Als 2014 der Eurovision Song Contest (ESC) stattfand, hatten Benjamin Grössing und David Fankhauser, zwei Studenten der Technischen Universität Wien (TUW), eine Idee: eine App zu programmieren, über die User Bilder hochladen können, auf denen dann ein Bart platziert wird (inspiriert von der ESC-Gewinnerin Conchita Wurst). Sieben Jahre später sitzen die beiden an der Spitze eines 50 Mitarbeiter umfassenden Unternehmens – Kaleido – mit einer Bewertung im dreistelligen Millionenbereich; der Erfolg brachte ihnen einen Platz auf der „Under 30 DACH 2021“-Liste von Forbes ein. Wie kam es dazu?
Letztendlich hatte das Produkt, das Grössing und Fankhauser erfolgreich machte, wenig mit Bärten zu tun – doch auf der Basis der „Bart-App“ entwickelten die beiden TUW-Absolventen eine Anwendung, die es möglich machte, mit nur einem Klick bei Bildern den Hintergrund zu entfernen. Das Tool nannten sie „remove.bg“.
Den Hintergrund aus einem Bild zu entfernen mag auf den ersten Blick nicht besonders schwierig erscheinen, doch Grafiker wissen, wie herausfordernd diese Arbeit sein kann, vor allem, wenn es um Porträts von Menschen geht: Da muss jedes Haar einzeln freigestellt werden, was Stunden dauern kann. Mit remove.bg geht das Ganze jedoch mit einem Klick, mehrere Hundert oder sogar tausend Bilder können gleichzeitig bearbeitet werden. „Damit haben Grafiker mehr Zeit für das Kreative. Was wir damit automatisieren, ist die mühsame Arbeit, die jeder Grafiker eigentlich hasst“, sagt Fankhauser im Interview.
Seit 2017 hat Kaleido zwei weitere Produkte im Bereich Visual AI gelauncht: Unscreen und Designify. Mit Unscreen können Hintergründe bei Videos entfernt werden; Designify geht einen Schritt weiter und bereitet mit einem Klick automatisch Tausende fertige Designs auf.
Monatlich werden rund 150 Millionen Bilder mit Kaleidos Software bearbeitet, jedoch sind viele der Kaleido-Kunden Privatpersonen – „nur“ 116 Unternehmenskunden zählt das Start-up. Wer mit einer niedrigen Bildauflösung zufrieden ist, kann die Dienste gratis nutzen, um eine höhere Auflösung zu bekommen, muss man dann nur ein paar Cent zahlen. „Ich glaube, diese Monetarisierungsstrategie war einer unserer Erfolgsfaktoren“, sagt Fankhauser. „Wer kennt das nicht: Man will ein Bild online verarbeiten und bekommt dann am Ende eine Nachricht, dass man für den Download zahlen muss. Das ist wahnsinnig frustrierend.“
Durch das rasche organische Wachstum war Kaleido vom ersten Tag an profitabel. So musste man auch nie nach Investoren suchen. „Das war für uns ein riesiger Luxus. Viele Start-ups verbringen sehr viel Zeit damit, Investoren zu suchen, und werden dabei auch unter Druck gesetzt“, sagt Fankhauser.
Die Technologie, die hinter Kaleidos Erfolg steckt, ist künstliche Intelligenz. Fankhauser: „Dieses Feld ist seit 2011 einfach enorm gewachsen, weil es eine neue Technologie anbietet, die extrem gut aus Daten lernt.“ Ganz einfach erklärt: Man zeigt dem System Paare – wenn dieses Bild hineinkommt, muss jenes Bild herauskommen, erklärt der Gründer. Das Programm wird dadurch ständig weiterentwickelt. Fankhauser: „Wir trainieren es (das System, Anm.) immer noch. Es ist nie fertig. Jede Woche kommen neue Bilder und Daten dazu und es wird besser.“
Das zahlte sich aus: In einem der größten Exits der österreichischen Start-up-Geschichte verkauften Grössing und Fankhauser 2021 ihr Jungunternehmen an die australische Designplattform Canva. Canva erhielt in einer Finanzierungsrunde im September 2021 200 Millionen US-$ – bei einer Bewertung von rund 40 Milliarden US-$. Das von der Forbes-„Under 30“-Listmakerin Melanie Perkins gegründete Unternehmen gilt damit als eines der wertvollsten Start-ups weltweit.
