Martin Schoeller, The Royal Society, Forbes Media

CRAZY ON TWITTER

Elon Musk ist ganz offiziell der reichste Mensch der Welt. Mit seinem Reichtum hat er anscheinend Großes vor: Neben Tesla, Space X, The Boring Company, Neuralink und Open AI kauft Musk nun auch Twitter, eine der wichtigsten Social-Media-Plattformen. Satte 44 Milliarden US-$ investiert der Unternehmer in den Kauf. Die Reaktionen reichen – wie immer bei Musk – von Euphorie bis hin zu heftiger Kritik. Doch was will der 50-Jährige mit Twitter eigentlich anfangen?

Text: Klaus Fiala Foto: Martin Schoeller, The Royal Society, Forbes Media

240 Mrd. US-$ sind sehr viel Geld. Es entspricht in etwa der jährlichen Wertschöpfung von Staaten wie Rumänien, Portugal oder Pakistan. Diese Summe entspricht auch der ungefähren Marktkapitalisierung von Unternehmen wie dem chinesischen Onlinehändler Alibaba, dem Getränkekonzern Pepsi Co oder dem dänischen Pharmariesen Novo Nordisk. Man könnte sich mit 240 Mrd. US-$ auch rund 6,1 Mio. Bitcoin kaufen. Und: 240 Mrd. US-$ beträgt das Privatvermögen von Elon Musk (alle Zahlen zu Redaktionsschluss, Anm.) – im April 2022 landete der aus Südafrika stammende Unternehmer erstmals auf Platz eins der Forbes Billionaires List, sprich: Musk ist seit diesem Jahr ganz offiziell der reichste Mensch der Welt. Hinter ihm folgen Amazon-Gründer Jeff Bezos auf Platz zwei und LVMH-Eigentümer Bernard Arnault auf dem dritten Rang.

Doch wer glaubt, dass Musk sich auf seinen Lorbeeren ausruht, irrt. Sein Geld, das zu großen Teilen in Aktien des von ihm gegründeten E-Auto-Herstellers Tesla sowie des Weltraumunternehmens Space X steckt, nutzt Musk nämlich nun, um mit Twitter die vermutlich wichtigste digitale Diskussionsplattform zu kaufen. 54,20 US-$ pro Aktie, insgesamt 44 Mrd. US-$, investiert Musk in den Kauf.

Musk hat schon seit jeher eine gewisse Affinität zu dem US-Kurznachrichtendienst. Mit seinen 83,4 Millionen Followern liegt Musk auf Rang acht der Twitter-Accounts mit den meisten Followern (vor ihm liegen unter anderem der ehemalige US-Präsident Barack Obama und Fußballstar Cristiano Ronaldo, Anm.). Seine Beliebtheit verdankt Musk auch seiner Art, Twitter nahezu ohne Filter zu nutzen – er gibt Tesla-Updates, reagiert auf Lob und Kritik von Kunden und lobt das Space-X-Team bei Raketenstarts. Außerdem befeuert er regelmäßig die Kryptowährung Dogecoin, eines seiner Hobbyprojekte. Doch Musk verbreitete Experten zufolge auch zahlreiche unwissenschaftliche Behauptungen bezüglich des Coronavirus; er bezeichnete Rettungskräfte, die bei einem Höhlenunglück in Thailand aktiv waren, als „pädophil“ und er dachte laut über die Gründung einer neuen Universität namens Texas Institute of Technology and Science nach, deren Kürzel „TITS“ lauten würde.

Doch abseits solcher Äußerungen hatte seine Twitter-Freude 2018 ernsthafte Konsequenzen für Musk. Damals behauptete er nämlich, Tesla von der Börse nehmen und privatisieren zu wollen. Die Finanzierung dafür sei gesichert, so Musk. Die US-Börsenaufsicht SEC sah das anders, ermittelte und beurteilte den Tweet schließlich als Falschaussage, die den Tesla-Kurs nachhaltig beeinflusst hätte. Musk und Tesla mussten je 20 Mio. US-$ Strafe zahlen (also 40 Mio. US-$ gesamt), seine Handlungsmöglichkeiten auf Twitter wurden eingeschränkt und er musste seinen Posten als Tesla-Chairman vorübergehend abgeben. Musk sagte im Nachhinein, der Tweet sei es wert gewesen, und besteht bis heute darauf, nie eine falsche Aussage gemacht zu haben. Die SEC bezeichnete er wegen der Eskapade kürzlich als „Bastarde“.

