Katalin Karikó ist eine viel beschäftigte Frau. Die ungarische Biochemikerin und „Erfinderin“ des mRNA-Covid-Impfstoffs hatte in den Pandemiejahren so einiges zu tun. „In den letzten Wochen war ich an vielen Schulen und Universitäten, um über meine Arbeit zu reden“, sagt die Wissenschaftlerin, als wir uns zu einem Zoom-Gespräch treffen. Trotz ihres Erfolgs der letzten Jahre ist ihr die Bildung und Förderung der nächsten Generation an Wissenschaftler*innen wichtig. Nun sitzt sie jedoch in ihrem Büro, zu Hause an der amerikanischen Ostküste in Pennsylvania. Im Hintergrund türmt sich eine Vielzahl an Preisen, die sie in den letzten Jahren für ihre Forschung gewonnen hat. Auch für den diesjährigen Nobelpreis war Karikó eine heiße Kandidatin; dennoch wirkt die weltberühmte Wissenschaftlerin bescheiden und geerdet. „Ich habe tatsächlich viele Preise für meine Arbeit erhalten, doch jedes Mal, wenn mir ein Preis verliehen wird, muss ich an all die Wissenschaftler denken, die vor meiner Zeit an RNAs und mRNAs geforscht haben und auf deren Texten und Errungenschaften ich meine Arbeit aufgebaut habe. In gewisser Weise habe ich diese Auszeichnungen im Namen aller Menschen angenommen, die vor mir an dieser Materie gearbeitet haben“, erzählt sie in perfektem Englisch, wobei man einen leichten ungarischen Akzent heraushört. Ein Grund für ihre bescheidene Art könnte an ihrer Herkunft liegen, denn der Weg, den Karikó bisher gegangen ist, war kein leichter, und die Tatsache, dass die Forscherin heute an einer der berühmtesten Universitäten der Welt unterrichtet, ist nicht selbstverständlich.
Katalin Karikó wurde 1955 im ungarischen Szolnok geboren. „Meine Familie und ich lebten in einem sehr kleinen Haus ohne fließendes Wasser. Obwohl wir nicht viel Geld hatten, gab es immer genug Essen auf dem Tisch und meine Eltern zogen meine Schwester und mich mit viel Liebe und Fürsorglichkeit auf“, erzählt die Wissenschaftlerin über ihre Vergangenheit. Da Karikós Vater Fleischhauer war, lernte sie schon in jungen Jahren, mehr oder weniger freiwillig, wie Schweine von innen aussehen: „Im Studium haben sich viele vor dem Sezieren von Tieren geekelt. Ich hingegen habe schon als kleines Mädchen gelernt, wie ein Schweinedarm aussieht und wo sich das Herz und der Magen befinden.“ Ihre Leidenschaft für die Biologie wurde demnach schon sehr früh geweckt. Wirklich interessiert hat Karikó sich aber vor allem für Pflanzen. So suchte sie als Kind im Garten ihrer Eltern nach Blumen, Sträuchern und Bäumen, zeichnete diese und notierte alle ihre Eigenschaften in einem Notizbuch. Im Gespräch merkt man ihr die Leidenschaft zur Natur und Botanik und ihre Liebe zur ungarischen Heimat sehr an. Trotz ihrer äußerst bescheidenen Herkunft spricht sie mit Freude und Leidenschaft über ihre Kindheit und ihre Familie.
ich wusste sofort, dass man mittels mrna einen wirksamen impFstoff herstellen kann.
