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Die KI, die mehr kann

Die neueste Schöpfung von Open AI, Chat GPT, hat die Welt im Sturm erobert. Sie kann bis zu 25.000 Wörter verarbeiten und ist damit in der Lage, alles von Code bis hin zu Gedichten zu erstellen. Das jüngste Update, GPT-4, wurde am 14. März vorgestellt und hat die KI zu einem wahrhaft multidimensionalen Chatbot gemacht: Chat GPT kann jetzt nicht nur auf Texteingaben reagieren, sondern auch Bilder verarbeiten.

Text: Ekin Deniz Dere Foto: Chuan Chuan/Shutterstock.com

Die 2020er-Jahre werden zweifellos in die Geschichte eingehen, ähnlich wie die 1430er-Jahre, in denen der Buchdruck aufkam, die 1960er-Jahre, in denen das Internet eingeführt wurde, und die 1970er-Jahre, in denen der erste Personal Computer auftauchte. Am 30. November 2022 startete Open AI Chat GPT und versetzte Tech-Giganten, Universitäten und Unternehmen in den Krisenmodus.

Mit der Fähigkeit, natürliche Sprache in einem noch nie da gewesenen Ausmaß zu verarbeiten und zu generieren, soll ChatGPT eine Bedrohung für Branchen darstellen, die von Kundendienst und Support bis hin zu Inhaltserstellung und Datenanalyse reichen. Es gibt viele Fragen, aber nur wenige klare Antworten. Niemand weiß mit Sicherheit, wie sich dies auf den Einzelnen und die Gesellschaft als Ganzes auswirken wird. Was aber feststeht, ist, dass es sowohl schwierig als auch unvernünftig ist, von einer einmal gefundenen effizienteren Methode zur Erledigung einer Aufgabe wieder abzuweichen.

Das Klischee „KI wird dich nicht ersetzen, sondern jemand, der KI einsetzt“ ist in den sozialen Medien weitverbreitet. Unternehmen haben erkannt, dass sie sich anpassen müssen oder riskieren, von Mitbewerber*innen überholt zu werden, die bereits stark in KI-Chatbots und Sprachmodelle investieren.

Eine der ersten Fragen, die aufgeworfen wurden, betraf das Eigentum an kreativen Inhalten – Bedenken, wie die von KI produzierte Arbeit angemessen zuzuordnen sei. Derzeit laufen Diskussionen darüber, wie Chat GPT als Quelle anerkannt werden kann und wie Betrug, z. B. durch KI-Detektoren, verhindert werden kann. Eine damit verbundene Frage ist, wer für die durch den Einsatz von KI geleistete Arbeit bezahlt wird. Wenn jemand einem KI-Tool die Idee, die Struktur und die notwendigen Informationen für einen Text liefert, aber die KI ihn tatsächlich schreibt, wer sollte dann für die Arbeit belohnt werden?

Die Frage der Namensnennung bei KI-generierten Arbeiten ist nicht neu. Mit der weiteren Verbesserung und Verbreitung von KI-Tools wird es immer wichtiger, einen Rahmen zu schaffen, der Ehrlichkeit und Transparenz bei ihrer Nutzung gewährleistet.

Während sich Wirtschaftswissenschaftler*innen seit Langem auf den potenziellen Verlust von Arbeitsplätzen infolge des technologischen Fortschritts konzentrieren, könnte es auch von Vorteil sein, unsere Aufmerksamkeit auf die Umwandlung von Arbeitsplätzen zu richten. Henry Hazlitt, ein US- Wirtschaftsjournalist, vertrat in der Tradition der österreichischen Wirtschaftswissenschaften die Auffassung, dass Maßnahmen zur Erhaltung von Arbeitsplätzen oder zur Erhöhung der Löhne nicht so wichtig sind wie solche, die auf die Steigerung des Produktionsniveaus abzielen. Hazlitt behauptete, dass Unternehmen, die produktiver sind, mehr Geld verdienen, was es ihnen ermöglicht, die Produktion auszuweiten, mehr Arbeitnehmer*innen einzustellen und die Löhne zu erhöhen. Hazlitt argumentierte weiter, dass arbeitssparende Technologien, die oft für den Abbau von Arbeitsplätzen und kollektivem Wohlstand verantwortlich gemacht werden, in Wirklichkeit die Produktivität und den allgemeinen Wohlstand erhöhen, was zu einem Anstieg der Beschäftigung führt.

