Siemens Mobility Austria

DER WEG UND DAS ZIEL

Seit mehr als 140 Jahren ist Siemens in Österreich aktiv. Die Standorte des Unternehmens haben Österreichs Schienenmobilität intensiv geprägt. Ging es früher noch um die Fertigung von einfachen Güterwaggons, entwickeln sich Schienenfahrzeuge heute immer mehr zu rollenden Computern. Ein Gespräch mit Siemens-Mobility-Austria-CEO Arnulf Wolfram.

Text: Heidi Aichinger Foto: Siemens Mobility Austria

In einem Unternehmen, das die Herausforderungen der modernen Anforderungen an Mobilität annimmt, ist Stillstand keine Option. Siemens Mobility Austria als Unternehmen ist hoch diversifiziert und funktioniert vertikal integriert. Die anhaltend gute Auftragslage mit steigender Tendenz gibt Anlass zur Freude, hört man von CEO Arnulf Wolfram. Sie bedeutet aber auch laufende Suche nach Talenten, Facharbeitern, Akademikern und Lehrlingen im Bereich Mobilität, der sich sowohl technologiebedingt als auch kulturell getrieben im steten Wandel befindet.

Kernbereiche und in Österreich gebündelt sind dabei „Rail Infrastructure“ (Produkte und Lösungen für Bahnautomatisierung und Elektrifizierung), „Rolling Stock“ (Schienenfahrzeuge für den Nah-, Regional- und Fernverkehr sowie Produkt- und Systemlösungen für den Personen- und Güterverkehr) und „Customer Service“ (Dienstleistungen für Schienenfahrzeuge sowie Schieneninfrastruktur über den gesamten Lebenszyklus). Darüber hinaus gibt es die Bereiche „Intermodal Solutions“, wo etwa Apps und Backend-Systeme zur Fahrgastinformation programmiert werden, und die „Turnkey Projects“ (schlüsselfertige Komplettlösungen für Bahnsysteme). 2020 erwirtschaftete Siemens Mobility Austria mit mehr als 3.000 Mitarbeitern 1.187,6 Mio. € Umsatz – das Unternehmen wächst und verändert sich laufend. Da tut sich was.

Sie sind seit 2018 CEO von Siemens Mobility Austria, aber schon länger im Feld der Mobilität im Siemens-Konzern tätig. Der Begriff Mobilität hat sich insbesondere in den vergangenen zehn Jahren stark gewandelt; er hat, wenn man so möchte, einige zusätzliche Bedeutungen bekommen. Wie treibt man so einen Mindshift in einer ­Industrieikone wie Siemens voran? Wie sehen die Anforderungen an Mobilität in einem Unternehmen wie dem Ihren aus?

[ARNULF WOLFRAM]: Hier muss man in die Geschichte der Siemens AG schauen, die sich nicht nur in Sachen Mobilität, sondern generell über die vielen Jahre immer wieder grundsätzlich neu erfunden hat respektive erfindet; vor dem Hintergrund historischer, politischer oder technologischer Entwicklungen mit Auswirkung auf die jeweilige Unternehmenskultur in den einzelnen Phasen. Mobilität nimmt einen besonderen Platz ein: Es ist ein stark technologie­getriebenes Thema, das mit viel Nostalgie verbunden und trotzdem Mainstream ist. Das allein zeigt schon das Spektrum der Veränderung für unsere Kunden, für uns als Hersteller, für unsere Zulieferbetriebe bis hin zu den Konsumenten und Nutzern unserer Produkte und Services.

Mit Digitalisierung als Dreh-und Angelpunkt …

[A. W.]: Digitalisierung – beziehungsweise die dazu notwendige Soft- und Hardware – spielt eine ganz zentrale Rolle. Das betrifft etwa die Infrastrukturseite, beginnend bei der Zugsicherung, bis hin zur Information für den Fahrgast, der in unseren Zügen unterwegs ist oder sich gerade auf den Weg von A nach B macht. Auch in jedem Schienenfahrzeug ist der Computer ein zentraler Teil: Einerseits wird damit das Fahrzeug selbst gesteuert, andererseits weiß man damit zu jedem Zeitpunkt, wo ein Fahrzeug unterwegs ist, oder kann frühzeitig einen Reparaturbedarf erkennen und damit so erledigen, dass das den Fahrbetrieb nicht einschränkt. Wir können am anderen Ende des Spektrums den Passagieren sagen, ob ihr Zug Verspätung hat und sie ein paar Minuten später aufbrechen können – in jedem Punkt der Wertschöpfungskette spielt Digitalisierung eine zentrale Rolle.

MOBILITÄT NIMMT EINEN BESONDEREN PLATZ EIN:
ES IST EIN STARK TECHNOLOGIE-GETRIEBENES
THEMA, DAS MIT VIEL NOSTALGIE VERBUNDEN UND TROTZDEM MAINSTREAM IST.

