Wie das diesen extrem einfach gebauten Lebewesen gelingt, war bisher nicht ganz klar. Ein Forschungsteam der TU Wien konnte diesen Prozess nun am Computer simulieren: Man berechnete die physikalische Wechselwirkung zwischen einem ganz einfachen Modellorganismus und seiner Umgebung. Der Organismus wurde mit der Fähigkeit ausgestattet, auf ganz simple Weise Informationen über Nahrung in seiner Umgebung zu verarbeiten. Mithilfe eines Machine-Learning-Algorithmus wurde die Informationsverarbeitung des virtuellen Wesens dann in vielen Evolutionsschritten verändert und optimiert. Das Resultat war ein Computerorganismus, der sich bei seiner Nahrungssuche ganz ähnlich bewegt wie seine realen Vorbilder. „Auf den ersten Blick ist es überraschend, dass ein derartig einfaches Modell eine so schwierige Aufgabe lösen kann“, sagt Andreas Zöttl, der das Forschungsprojekt leitete, das im Bereich „Theorie der Weichen Materie“ (Arbeitsgruppe Gerhard Kahl) am Institut für Theoretische Physik der TU Wien durchgeführt wurde. „Bakterien können durch Rezeptoren feststellen, in welcher Richtung etwa die Sauerstoff- oder die Nährstoffkonzentration zunimmt, und diese Information löst dann eine Bewegung in die gewünschte Richtung aus. Man bezeichnet das als Chemotaxis.“
Bisher war nicht klar, wie ein derart geringer Grad an Komplexität ausreichen kann, um simple Sinneseindrücke – etwa von chemischen Sensoren – mit zielgerichteter Motorik in Verbindung zu bringen. „Auch wenn der Einzeller kein Netz aus Nervenzellen hat – die logischen Schritte, die seine ,Sinneseindrücke‘ mit seiner Bewegung verknüpfen, lassen sich mathematisch auf ähnliche Weise beschreiben wie ein neuronales Netz“, ergänzt Benedikt Hartl, der mit seiner Expertise in künstlicher Intelligenz das Modell am Computer umgesetzt hat. Auch im Einzeller gibt es logische Verbindungen zwischen unterschiedlichen Elementen der Zelle. Chemische Signale werden ausgelöst und führen am Ende zu einer bestimmten Bewegung des Organismus. „Man darf sich das nicht so vorstellen wie ein hoch entwickeltes Tier, das bewusst etwas wahrnimmt und dann genau darauf zuläuft“, sagt Andreas Zöttl. „Es ist eher eine zufällige Wackelbewegung – aber eben eine, die letztendlich im Mittel in die richtige Richtung führt. Und genau das beobachtet man auch bei Einzellern in der Natur.“