines ihrer ersten ­großen Projekte war „Die drei ??? und das Geisterschloss“ von Studio Hamburg, bei dem das Team von Rise FX den Dreh in Südafrika betreute. Kurz darauf konnte das Studio seinen ersten internationalen Erfolg feiern: die Warner-Bros.-Produktion „Ninja Assassin“, welche in Deutschland gedreht worden war. „Der Visual-Effects-Supervisor des Films hat uns dann zu anderen Projekten mitgenommen, da er mit unserer Arbeit sehr zufrieden war. So konnten wir zum Beispiel beim ersten ‚Captain ­America‘-Film mitarbeiten, der quasi unser Ticket in die Marvel-Welt war“, so Gellinger. Laut ihm hat Rise FX mittlerweile an fast der Hälfte aller Marvel-Filme mitgearbeitet und Tausende Plasma­nebel, Flügel, Superheldenkostüme, Explosionen und Stunts entworfen. Mittlerweile produziert Rise FX auch eigene Filme, unter anderem zusammen mit Constantin Film „Drachenreiter“ (2020). „In 15 Jahren haben wir von den Amerikanern viel über Filmproduktion gelernt – und somit beschlossen, uns auch einmal selbst an das Filmemachen heranzuwagen“, erklärt Gellinger.

Heute hat das Studio Standorte in Berlin, München, Stuttgart und London und zählt 290 Mitarbeiter*innen.

Dennoch soll die Visual- und ­Special-Effects-Produktion immer noch ein wichtiger Teil von Rise FX ­bleiben – schließlich ist das Studio in dem Bereich für Monate ausgebucht. Ein Grund dafür ist unter anderem auch die steigende Anzahl an Streaminganbietern mit Eigenproduktionen. Während Netflix früher eher Sitcoms ohne Special Effects produziert hat, findet man heute als Zuschauer*in viele Science-­Fiction- und Fantasy-Serien, die von guten ­Spezialeffekten abhängig sind, auf der Plattform. Auch die großen US-ameri­kanischen Studios arbeiten weiterhin an ihren Hollywood-Blockbustern und benötigen dafür ebenfalls Visual Effects.

Zeitgleich mit der steigenden ­Anzahl an Aufträgen hat sich jedoch auch die Technik verbessert. „Heute können wir unsere Bilder auf handelsüblichen Computern produzieren, während dafür früher riesige, ­teure Supercomputer benötigt wurden. Gleichzeitig gibt es einfach viel zu wenige ausgebildete Visual-­Effects-Spezialist*innen. Die Film­schulen kommen kaum noch nach“, erklärt Gellinger. Denn Streaming­anbieter und Filmproduzenten kämpfen um die Aufmerksamkeit ihrer Zuseher*innen, was oft mit spektakulären Action­szenen und Special Effects in Verbindung steht. „Wenn bei der neuen ‚Game of ­Thrones‘-Serie am Anfang Drachen durch die Luft fliegen und Menschen fressen, dann brauche ich nicht mit einer Ritterserie, wo die Schauspieler stundenlang bei Kerzenschein in einem Saal sitzen, um die Ecke kommen. So was schaut sich ­heute ­keiner mehr an“, so Gellinger.

dass man irgendwann in europa an hollywood-Blockbustern arbeiten kann, war eigentlich undenkbar, ist heute aber Tatsache.

Florian Gellinger, Mitgründer und CEO von Rise FX

Tatsächlich sind die technischen Möglichkeiten der Special Effects laut ihm mitunter ein Grund, wa­rum es heute überhaupt so viele moderne Science-Fiction-Filme gibt. Sprich: Ohne Special Effects keine ­Science-Fiction-Filme. „All die heutigen Superhelden-Filme wären mit alter Technik gar nicht so umsetzbar gewesen wie heute“, erklärt Gellinger. Doch nicht nur das: Auch, wo Effekte zum Einsatz kommen, hat sich geändert. Wo früher nur die großen Kinofilme wie „Herr der Ringe“ Visual Effects verwendet haben, werden jetzt schon in 45-minütigen Episoden von Fernsehserien viele ­Effekte benutzt.