Arnulf Wolfram, CEO von Siemens Mobility Austria, über Tradition und Moderne in der Mobilität

An der Kundenschnittstelle, im ­Bereich der Kundeninformation, bieten Sie ähnliche Services wie etwa Ihre eigenen Kunden an. Wie blicken Sie auf eine neue Gemengelage wie „Kunde – Konkurrenz“?

[A. W.]: Wie vielfach bei Innovationen nähern sich hier Unternehmen aus unterschiedlichen angestammten Tätigkeitsfeldern dem Thema an. Ich sehe diese Plattformen jedenfalls als Teil eines nächsten Schritts einer gesamtheitlichen Entwicklung. Aus Sicht des Konsumenten wird es am Ende des Tages sekundär sein, welches Verkehrsmittel er verwendet, das ihn von A nach B bringt. Das wird sicher allen im Schienenverkehr Eingebundenen helfen, eine der größten Herausforderungen, die sogenannte Last Mile, zu managen.

Sichtbarer als diese Mobility-Services sind die offenbar gut gefüllten Auftragsbücher von U-Bahn-Waggons bis hin zu Nachtzügen …

[A. W.]: Das ist das andere Ende des Spektrums der Kundenzufrie­denheit, für die wir technische Lösungen anbieten. Verbunden mit einem modernen Verständnis der Eisenbahn sind das Fragen wie etwa der Komfort oder die Innenausstattung von Zügen. Was kann der Kunde unterwegs tun – von der Ausstattung mit WLAN bis hin zur Streckeninformation und zum Ticketing? All das sind Dinge, die heute immer stärker in den Fokus rücken. Und wenn wir wollen, dass die Eisenbahn als umweltfreundliches Verkehrsmittel neben Auto und Flugzeug konkurrenzfähig und kosteneffizient ist und bleibt, dann sind das die Ansatzpunkte, um die es geht.

Können Sie in etwa sagen, wie das Verhältnis von „Hardware“ – wie etwa Züge – zu „Software“ – im Sinne von digitalen Services jeder Art – aussieht?

[A. W.]: Ich würde die Volumina etwa in der Größenordnung zwei Drittel zu einem Drittel sehen.

Spüren Sie die Klimaziele positiv in Ihren Auftragsbüchern?

[A. W.]: Das sieht man nicht nur in unseren Auftragsbüchern, sondern auch in jenen unserer Mitbewerber. Da geht es einfach auch um ein generell gesetztes Ziel, den CO2-Footprint zu verringern. Diese Zahlen reflektieren aber längere Zeitspannen – unser Geschäft hat einfach eine sehr lange Vorlaufzeit. Je nach Verlauf gehen von der Ausschreibung bis zur Umsetzung der Projekte schnell mal fünf Jahre ins Land. Die technischen Innovationen sehen wir aber als laufende Aufgabe. Insbesondere die Effizienzsteigerung – zum Beispiel bei der Weiterentwicklung von Bremssystemen oder Antriebssystemen oder die Erhöhung des Durchsatzes auf der Infrastruktur mithilfe moderner Signaltechnik – ist immer schon Zielvorgabe gewesen. Und was den CO2-Fußabdruck betrifft, gibt es beim System Bahn ebenfalls noch Dinge aufzuholen, etwa bei den vielen Nebenstrecken, die noch nicht elektrifiziert sind.

Arnulf Wolfram
(Jahrgang 1959) ist seit 2018 CEO von Siemens Mobility Austria und Head of Siemens Mobility CEE. Wolfram ist VP des Austrian Traffic Telematics Cluster und im Vorstand der IW Wien sowie des Verbands der Bahnindustrie Österreich.

Forschung und Entwicklung ­spielen bei Siemens Mobility Austria eine große Rolle, das Unternehmen meldet in Österreich jedes Jahr rund 30 Patente an. Ein Teil dieses technischen Innovationszirkels ist ein Thinktank. Wie funktioniert dieser?

[A. W.]: Der Thinktank geht auf eine Initiative einer Gruppe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zurück und ist wie eine Art Raum mit vielen Freiheiten zur Entwicklung neuer Ideen, die aber auf Wirtschaftlichkeit ausgerichtet sein sollten – eine Gratwanderung. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass Innovationen selten entlang des bekannten Portfolios entstehen, sondern meist an Schnittstellen. Irgendwann muss aber ein Weg gefunden werden, aus dem freien Spiel in eine konkrete Umsetzung zu kommen.

Die aktuelle Ausgabe des TUW Magazine widmet sich der künstlichen Intelligenz, KI. Es geht dabei nicht nur – aber auch, und auch bei Siemens Mobility Austria – um „die Daten“ …

[A. W.]: Ja. Wer darf die Daten nutzen, wem gehören sie, und wie sieht dieses Zusammenspiel aus? Das sind zentrale Fragen. Dazu gibt es viele Theorien. Unumgänglich ist, und davon bin ich überzeugt, ein sogenannter Open Access. Der Mehrwert der Daten liegt ja nicht bei den Daten selbst, sondern darin, was die Algorithmen aus den Daten machen, respektive den ­Analysen, die man daraus zieht. Das sehen Sie auch schon in der Erweiterung unseres Portfolios sowohl durch Eigenentwicklungen als auch durch die Akquisition von Unternehmen wie zuletzt Sqills oder Padam.