Auch wenn „die einzige Konstante im Leben der Wandel ist“ (so der griechische Philosoph Heraklit), so unterscheidet sich die gegenwärtige Revolution doch von denen, die durch den Buchdruck oder den Personal Computer ausgelöst wurden. Was sie von anderen unterscheidet, ist das Potenzial der KI, die kognitiven Fähigkeiten des Menschen zu imitieren, anstatt den Menschen nur bei körperlicher Arbeit oder banalen Aufgaben zu übertreffen. Was also ersetzt wird, sind jene Fähigkeiten, die wir am engsten mit unserer menschlichen Identität verbinden: Kreativität, emotionale Intelligenz. Die Angst, überflüssig zu werden, ist daher größer denn je. Aber ist diese Angst berechtigt?

Obwohl die richtige Antwort eine agnostische Haltung ist, könnte es nützlich sein, das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Die Maxime „Die Werkzeuge, die wir erschaffen, erschaffen auch uns“ führt in diesem Fall zum Beispiel zu der Idee, dass sich die Gesellschaft verändern wird, dass menschliche Ideale und bestehende Politiken verändert werden müssen, was aber nicht zum Ende der Menschheit führen muss. Während einige, etwa Elon Musk, befürchten, dass die künstliche Intelligenz das Ende der Menschheit bedeuten wird, ist es wichtig, zu erkennen, dass die Gesellschaft die Macht hat, zu entscheiden, wie wir die von uns entwickelten Werkzeuge nutzen. Es gibt jedoch Kompromisse: Es wird wahrscheinlich zu Arbeitsplatzverlusten und anderen berechenbaren, aber auch unvorhersehbaren Auswirkungen kommen.

Der einfache Zugang zu Wissen durch Ressourcen wie Google und KI-generierte Texte, die mit von Menschen geschriebenen Texten vergleichbar sind, bietet die Möglichkeit, von der auswendig gelernten und wissensbasierten Bildung wegzukommen und die Klassenzimmer in interaktive Zentren zu verwandeln, in denen Lernen ein wechselseitiger Prozess zwischen Lehrer*in und Schüler*in ist. Vielleicht ist die Menschheit endlich motiviert genug, um zumindest darüber nachzudenken, unsere Systeme auf den Mehrwert statt auf die investierte Mühe zu gründen. Die Art und Weise, wie die Produktivität in Bildung und Wirtschaft gemessen wird, basiert seit Langem auf dem Arbeitsaufwand – Arbeitnehmer*innen werden nach der Anzahl ihrer Arbeitsstunden bezahlt, und Lehrgänge werden nach der Anzahl der von Studierenden geleisteten Stunden angerechnet. Der Aufstieg großer Sprachmodelle wie Chat GPT stellt diese Denkweise jedoch infrage. Das Bildungssystem muss einen Weg finden, extrinsische Motivation in intrinsische umzuwandeln.

Die Entwicklung von Chat GPT durch Open AI ist Teil eines größeren Trends in der Technologiebranche zur Entwicklung größerer Sprachmodelle, die natürliche Sprache verarbeiten und generieren können. Allerdings waren nicht alle Versuche, solche Systeme zu entwickeln, erfolgreich: Projekte wie Microsofts Tay, Googles Smart Reply und IBMs Watson scheiterten aufgrund von unangemessenen oder falschen Empfehlungen. Es ist üblich, dass technologische Fortschritte eine beträchtliche Zeit brauchen, um vollständig realisiert zu werden, und typischerweise beginnt die Geschichte einer Revolution mit einem radikalen Konzept, das nach und nach Aufmerksamkeit und Unterstützung erhält.

Trotz seiner revolutionären Wirkung ist die Entwicklung von Chat GPT nicht das Ende der Geschichte. Als Gesellschaft müssen wir uns auf die Veränderungen einstellen, die die unglaublich schnelle Einführung von KI-basierten Sprachmodellen mit sich bringen wird. Die Einführung von Chat GPT markiert eine neue Ära der KI, und angesichts der Unvorhersehbarkeit der Zukunft und der Subjektivität der Vergangenheit müssen wir darauf vorbereitet sein, uns mit ihren Auswirkungen auseinanderzusetzen, während wir ihr Potenzial tiefer erforschen.