Katalin Karikó
Als Karikó später in die Schule ging – eine gute Bildung war der Familie sehr wichtig, sagt sie –, musste sie in große Fußstapfen treten, denn ihre große Schwester war stets Klassenbeste. „Meine Schwester war immer gut in der Schule, also musste ich mithalten. Das ist halt so, wenn man die Jüngste ist“, erzählt sie lachend. Und in der Tat schrieb auch Karikó, vor allem in Biologie, stets gute Noten und konnte sogar als 14-Jährige in einem nationalen Biologie-Wettbewerb den dritten Platz erreichen. So war es fast selbstverständlich, dass Karikó nach ihrem Schulabschluss Biologie studieren wollte. In den 1970er-Jahren war das in Ungarn aber alles andere als leicht. Obwohl sie an einem Programm teilnahm, das jungen Menschen aus Nicht-Akademiker*innen-Familien das Studieren ermöglichen sollte, wurden jährlich in ganz Ungarn nur 40 bis 50 Menschen für ein Biologiestudium zugelassen. Dennoch hat Karikó den Sprung an die Universität geschafft und fing 1973 in Szeged an, zu studieren. „In der ersten Woche wurden wir gefragt, worüber wir uns im Studium am meisten freuen würden. Ich sagte, dass ich mich sehr für Pflanzen interessiere. Daraufhin haben mich alle angeschaut, als ob ich verrückt sei. Pflanzen? Wer interessiert sich denn dafür? Alle anderen haben Genetik gesagt“, erzählt Karikó lachend. 1978 machte sie dann ihren PhD in Szeged, bei dem sie sich das erste Mal ausführlich mit der Synthetisierung der RNA beschäftigte. Es war der Beginn einer akademischen Karriere, die sie nach einigen Rückschlägen in ihrer Forschung bis in die USA brachte. „Ich kam von einer kleinen ungarischen Stadt an eine große Ivy-League-Universität mit 30.000 Angestellten, die alle perfekt Englisch gesprochen haben. Ich war hätte eigentlich eingeschüchtert sein sollen. Aber ich habe gelernt, an mich zu glauben, denn ich hatte eine Idee, die niemand anderes an dieser Ivy-League-Universität hatte“, so die Forscherin stolz über ihre Anfänge.
Trotz oder gerade wegen ihrer Liebe zu Pflanzen führte Karikós Weg immer wieder in die Genetik. So forschte sie beispielsweise an einer Behandlung für HIV-Erkrankte mittels doppelsträngiger RNA. „Wir wollten das sogenannte Interferon-System, ein System an Proteinen, welches für das Immunsystem von Lebewesen wichtig ist, stimulieren, um HIV-Erkrankte zu behandeln. Letztendlich konnte diese Behandlung den Patienten aber nicht auf die Art und Weise helfen, wie wir uns das gewünscht hätten. Daher wurde die Studie abgebrochen. Ich habe dabei aber trotzdem viel über die Wirkungsweise von RNA gelernt“, so Karikó.
Doch was genau sind eigentlich RNA und mRNA? Und warum setzt man sie in einem Impfstoff ein? „Grundsätzlich ist die mRNA eine Boten-Ribonukleinsäure, die verschiedene Informationen zum Aufbau von Proteinen enthält“, erklärt die Biochemikerin so einfach wie möglich, und schafft damit etwas, woran viele Professor*innen leider scheitern: eine hoch komplizierte Materie so einfach wie möglich zu erklären. Man merkt Karikó die vielen Besuche an Schulen und Universitäten an. Grob gesagt ist die mRNA also ein Bauplan für Proteine, der an die Zelle weitergegeben wird, wo diese Proteine dann hergestellt werden. Wenn eine mRNA also den Bauplan für einen Teil eines Virus enthält und dieser mittels einer Impfung in den menschlichen Körper gelangt, kann die Zelle selbst einen ungefährlichen Teil des Virus herstellen, auf den das Immunsystem im Anschluss reagiert und Antikörper herstellt. Mit genau diesem Mechanismus funktioniert auch der Impfstoff für das Coronavirus.
Die Impfstoff-mRNA enthält in diesem Fall den Bauplan für die sogenannten Spike-Proteine des Coronavirus. Diese charakteristischen Proteine sind das Erkennungsmerkmal des Coronavirus für unseren Körper. Wenn sich diese in unserem Blutkreislauf befinden, reagiert das menschliche Immunsystem und stellt Antikörper gegen das Coronavirus her. Infiziert man sich dann später mit dem Virus, kennt der Körper es bereits und zerstört Virus- und infizierte Körperzellen.
„Als die Pandemie begann, wusste ich sofort, dass man mittels der mRNA einen wirksamen Corona-Impfstoff herstellen kann. Ich habe nie daran gezweifelt“, erzählt Karikó über die Entwicklung des Impfstoffs. Später sollte sich herausstellen, dass der mRNA-Impfstoff durch die vielen Vorteile, die er mitbringt, perfekt zugeschnitten für eine globale Pandemie war: Er ist günstig in der Herstellung, einfach zu reproduzieren, wirksam (auch bei bereits infizierten Zellen) und sicher. Obwohl viele negative Stimmen meinten, die Zulassung verlief zu schnell und der Impfstoff sei nicht genug getestet worden, hatten Karikó und ihr Team schon viele Jahre zuvor an einem RNA-Impfstoff für Viren und verschiedene Krebsarten gearbeitet. Der Weg bis hin zum Impfstoff war bereits ein langer gewesen.
