David Visnjic

Exzellente Unternehmen

Jedes Unternehmen sollte nach Exzellenz streben, um im rauen Wettbewerb zu bestehen. Dynamik und Komplexität des Unternehmensumfelds bedingen jedoch, dass weder für die Gegenwart noch für die Zukunft eindeutig festgelegt werden kann, was Exzellenz konkret bedeutet und wie sie erreicht und gesichert werden kann – zu viele Variablen beeinflussen das Leistungsergebnis. Umbrüche im Unternehmensumfeld können schnell auch bei führenden Unternehmen existenzielle Krisen auslösen, daher sollten Führungskräfte im eigenen Verantwortungsbereich versuchen, kurzfristige Profitabilität und langfristiges Überleben des Unternehmens gleichermaßen zu gewährleisten.

Text: tuw.media-Redaktion Foto: David Visnjic

Was heißt Exzellenz für Unternehmen? Wo ist sie verankert? Ist Exzellenz in der Gegenwart auch Garant für Markterfolg in der Zukunft?
Exzellenz wirft aus der Managementperspektive viele Fragen auf, die aufgrund der Komplexität von Unternehmen schwer zu beantworten sind. Selbst die einfachste Zahl, die Profitabilität der Gegenwart, stellt lediglich einen Befund dar, der aufgrund von Vergangenheitsdaten gemessen wurde. Das Unternehmen verfügt demnach über überlegene Kompetenzen, die es erlauben, qualitätsvoller, effizienter oder schneller als andere Leistungen am Markt zu erbringen, für die Kund*innen bereit sind, zu zahlen. Exzellent wäre also ein Unternehmen, das profitabler wirtschaftet als der Rest.

Eine unternehmensspezifische, strategische Festlegung von Exzellenz ist jedoch herausfordernd: Wann ist es gut genug? Wie viel Gewinn wäre maximal möglich? Auch dies lässt sich nicht errechnen, da Kosten und Preise von zu vielen sich täglich ändernden Einflussfaktoren abhängig sind. Was bleibt, ist der eigene unternehmensspezifische Anspruch von „Exzellenz“, die strategische Festlegung von „gut genug“; einem Ziel, bei dem nicht mehr weiter nach neuen großen Lösungen gesucht wird.

Für stabile Umfeldbedingungen würde der Anspruch, „gut genug“ zu sein, als erstrebenswertes Ziel dienen. Ändern sich jedoch Marktgegebenheiten drastisch – etwa durch Kriege, Pandemien, Inflation, technologische Innovationen oder völlig neue Geschäftsmodelle, wie wir solche Entwicklungen gegenwärtig erleben –, kann die Exzellenz der Gegenwart schnell zu einem Ende kommen; besonders dann, wenn auch die Veränderungsexzellenz von Unternehmen nicht mehr ausreicht, um in Zukunft zu überleben, also die Fähigkeit, besser als andere ihre Wettbewerbsgrundlagen an neue Gegebenheiten anzupassen. Kodak hatte überlegene Kompetenzen in der Bildbearbeitung, ein Beispiel für globale Exzellenz, und versuchte, das Überleben durch Change-Prozesse und die Akquisition von anderen Unternehmen zu sichern, als die digitale Technologie im Bereich der Fotografie verstärkt einzog. Am Ende stand dennoch der Konkurs.

Die exzellenten Veränderungskompetenzen, die Lernen und Entwicklung von Unternehmen steuern, waren nicht exzellent genug, da sich Technologien, Kund*innenwünsche und Mitbewerber*innen schneller veränderten, als dies von Kodak aufgefangen werden konnte. Der große Wandel, zentralistisch gesteuert, erfolgte zu spät.

Exzellenz heißt, evolutionär und dezentral zu denken. Im Kern geht es daher um die Frage, wie Unternehmen sicherstellen können, dass die darin agierenden Führungskräfte ständig in ihren Verant­wortungsbereichen – dem Performance Core – im Tagesgeschäft nach Exzellenz streben und gleichzeitig den Blick für die Exzellenz in der Zukunft nicht aus den Augen verlieren. Dazu müssen sie zwei Prozesse im Führungsalltag perfektionieren, um ihre Themen und Aufgaben möglichst reibungsfrei durch die Organisation zu bringen: die Issue Value Chain leistungsfähig halten und über die Acceleration Value Chain ständig nach Optimierungsmöglichkeiten, auch in kleinen Bereichen, streben. Beide Führungsprozesse sind ständig zu perfektionieren, um Exzellenz im eigenen Verantwortungs­bereich zu erreichen und damit insgesamt zur Exzellenz des Gesamtunternehmens beizutragen.

