Gianmaria Gava

Die Zukunft von Papier, Karton und MM

Die Mayr-Melnhof Gruppe (MM), bestehend aus MM Board & Paper sowie MM Packaging, ist ein weltweit führender Hersteller von Karton und Faltschachteln. Im Halbjahresfinanzbericht 2022 gibt die Gruppe konsolidierte Umsatzerlöse von 2.218,5 Mio. € an. Mit einer Jahreskapazität von zwei Millionen Tonnen Karton ist die Division MM Board & Paper der größte Kartonproduzent in Europa. Im Gespräch mit Jacqueline Wild (Head of Group Information Management) und Yana Radchenko (Student Support at Group Information Management) geht es um das Wachstum von MM und die damit verbundenen Herausforderungen und Chancen, aber auch um die Unternehmenskultur des Konzerns – und zu guter Letzt um Nachhaltigkeit und die Zukunft des Karton- und Papiermarkts.

Text: Ekin Deniz Dere Foto: Gianmaria Gava

Rückblickend betrachtet hat die ­weltweite Produktion von Papier und Karton einen relativ stabilen Aufwärtstrend beibehalten. Dies spiegelt sich auch im Wachstum von MM wider – Sie haben innerhalb des letzten Jahres vier Akquisitionen getätigt: Im August 2021 wurden die Karton- und Papierfabriken in Kwidzyn in Polen und in Kotka in Finnland erworben. Im April dieses Jahres folgte die nordische Pharmaverpackungsgruppe Eson Pac mit Sitz in Veddige in Schweden und im Juni der britische Pharmafaltschachtel-Hersteller Essentra Packaging einschließlich seiner US-Tochtergesellschaft.

Was ­waren die Beweggründe für diese Menge an Übernahmen?
Jacqueline Wild (JW): In der Branche, in der wir tätig sind, wächst man entweder organisch oder anorganisch. Wir sind jetzt anorganisch durch Akquisitionen gewachsen und wollen besonders unsere Pharmasparte, also Packaging Pharma, weiter ausbauen. Zum einen ergab sich die Gelegenheit, dass Unternehmen in diesem Segment zum Verkauf standen, und zum anderen ist unsere Strategie auf starkes Wachstum und die Produktion von nachhaltigem Karton und Faltschachteln ­respektive Verpackungen ausgerichtet. Mit diesen Akquisitionen haben wir im letzten Jahr zu unserer Wachstums­strategie beigetragen; damit abgeschlossen ist diese allerdings noch nicht.

Was sind denn Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen bei diesem schnellen Wachstum?
Yana Radchenko (YR): Die größten Herausforderungen bestehen aus meiner Sicht darin, dass viele neue Kolleg*innen mit unterschiedlichen Hintergründen und Werten zu uns kommen. Dieses Zusammentreffen verschiedener Kulturen und Werte muss begleitet werden. Bei Unternehmenswachstum, ganz allgemein, ist es wichtig, dafür zu sorgen, dass alle gemeinsame Zielsetzungen verfolgen, also in dieselbe Richtung ­blicken. Und es ist auch sehr wichtig, dass der Informationsaustausch auf Augenhöhe stattfindet. Unser Ziel ist es, allen Mitarbeitenden so viele Informationen wie möglich zu geben, damit sie ihren Arbeitsbereich selbstständig steuern und an den gemeinsamen Zielen ausrichten können.

Welche Chancen ergeben sich für Zusammenarbeit, Kultur, Generationen und die Organisationsstruktur?
(JW): Das Gute an so einer Veränderung ist, dass man immer viel Neues lernt. Man kann nie davon ausgehen, dass man alles weiß und alles richtig macht. Voneinander zu lernen, wie man Dinge anders machen oder denken kann, ist vielleicht genau der Weg, den es braucht, um unsere gemeinsamen Ziele noch effizienter zu erreichen. Dies ist eine Chance, sowohl den eigenen Horizont als auch die MM-Kultur zu erweitern. Die Diversität in der Belegschaft inklusive der unterschiedlichen Perspektiven auf verschiedenste Themen ist für uns bereichernd und Grundvoraussetzung für unseren Erfolg. Wenn wir alle gleich wären, wären wir wahrscheinlich nicht so erfolgreich, wie wir es heute sind.

Wie schaffen Sie es, den unterschied­lichen Anforderungen seitens der ­Mitarbeiter*innen und Kund*innen, die unter anderem durch dieses schnelle Wachstum entstehen, gerecht zu werden?
(JW): Es braucht ganz klare Prioritäten und Transparenz. Ein Beispiel: Wir haben jetzt 3.500 Mitarbeiter*innen mehr, die einen Computer brauchen, also können wir uns nicht mehr darum kümmern, ob jetzt jeder ein Apple-Gerät bekommt oder nicht. Priorität ist ein Computer, der den aktuellen technischen Anforderungen entspricht und damit die Arbeitsfähigkeit der Mitarbeitenden sicherstellt.