Wie hoch der Kaufpreis war, wollen die Kaleido-Gründer nicht verraten. Zur Einordnung ein paar Zahlen: Die größten österreichischen Exits bis dato waren das Software Unternehmen „has.to.be“ um 250 Millionen US-$ (2021), der Verkauf der Fitness-App Runtastic an Adidas um 220 Millionen € im Jahr 2015 sowie der Exit der Diet-App My Sugr um kolportierte 200 Millionen € (2017). Kaleido wurde also höchstwahrscheinlich um einen dreistelligen Millionenbetrag verkauft.
Mit KI-Technologie hatte David Fankhauser in seiner Kindheit wenig zu tun. Der Tiroler wuchs am Land auf: „Im hintersten Zillertal, quasi da, wo die Straße aufhört und nicht mehr weitergeht“, wie er selbst sagt. Er wollte jedoch schon immer in die Großstadt. Somit zog er zuerst nach Innsbruck und später nach Wien, um an der TUW ein Informatikstudium zu absolvieren. Im Studium lernte Fankhauser den Wiener Benjamin Grössing kennen, der seine Begeisterung für Technik teilte. Grössing: „Ich hatte immer schon vor allem Freude am Tüfteln – am Ausprobieren neuer Dinge. Ich kann mich erinnern: Wenn wir in Physik ein neues mathematisches Modell gelernt haben, habe ich mich dann am Nachmittag zu Hause hingesetzt und Simulationen und Visualisierungen dafür programmiert.“
Aus der Bekanntschaft wurde eine Freundschaft – und dann eine Geschäftspartnerschaft. „Wir haben das halb als Studienprojekt und halb als Spaßprojekt gestartet: eine App, die Gesichter analysiert und etwa einen Bart hinzufügt“, erzählt Fankhauser. Als die beiden die App als Browser-Erweiterung ins Netz stellten, erreichten sie plötzlich Millionen Nutzer. Das war der erwähnte Boom durch den Eurovision Song Contest 2014.
Schon bei diesem „Spaßprojekt“ entdeckten die beiden Informatikstudenten einen Wert, der sich als entscheidend herausstellen sollte: leichter Zugang. „Wir haben gesehen, dass man Menschen mit Technologie begeistern kann, wenn man sie zugänglich und einfach gestaltet“, so Grössing. Daraus entstand der Plan, eine Plattform zu entwickeln, die für Consumer-Brand-Marketing genutzt werden kann und auf der man die Technologie nicht zum Spaß nutzt, sondern um Bilder für professionelle Zwecke zu bearbeiten: 2017 gründeten die beiden Kaleido.
Heute leiten die beiden Informatik-Absolventen der TUW ein Team von rund 50 Mitarbeitern, das Büro von Kaleido befindet sich im dritten Wiener Bezirk. Während Fankhauser als Chief Technology Officer (CTO) und Machine Learning Lead agiert, ist Grössing CEO und verantwortlich für die Produktentwicklung.
Auch wenn die beiden „Under 30“-Listmaker schon einige Erfolge gefeiert haben, bleibt ein großes Ziel vor Augen: „Wenn es um Bild- und Videobearbeitung geht, wollen wir auch in Zukunft eine große Rolle am Markt spielen – eine noch viel größere als heute“, sagt Grössing. Und Fankhauser ergänzt: „Unsere Vision ist es, dass wir jeden Menschen zum Designer machen.“