Das Problem mit Abhängigkeit ist, dass die abhängige Seite im Konflikt keinen Verhandlungsspielraum hat und bereit ist, eigene Prinzipien notfalls über den Haufen zu werfen. Die stärkere Seite weiß das. Der Krieg in der Ukraine hat unsere bereits lange bestehende Abhängigkeit von auch, aber nicht nur russischem Gas und Öl erbarmungslos offengelegt.
Und er hat auch Gemächlichkeit und Halbherzigkeit entlarvt, mit denen wir in der EU die Energiewende zu vollziehen versuchen. Einige scheinen bereit, die zeitnahe Energiewende zu opfern. In Deutschland wird wieder offen darüber gesprochen, ob die Kohle wirklich verzichtbar ist. Und das ging ziemlich schnell. Brandenburgs Ministerpräsident Woidke stellte bereits am Tage des Kriegsausbruchs den Ausstieg aus der Kohleverstromung infrage, der bis 2030 geplant ist.
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz spricht: „Die Versorgung Europas mit Energie für die Wärmeerzeugung, für die Mobilität, die Stromversorgung und für die Industrie kann im Moment nicht anders gesichert werden.“
Die Industrie wehrt sich gegen Sanktionen. Der Bundesverband der deutschen Industrie sieht verheerende Folgen für die deutsche Wirtschaft, wenn russisches Öl, Gas und russische Kohle versiegen. Die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie sei gefährdet. Wie konnte es so weit kommen, dass uns diese Abhängigkeit so kalt erwischt?
Ursprünglich war geplant, elektrische Energie so zu speichern, dass auch dann Strom zur Verfügung steht, wenn Windräder und Sonnenkollektoren nicht liefern können. Mit dem Wind-Strom wollte man Wasserstoff erzeugen und den dann bei Flaute in Strom umwandeln. Doch die entsprechenden Systeme kommen nicht voran. Neben „rechtlichen Restriktionen“ seien noch sehr viele „technische“ und „kostenintensive Herausforderungen“ zu bewältigen, heißt es in der „Energiestrategie 2040“ der Brandenburger Landesregierung.
Doch die Ukraine fordert von uns den Boykott. Jetzt. Kurzfristig. Auch die baltischen Länder drängen auf ein Embargo für russisches Gas und Öl – denn solange die EU Energieträger aus Russland kaufe, finanziere man den Krieg mit, so das Argument. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij bat das EU-Parlament, sein Land nicht im Stich zu lassen. Die Sanktionen gegen Russland reichten bei Weitem nicht aus.
Putin aber weiß: Wir können kaum ohne sein Gas. Oder wir wollten und mussten bislang nicht. Vergangenes Jahr importierten die EU-Länder im Durchschnitt über 380 Millionen Kubikmeter Gas pro Tag. Damit stammten 45 % der Gaseinfuhren in die EU aus Russland.
Und so arbeitet die EU fieberhaft an der Unabhängigkeit. Zwar nicht aus Überzeugung, sondern aus Not. Der Anreiz, nun besonders schnell auf Ökoenergien umzusteigen, steigt mit den Preisen für fossile Energieträger. Umrüstungen brauchen Zeit. Doch die Energiewende muss jetzt erst recht schneller gehen.