Bei der Issue Value Chain richtet sich der Fokus auf die Bearbeitung der vielfältigsten Themen und Aufgaben, die am Schreibtisch der Führungskraft landen. Issues resultieren aus dem Zielsystem der Führungskraft, aus den operativen Aktivitäten oder aus Entwicklungsimpulsen, die aus Reflexions- und Perfektionsaktivitäten der Acceleration Value Chain resultieren. Von den eigenen Führungsfähigkeiten hängt es nun ab, wie Issues priorisiert, im Team verteilt und über die Nutzung passender Meetingstrukturen präsent gehalten werden. Je konsistenter die Führungskraft agiert, je besser das Team zusammenarbeitet und je zielgerichteter im eigenen Verantwortungsbereich kommuniziert und entschieden wird, desto ungestörter werden Issues bearbeitet und desto eher lässt sich von Exzellenz sprechen. Umgekehrt führen fehlende Priorisierung durch die Führungskraft im Umgang mit Issues oder mit Ressourcen, ein wenig geformtes oder vielleicht zerstrittenes Team beziehungsweise eine fehlende Kommunikation dazu, dass Reibungen bei der Bearbeitung von Themen und Aufgaben entstehen, die eine Umsetzung erschweren oder verhindern. Das Potenzial an Mitarbeiter*innen­engagement, Ideen oder Teamgeist wird nicht ausreichend erschlossen und genützt.

Ändert sich zudem das Umfeld oder kommen neue Mitglieder ins Team, können substanzielle negative Auswirkungen auf das Leistungsverhalten im eigenen Verantwortungsbereich resultieren, da sich etwa Prioritäten verschieben und Zuordnungen von Aufgaben und Themen im Team oder dessen gemeinsames Präferenzsystem infrage gestellt wird. Die Änderungen im Umfeld von Unternehmen fordern deshalb auch jene Führungskräfte heraus, die ihren Verantwortungs­bereich bestmöglich organisiert haben. Führungskräfte sollten sich daher punktuell aus dem operativen Alltag herauslösen, um auf einer Metaebene zu erkennen, wo Weiterentwicklungsmaßnahmen gesetzt werden können, um in der Gegenwart besser gerüstet zu sein und Herausforderungen der Zukunft frühzeitig zu antizipieren.

Mit Maßnahmen der Acceleration Value Chain wird der eigene Verantwortungsbereich möglichst leistungsstark gehalten und entwickelt, um Issues möglichst zielgerichtet und störungsfrei bearbeiten zu können. Dazu müssen Führungskräfte teilweise auch für sich überlegen, wie die Prioritätenordnung durchdachter festgelegt oder die Führungsrolle noch besser ausgestaltet werden kann. Zudem können im Team sowohl in der Leistungs- als auch in der sozialen Dimension Impulse gesetzt werden, um Ziele besser im Blick zu halten oder Vertrauen im Team zu stärken. Schließlich lassen sich Meetingstrukturen zu effektiverer Kommunikation und zur Steigerung der Entscheidungsqualität optimieren, um die Potenziale des gesamten Teams besser nutzbar zu machen. Führungskräfte benötigen in allen Bereichen ein Verständnis für die nötige Balance von Gegenwart und Zukunft, da Exzellenz fragil ist und jeden Tag erneut gewährleistet werden muss. Aus vielen kleinen dezentralen Exzellenzen resultiert die Wettbewerbsstärke auch unter sich wandelnden Bedingungen – denn ein Boot kann nur dann hart am Wind segeln, wenn alle Besatzungsmitglieder gleichermaßen mitziehen.

Wolfgang H. Güttel leitet die TU Wien Academy for Continuing Education, die alle Themen rund um
postgraduale Weiterbildung an der Hochschule betreut. In seiner Kolumne für dieses Magazin schreibt er über das richtige Mindset für erfolgreiches Leadership.