Doch trotz dieser Episoden können auch die größten Kritiker Musks seine Veränderungsenergie und seine Pionierrolle kaum bestreiten. Mit Tesla hat er den Umbruch der Automobilbranche in Richtung elektrische Antriebe quasi im Alleingang eingeläutet, mit Space X arbeitet er daran, dass die Menschheit das Weltall erobert und den Mars besiedelt, mit Neuralink will Musk eine Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine schaffen. Das von ihm mitgestaltete Paypal veränderte den modernen Zahlungsverkehr, und mit The Boring Company könnte Musk Menschen in Kapseln, die in Röhren befördert werden, in Höchstgeschwindigkeit von A nach B transportieren.

Es sei wichtig, so Musk in einem Interview auf der TED-Konferenz im April 2022, „eine inklusive Arena für Redefreiheit“ zu haben – und Twitter sei eine Art „Town Hall“ geworden, bei der sich Menschen treffen würden, um ihre Meinung zu äußern. Musk sagte, die Übernahme habe kein vorrangig monetäres Ziel; vielmehr scheint es ihm, der sich sowieso nicht gerne vorschreiben lässt, was er sagen darf und was nicht, offensichtlich 44 Mrd. US-$ wert zu sein, Twitter als Plattform für freie Meinungsäußerung nach seinen Vorstellungen umzubauen.

Während Musk-Fans den Angriff auf Twitter aufgrund seines Track Record bei Tesla und Space X also euphorisch begrüßen, zeigen sich Kritiker besorgt darüber, dass der reichste Mensch der Welt eine der wichtigsten Diskussionsplattformen übernehmen und nach seinen Vorstellungen verändern will. Auch das Board von Twitter wehrte sich lange vehement gegen den Übernahmeversuch, scheint sich nun aber doch zu fügen. Doch was will Musk mit und bei Twitter eigentlich verändern? Was hat das alles mit Demokratie zu tun? Und wer ist Elon Musk überhaupt?

Würde Twitter wirtschaftlich besser dastehen, wäre das Thema vielleicht nie aufgekommen. Doch das 2006 von Jack Dorsey gegründete Unternehmen erzielte seit 2010 in nur zwei Jahren ein positives Ergebnis, ansonsten schrieb es stets rote Zahlen. Die kumulierten Verluste im letzten Jahrzehnt betragen rund 0,5 Mrd. US-$. Der Aktienkurs vor der „Musk-Saga“ lag bei 39 US-$ – also zwei US-$ unter dem Preis von November 2013, als Twitter an die Börse ging. Twitter wirkt wirtschaftlich orientierungslos: Mit diversen Erweiterungen, etwa dem Audio-Feature Spaces und einem Vorstoß in den beliebten Newsletterbereich, versuchte der neue CEO Parag Agrawal, der nach Dorseys Abgang das Ruder übernommen hatte, das Geschäftsmodell des Unternehmens nachhaltig zu festigen. Auch der Umgang mit Musk zeigt Orientierungslosigkeit: Nachdem bekannt geworden war, dass Musk 9,2 % der Twitter-Aktien gekauft hatte, kündigten unter anderem Gründer Dorsey und CEO Agrawal an, der Tesla-Gründer würde Mitglied des Boards werden. Wenig später wurde die Aussage dann aber revidiert, denn Musk hatte es sich anders überlegt. Das Twitter-Management wollte sich dann gegen die Übernahme stemmen – wohl auch auf Druck der Belegschaft hin –, bevor man sich wenig später doch auf einen Deal mit Musk einigte.

Das scheint auch Musk aufzustoßen. Der Milliardär hat offensichtlich klare Ideen, welche Änderungen nötig wären, um die Plattform für die Zukunft vorzubereiten. Eine der wichtigsten Neuerungen wäre ein „Edit-Button“, also die Möglichkeit, Tweets im Nachhinein zu bearbeiten. Diesen fordern viele User schon seit Langem. Der Unternehmer will den Twitter-Algorithmus zudem Open Source machen – so soll transparent werden, welche Tweets gefördert werden und welche nicht. Außerdem zeigte Musk in einem Tweet richtigerweise auf, dass die größten Twitter-Accounts nur ganz selten posten würden – darunter die Popstars Justin Bieber und Taylor Swift. Warum ihm überhaupt an Twitters Erfolg gelegen ist? „Ich denke, dass es (gemeint ist Twitter, Anm.) wichtig für die Funktionsfähigkeit der Demokratie in den USA ist und die Freiheit weltweit fördern könnte“, so Musk im TED-Interview. Doch Musk will auch den Premium-Aboservice Twitter Blue deutlich günstiger gestalten oder abschaffen und Werbung von der Plattform verbannen. Ob und wie das Unternehmen in Zukunft dann sein Geld verdienen soll – 89 % des Umsatzes bzw. rund 4,5 Mrd. US-$ stammten zuletzt aus Werbung –, wurde aus Musks Äußerungen nicht klar.