„Ich habe zwischen 1989 und 1999 daran gearbeitet, mittels RNA Proteine für therapeutische Zwecke zu kodieren. Damals war von einer mRNA-Impfung noch gar nicht die Rede“, so Karikó. Ihr damaliges Ziel war es, bei kardiologischen Bypass-Operationen, bei denen Blutgefäße aus dem Bein der Patient*innen ins Herz operiert werden, die Überlebenschancen mittels RNA-synthetisierter Proteine zu erhöhen. Später erhielt sie an der Penn University in der neurologischen Abteilung einen Forschungsplatz, mit dem Ziel, mittels RNA Schlaganfallpatient*innen zu helfen. Dort traf sie auf Drew Weissman, der sie auf die Idee einer RNA-Impfung brachte. Gemeinsam schafften sie es, eine Nukleosid-modifizierte RNA herzustellen, die bei Impfungen keine erhöhte Immunantwort im menschlichen Körper auslöst – und so beschloss die Weltgesundheitsorganisation 2017, RNA- und mRNA-Impfstoffe als neue Wirkstoffklasse aufzunehmen.
Im Dezember 2020 wurde der erste Corona-mRNA-Impfstoff, der auf der Forschung von Katalin Karikó und Drew Weissman beruhte, von Biontech und Pfizer weltweit zugelassen. Und obwohl die Zulassung der mRNA-Impfstoffe sowohl von Biontech und Pfizer als auch von Moderna, die ursprünglich als Krebsimpfstoffe gedacht waren, in Europa schneller als üblich erfolgte, wurden keine Prüfungsschritte ausgelassen. Die Gründe der schnelleren Zulassung waren lediglich verbesserte technische Möglichkeiten, die Erfahrungen durch die große Menge an Covid-Erkrankten und die erhöhten finanziellen Mittel.
Während meiner Kindheit in Ungarn waren alle Dankbar, wenn sie Zugang zu Impfungen bekommen haben.
Katalin Karikó
Dennoch hat die Covid-Impfung eine weltweit große Welle an Misstrauen geweckt; zahlreiche Menschen sprachen sich gegen die Impfungen aus und leugneten ihre Wirksamkeit. „Gerade eben hat mir jemand eine E-Mail geschickt und sich darin beschwert, dass er trotz dreier Impfungen mit einer Covid-Erkrankung im Spital gelandet ist. Viele Menschen verstehen nicht, dass die Impfung nicht dafür gemacht wurde, einen zu heilen, sondern lediglich dafür, das Immunsystem zu aktivieren, damit dieses selbst gegen den Covid-Virus kämpfen kann“, erklärt Karikó. Tatsächlich bekommt sie täglich E-Mails von Menschen, die ihr beispielsweise vorwerfen, wissentlich die Welt „vergiftet zu haben“. „Ich habe wirklich nicht erwartet, dass die Covid-Impfung so viele Gegner haben könnte, die ihre gesamten gesundheitlichen Probleme auf die Impfnebenwirkungen schieben. In meiner Kindheit in Ungarn waren alle froh und dankbar, wenn man Zugang zu Impfungen bekommen hat“, sagt Karikó enttäuscht. Trotz der vielen Impfgegner*innen, die regelmäßig versuchen, mit der Wissenschaftlerin Kontakt aufzunehmen, wirkt sie nicht wütend, sondern eher beunruhigt. In Zukunft sollen RNA-Impfstoffe jedenfalls zu ihrem ursprünglichen Zweck zurückgeführt und unter anderem für Krebskrankheiten eingesetzt werden.
Mittlerweile ist Katalin Karikó Professorin an der University of Pennsylvania und Senior Vice President bei Biontech. Heute liegt ihr vor allem auch die Ausbildung und Förderung von jungen Wissenschaftler*innen sehr am Herzen. „Ich rate allen jungen Menschen immer, dass sie zuallererst Freude an dem haben sollen, was sie machen. Wenn sie wirklich Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler werden wollen, müssen sie wichtige molekulare Mechanismen von Krankheiten finden und Behandlungsmöglichkeiten entwickeln. Das muss einem zuallererst Spaß machen.“
Illustration: Thomke Meyer