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EIN NEUER TREFFPUNKT FÜR KI

Anfang Dezember wurde das neue Forschungszentrum für künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen (CAIML) an der TU Wien feierlich eröffnet. Die Ansprüche an das neue Zentrum sind groß – doch was planen die beiden Co-Direktoren Clemens Heitzinger und Stefan Woltran, um die Erwartungen zu erfüllen?

Text: Ekin Deniz Dere Foto: Unsplash, Amélie Chapalain

Zwar stehen sie gemeinsam an der Spitze des neuen Forschungszentrums für künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen (CAIML), doch sonst ist es mit den Gemeinsamkeiten von Stefan Woltran und Clemens Heitzinger nicht weit her. Als Co-Direktoren führen sie das CAIML gemeinsam: Woltran ist Leiter der Gruppe Datenbanken und künstliche Intelligenz (KI), Clemens Heitzinger verantwortet die Forschungs­gruppe maschinelles Lernen und Quantifizierung von Unsicherheit. Doch ihre Herangehensweise an die künstliche Intelligenz ist ganz unterschiedlich: „Ich bin im Camp der symbolischen KI angesiedelt, das ist die logik- und regelbasierte KI. Wir beschäftigen uns mit Problemen, die eher auf der Verwendung von Algorithmen als auf dem Lernen aus Daten beruhen“, erklärt Woltran. Ein Beispiel für ein Problem in der realen Welt, das mit logikbasierten Methoden gelöst wird, ist die Suche nach dem kürzesten Weg zwischen zwei Zielen. „Für dieses Beispiel brauchen wir nicht viele Daten, sondern nur eine Karte des öffentlichen Verkehrsnetzes“, erläutert der Wissenschaftler, der sich unter anderem auch für die rechnerische Komplexität von Problemen interessiert. Heitzinger hat einen ganz anderen Ansatz: Er arbeitet hauptsächlich an partiellen Differenzial­gleichungen (PDEs) mit Anwendungen in nanotechno­logischen Sensoren. „Ich interessiere mich für Sensoren, die zum Beispiel DNA-Tumormarker erkennen können“, erklärt der Forscher. Das sei nicht einfach, denn die Fluktua­tionen und das „Rauschen“ seien groß. Heitzinger verwendet daher Bayes’sche PDE-Methoden, um Informationen aus verrauschten Daten zu extrahieren. „Bayes’sche Lernmethoden sind ein Kernbereich des maschinellen Lernens (ML, Anm.)“, sagt er. Beim ML gehe es darum, aus der Geschichte der Daten zu lernen. Heitzinger beschäftigt sich aber auch mit dem Verstärkungslernen sowie mit Problemen wie dem autonomen Fahren und der Behandlung von Krankheiten.

Die Co-Direktoren des neuen Forschungszentrums haben unterschiedliche Ansätze für KI. Stefan Woltran leitet die Gruppe Datenbanken und künstliche Intelligenz.

Durch einen glücklichen Zufall fanden die beiden Forscher zueinander und begaben sich auf die lange und harte Reise, ein neues Forschungszentrum zu eröffnen „Lustigerweise haben Clemens und ich im selben Jahr (2013, Anm.) den START-Preis erhalten. Allerdings kannten wir uns bis vor ein paar Jahren noch nicht“, sagt Woltran. „Insofern hätten wir das CAIML auch schon ein paar Jahre früher gründen können“, ergänzt Heitzinger lachend. Es war schließlich der TUW-Informatikprofessor Radu Grosu, der die beiden zusammenbrachte. Vor ein paar Jahren saßen sie nach einem Treffen zusammen und begannen, zu disku­tieren, was man denn tun könnte. „Es war also wirklich eine Bottom-up-Situation, die hier entstanden ist. Stefan und ich haben uns in einem Café am Karlsplatz getroffen und hatten die Idee, uns zusammen­zutun“, sagt Heitzinger. Den Forschern war klar, dass nicht jeder ein Experte für alles sein kann und dass es notwendig ist, Menschen zusammenzubringen, um in diesem Bereich echte Fortschritte zu erzielen. Das ist natürlich leichter gesagt als getan und die beiden Co-Direktoren brauchten jegliche Unterstützung, die sie bekommen konnten. „Unter anderem stand die Dekanin der Informatik, Gerti Kappel, der Idee eines neuen Forschungszentrums von Anfang an sehr wohlwollend gegenüber. Sie hat uns bei diesem Vorhaben maßgeblich unterstützt“,
so Woltran.

DIE VISION IST ES, ÜBER DIE GRENZEN
UNSERER FORSCHUNGS­GEMEINSCHAFT HINAUSZUGEHEN.