Welchen Beitrag leistet Ihre Abteilung, Group Information Management, zum Wachstum von MM?
(JW): Wir sind die Einzigen, die überall und in jedem Projekt involviert sind, denn am Ende des Tages arbeitet jeder mit einem Computer und mit einem System. Daher sind wir ein starkes Rückgrat für MM. Die Gruppe ist auch ein bisschen von uns abhängig, um Integrationen schnell vorantreiben und um die akquirierten Unternehmen auch steuern zu können, und deshalb ist es für uns extrem wichtig, unsere Aufgaben schnell abzuarbeiten und hier an vorderster Front zu unterstützen. Dazu muss ich kurz erwähnen, dass wir keine Abteilung sind, die sich in den Vordergrund drängt – das ist nicht notwendig.

Die MM Gruppe hat derzeit rund 16.000 Mitarbeiter*innen. Was können Sie über die Unternehmens­kultur sagen?
(YR): Ich habe erkannt, dass es bei MM eine persönliche Einstellung zu den Mitarbeiter*innen gibt – das heißt, wir behandeln unsere Kolleg*innen nicht nur als Kolleg*innen, die uns die Arbeit erleichtern, sondern auch als Menschen mit Problemen, Schwächen und Stärken. Das war sehr wichtig für mich, als der Krieg in meinem Heimatland, der Ukraine, begann: Als ich mich für verschiedene Stellen bewarb, musste ich meine Vorstellungsgespräche sehr oft verschieben. MM hat mich wirklich als Person wahrgenommen und meine Ansprechpartner*innen waren sehr besorgt um mich. Sie schickten mir Nachrichten und fragten, wie es mir und meiner Familie geht. Auch die Termine wurden an meinen persönlichen Rhythmus angepasst. Sie unterstützten mich von Anfang an, und das ist auch der Grund, warum ich hier gerne meine Zeit investiere. Ich will auch erwähnen, dass ich meine Bachelorarbeit gemeinsam mit MM geschrieben habe, und muss sagen, dass wir viele neue Ideen bezüglich Nachhaltigkeit haben, von denen wir einige auch realisieren. Genau deshalb sind wir immer auf der Suche nach neuen Talenten und Mitarbeiter*innen, denn wir wollen noch weiter wachsen.

Jetzt, da Sie noch einmal das Thema Nachhaltigkeit erwähnt haben, würde ich gerne wissen, wie Sie mit diesem Thema umgehen – denn paradoxerweise wächst der Papiermarkt, obwohl die Einsatzgebiete von Papier abnehmen. Es bleibt die Frage, ob Papier nachhaltig ist.
(YR): Es ist interessant, dass Sie sagen, es sei ein Paradoxon. Ja, wir brauchen bei bestimmten alltäglichen Aufgaben weniger Papier; wir lesen die Zeitung vielleicht elektronisch oder wir schreiben E-Mails statt Briefe. Aber es gibt auch eine andere Seite der Medaille: Wir gehen in den Supermarkt und kaufen verpackte Waren. Wir alle versuchen, Plastik zu ersetzen, das ist eine sehr große Initiative. Und was ist ein bewährtes Mittel, um Plastik zu ersetzen? Papier und/oder Karton! In unserer Gesellschaft werden wir immer Verpackungen für Lebensmittel oder Produkte brauchen, die durch den Transport verunreinigt oder beschädigt werden können. Es ist unsere Aufgabe, diese Produkte zu schützen. Wie wir in den letzten Jahrzehnten gelernt haben, ist Plastik furchtbar schädlich und schwer abbaubar. Aber es gibt nicht wirklich ­viele Alternativen zu Plastik – Papier oder Karton ist eine davon. Wir arbeiten mit Alt­papier; wir nehmen es zurück, retten es und nehmen es wieder in den Produktionsprozess auf. Hier kommt es auf den Verschmutzungsgrad des Papiers an. Wenn es nicht verschmutzt ist, kann man Papier beziehungsweise Karton bis zu 25 Mal recyceln und wiederverwenden. Deshalb appelliere ich so sehr an alle: Bitte, bitte, der Pizzakarton gehört nicht ins Altpapier! Er ist Restmüll, weil er schmutzig ist. Und sobald man einen Pilz in den Altpapiercontainer wirft, kann der ganze Altpapiercontainer nicht mehr recycelt werden. Es ist also sehr, sehr wichtig, die Mülltrennung wirklich gut und richtig zu machen. Kein nasses Papier und kein verschmutztes Papier in den Papiercontainer, sondern bitte in den Restmüll.

Die Mayr-Melnhof Gruppe (MM) ist Europas führender Karton- und Faltschachtelproduzent mit rund 16.500 Mitarbeiter*innen und einem konsolidierten Umsatz von 2.218,5 Mio. € im ersten Halbjahr 2022.