Diese Entwicklung ins Auge fassend und um die tradierten Berufe des Ingenieurwesens wissend: Wie soll denn ein potenzieller Mitarbeiter Ihres Unternehmens aufgestellt sein?

[A. W.]: Ich wünsche mir Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die sich ihre Neugier bewahrt haben; Menschen, die Interesse an Neuem haben und die Themenstellungen durchdenken wollen und können, mit all ihrem Wissen, ihrer Ausbildung und der Erfahrung, die sie haben. Wesentlich ist, dass diese Menschen Dinge kombinieren, analysieren und weiter vorantreiben können.

Mit diesem Wunsch stehen Sie nicht allein da. Wie finden Sie diese Leute?

[A. W.]: Natürlich stehen wir in Kontakt zu Universitäten – wie zum Beispiel der TU Wien, aber auch der Grazer Universität und der Montanuni in ­Leoben –, aber auch zu den verschiedenen Fachhochschulen. Diese akademischen Kon­takte sind für uns wichtig. Wichtig sind aber auch Fachkräfte, die wir so wie unsere Mitbewerber brauchen. Aber auch die kaufmännischen Berufe und Ausbildungsstätten sind uns wichtig – natürlich stehen wir etwa auch mit der Wirtschaftsuniversität Wien in Kontakt. Die Schienenfahrzeugindustrie ist sehr komplex, daher bieten wir Perspektiven für Menschen mit unterschiedlichsten Ausbildungsrichtungen.

Im Rahmen dieser Kontakte und darüber hinaus bieten Sie auch andere Möglichkeiten an, an Ihr Unternehmen anzudocken – für Studierende, für Lehrlinge; Sie bieten ein duales Studium an …

[A. W.]: Das gibt uns vor allem in den Werkstätten die Möglichkeit, „sich möglichst früh miteinander vertraut zu machen“, wie es so schön im „Kleinen Prinzen“ heißt. Gleiches gilt aber auch für die zahlreichen Werkstudentinnen und Werkstudenten, die bei uns im Haus tätig sind.

ICH WÜNSCHE MIR MITARBEITER
UND MITARBEITERINNEN,
DIE SICH IHRE NEUGIER BEWAHRT HABEN.

Arnulf Wolfram über seine Mitarbeiter*innen.

Sie selbst sind als Lehrling ins ­Berufsleben eingestiegen …

[A. W.]: Ich habe unmittelbar nach meiner allgemeinen Matura bei Siemens eine klassische kaufmännische Lehre absolviert – das wurde damals in Deutschland speziell für Maturanten angeboten. Das war für mich genau das Richtige, weil ich unbedingt mehr Einblicke ins Wirtschaftsleben gewinnen wollte. Diese zwei Jahre Lehre haben mir die Zusammenhänge eröffnet, die mir später bei meinem Studium an der Wirtschaftsuniversität Wien sehr geholfen haben.

Je früher Mitarbeiter an ein Unternehmen andocken, desto eher sind diese – im besten Sinne – „formbar“, auch in Anbetracht der Berufsbilder der Zukunft, also jener Jobs, die es heute noch gar nicht gibt. Wie gehen Sie das an?

[A. W.]: Natürlich ist es auch eine Auf­gabe eines Unternehmens, entsprechende Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen sowie weitere Möglichkeiten für Erkenntnisgewinn anzubieten. Gleichzeitig stehe ich auf dem klaren Standpunkt, dass man sich das Umfeld, den Raum, den wir anbieten, auch selbst ausgestalten muss. Das ist eine Holschuld, und deswegen ist die angesprochene Neugier der Mitarbeiter so wichtig. Kein Unternehmen kann diesen Antrieb ersetzen oder gar abnehmen.

Gibt es aktuelle Projekte und Ini­tiativen, die Sie persönlich beschäftigen und umtreiben?

[A. W.]: Da gibt es viele Dinge – darunter etwa das konzernweite Nachhaltigkeits-Rahmenwerk „DEGREE“, mit dem wir uns ehrgeizige Ziele zugunsten all unserer Stakeholder zu den zentralen Themen Umwelt, Soziales und Governance gesetzt haben, aber auch die sogenannte Sustainability Challenge (sc.rce-vienna.at, Anm.), eine interdisziplinäre Lehrveranstaltung, im Rahmen derer 90 Studierende von sechs Universitäten an 15 Projekten zum Thema Nachhaltigkeit arbeiten respektive diese als Start-up realisieren. Es gibt im Feld der Nachhaltigkeit immer etwas zu tun – hier muss man aber auch realistisch sein, wenn es um die Umsetzung geht. Wie andere auch haben wir unsere Flachdächer mit Solaranlagen ausgestattet, unsere Gabelstapler fahren mit Strom – wir kaufen auch keine Zertifikate, sondern Ökostrom für all diese Aktivitäten. So gesehen befinden wir uns in einem laufenden Kulturwandel und entwickeln uns so, wie anfangs erwähnt, selbst regelmäßig weiter.