Stefan Woltran über die Ziele des neu gegründeten Forschungszentrums für künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen (CAIML).

Dem Vorstand des CAIML gehören zwölf Forscher*­innen der Fakultäten für Informatik, Mathematik und Geoinformation an. Die Hauptidee hinter dem neuen Zentrum ist es, Brücken zwischen verschiedenen Ansätzen und unterschiedlichen Akteur*innen im Bereich der KI zu bauen. So besteht das Zentrum aus verschiedenen thematischen Säulen der symbolischen KI, ML und erklärbaren KI. „Wir sind auch ein Verbindungspunkt zwischen der KI-Doktorand*innenakademie (International Artificial Intelligence Doctoral Academy, Aida, Anm.) und den Doktorand*innen. Dadurch unterscheiden wir uns von anderen Forschungszentren, da wir ein breiteres Spektrum an qualitativ hochwertigen Kursen anbieten“, erklärt Heitzinger. Ziel sei es, wirklich interdisziplinär zu arbeiten und Themen rund um KI – darunter auch digitaler Humanismus, Datenschutz, Ethik sowie Gefahren und Chancen der Digitalisierung – einzubeziehen. Solche Themen sind an technischen Universitäten oft nicht zu finden. „Die Vision ist es, über die Grenzen unserer Forschungsgemeinschaft hinauszugehen“, sagt Woltran.

Ziel des CAIML ist es
die Forschungsaktivitäten im Bereich künstliche Intelligenz und maschi­nelles Lernen sowohl in den theo­retischen Grundlagen als auch in den An­wendungen zu bündeln und zu stärken. Zu diesem Zweck besteht das Zentrum aus drei Hauptforschungssäulen: Methoden der sym­bolischen KI, Methoden des maschinellen Lernens sowie erklärbare KI und digitaler Humanismus.

Neben den Zielen des Zentrums gab es eine Reihe von Herausforderungen, mit denen sich die Co-­Direktoren auseinandersetzen mussten. Eines davon war politischer Natur. „In Österreich haben wir im Vergleich zu anderen europäischen Ländern eine eher enttäuschende KI-Strategie, da sie keine konkreten Maß­nahmen vorsieht, insbesondere nicht für die Grundlagen­forschung“, sagt Woltran. Das ist einer der Gründe für den Bottom-up-Zugang, mit dem das CAIML be­gonnen hat. „Solche Ansätze sind sehr wichtig, weil es keine Initiative der Bundes­regierung in dieser Hinsicht gibt“, erklärt Woltran. „Ein im Wortsinn nahe liegendes Beispiel ist Bayern, wo die Regierung Unterstützung für 100 zusätzliche Professuren im Bereich KI bereitgestellt hat. Das ist ein sehr großer Support. Man kann natürlich darüber debattieren, ob dies die beste Art ist, das Geld zu investieren, aber es verdeutlicht den Status, den KI in anderen europäischen Regionen genießt.“ Ein weiteres Problem war organisatorischer Natur. „Es ist ein bisschen schwierig, ML-Forscher*innen zusammen­zubringen, weil sie über viele Institute und Fakultäten verteilt sind, während die Forschungsgruppen aus dem Bereich der symbolischen KI zusammen­arbeiten“, erklärt Woltran. „Die Idee ist, dass wir KI- und ML-Forscher*innen in einem Zentrum vereinen können, da wir die gesamte Bandbreite von KI und ML an der TU Wien abdecken“, ergänzt Heitzinger.

Clemens Heitzinger leitet die Forschungsgruppe maschinelles Lernen und Quantifizierung von Unsicherheiten.

Doch was sind die ganz konkreten, ganz kurz­fristigen Pläne des Zen­trums? „Wir sind jetzt in der Phase, in der wir Menschen zusammenbringen, um über vielversprechende Forschungsfragen nachzudenken“, so Woltran. Zu den geplanten Aktivitäten des Zentrums gehören ein Gastwissenschaftler*innen-Programm, eine Seminarreihe, Sommerschulen sowie die Koordination und Unterstützung von Forschungsprojekten und -anträgen. Im März 2022 wird Edward A. Lee (Professor an der UC Berkeley, Anm.) als Gastprofessor für digitalen Humanismus ans CAIML kommen. Die Co-Direktoren planen zudem Workshops über Unsicherheitsquantifizierung und ML am Schrödinger-Institut. Nicht zuletzt wird im Sommer 2022 die 31. International Joint Conference on Artificial Intelligence in Wien stattfinden, bei der Stefan Woltran gemeinsam mit Magdalena Ortiz (siehe Artikel S. 52) den Vorsitz des Local Arrangements Committee innehat.