Obwohl die Technik erschwinglicher geworden ist und man keinen Supercomputer mehr für einzelne Bilder benötigt, steckt hinter jedem Effekt viel Zeit und Arbeit. Gellinger erklärt dies anhand eines Beispiels: „Letztes Jahr ist der Film ‚Reminiscence‘ erschienen. Da gab es einen Eröffnungsshot, wo die Kamera über einen überschwemmten Strand in Miami bis in die Innenstadt geflogen ist. Zu sehen waren 300 Schiffe, Hängebrücken zwischen den Gebäuden und Tausende herumlaufende Menschen. Der Shot endete auf dem Gesicht von Hugh Jackman. Für das Rendern einer Wiederholung dieser Einstellung von zwei Minuten und 16 Sekunden haben alle Rechner der Firma vier Wochen gebraucht.“

Mittlerweile hat Rise FX auch bei zahlreichen Marvel-Produktionen mitgearbeitet.

Trotz dieser langen Zeitspannen werden CGI (Computer Generated Imagery) und Special ­Effects in Filmen öfter eingesetzt, als man denkt. „Ein durchschnittlicher Marvel-Film hat 2.500 Effekteinstellungen. Das ist also eigentlich fast jedes Bild im Film. Beim neuen ‚Spider-Man‘ beispielsweise war der einzige Shot ohne Effekte einer, wo im Detail ein Anschnallgurt ins Schloss gedrückt wurde“, so Gellinger. In diesem Film gibt es auch viele Spezialeffekte, die einem Laien manchmal gar nicht auffallen – so wurden die Gesichter der alten Spider-Man-Darsteller von einem Computer so bearbeitet, dass sie aussehen wie in den alten Filmen. Manchmal ist es also einfacher und günstiger, auf Special Effects zurückzugreifen, als beispielsweise ganze Stadtteile für Dreharbeiten zu sperren.

Auch wenn Gellinger mittler­weile an vielen imposanten Filmen und ­Effekten gearbeitet hat, bleibt einer seiner Lieblingsfilme immer noch der deutsche Film „This is Love“. In diesem recht ­alten Projekt wurde ein Autounfall ­mittels Effekten nachgestellt. Der Trick ­dahinter: Es sollte nicht so aussehen wie Visual Effects. Auch in diesem Bereich – Effekte möglichst unsichtbar in den Film zu integrieren – ist das Rise FX-Studio geübt. „Wir sorgen dafür, dass unsere Effekte entweder unbemerkt bleiben, oder wir machen bei unserem Design irgendetwas, was glaubwürdig im Bild integriert ist und trotzdem möglichst spektakulär aussieht“, sagt Gellinger und fügt hinzu: „Jedes Projekt ist anders, und daher liegen mir eigentlich auch alle am Herzen.“

Für die Zukunft erhofft sich Gellinger, dass künstliche Intelligenz und Machine Learning immer mehr ­mühsame und langwierige Arbeiten für die Special-Effects-Techniker*innen übernehmen. „Die kreative Arbeit wird immer in der Hand der Menschen bleiben. Aber wenn es darum geht, Schauspieler*innen und Hintergründe aus einem Greenscreen auszuschneiden, kann das gerne eine künstliche Intelli­genz übernehmen“, erklärt er. Dennoch stoßen künstliche Intelligenzen und Computer irgendwann an ihre Grenzen. Für Gellinger ist eine dieser Grenzen das Generieren von ­realistisch aussehenden Menschen. „‚­Gemini Man‘ mit Will Smith war zum Beispiel schon unglaublich gut gemacht. Trotzdem war an der menschlichen Darstellung noch irgendetwas falsch. Da hat nicht alles zu 100 % gepasst“, fügt Gellinger hinzu. Bei Menschen sollte man also trotz aller Möglichkeiten immer noch auf das Original zurückgreifen.