Elon Musk wurde 1971 in der südafrikanischen Hauptstadt Pretoria geboren. Sein Vater, ein Südafrikaner, war Maschinenbauingenieur, während seine kanadische Mutter Maye als Model und Autorin tätig ist. Musk besuchte die Pretoria Boys High School (PBHS), die als eine der besten Schulen Südafrikas gilt. Er war ein Einzelgänger und Außenseiter und wurde heftig gemobbt. Als Kind verbrachte Musk seine Zeit daher mit Büchern. Seine Mutter schrieb in ihrer Autobiografie „A Woman Makes A Plan“, dass seine Familie Elon Musk „die Enzyklopädie“ oder „Genius Boy“ nannte, weil er sich an alles, was er gelesen hatte, auch erinnerte.

Laut eigener Aussage hat Musk das Asperger-Syndrom, eine autistische Störung, die es ihm schwer mache, zwischenmenschliche Codes zu lesen. Er habe daher immer geglaubt, die Menschen würden genau das meinen, was sie sagen – ohne auf Intonation oder Mimik Wert zu legen. Zu seinem Twitter-Verhalten sagte er außerdem: „Ich weiß, dass ich manchmal eigenartige Dinge sage oder poste – aber so funktioniert mein Hirn eben.“ Auch die Ideen, die ihm ständig kämen, führt Musk unter anderem auf die Störung zurück.

Das Problem ist nämlich größer als nur wirtschaftlicher Natur; vielmehr kämpft Twitter mit einer Identitätskrise. Wie alle Social-Media-Plattformen – und doch aufgrund der Natur der Diskussionen stärker ausgeprägt – beschäftigt die Plattform der Umgang mit Hatespeech, Fake News, Bots und toxischen Unterhaltungen. Twitter hat es bis heute nicht geschafft, klar zu kommunizieren, was erlaubt ist und was nicht. Als der frühere US-Präsident Donald Trump (ebenfalls ein vormals großer Twitter-Fan, der gerne ungefiltert seine Gedanken teilte) für seine Tweets im Zuge des Sturms auf das US-Kapitol am 6. Januar 2021 von der Plattform gesperrt wurde, gab es für die Entscheidung von der einen Seite Lob – von der anderen Seite hagelte es scharfe Kritik, denn die Frage, wer wie wann entscheidet, ob Personen auf Twitter aktiv sein und was sie sagen dürfen, wurde bis heute nicht ordentlich beantwortet.

Mit 17 Jahren zog er nach Kanada und studierte danach Volkswirtschaft und Physik an der University of Pennsylvania. Sein naturwissenschaftliches Interesse begründet Musk damit, schon früh an der Wahrheit interessiert gewesen zu sein. Dennoch fand er sein Glück nicht in einer akademischen Laufbahn: Sein PhD-Studium an der Stanford University brach er 1999 ab, um sich seinem Start-up Zip 2 zu widmen, das er inmitten der Dotcom-Blase mit seinem Bruder Kimbal gegründet hatte. Musk verkaufte das Unternehmen bereits ein Jahr später an den Zahlungsdienstleister Paypal und machte dann nochmal Kasse, als Paypal 2002 von Ebay gekauft wurde. Die rund 165 Mio. US-$, die er mit seinen rund 11,7 % verdiente, steckte er großteils in Tesla und Space X.

Bereits damals arbeitete er wie ein Verrückter – eine Angewohnheit, die ihm bleiben sollte. Zwischen 2016 und 2019 war Tesla quasi durchgehend am Rande des Bankrotts, erzählte Musk in mehreren Interviews, und er verbrachte seine gesamte Zeit in den Fabriken des Unternehmens. Er schlief dort auf dem Boden und verpasste sogar fast die Hochzeit seines Bruders Kimbal, auf der er Trauzeuge war. Musk wollte seinen Teammitgliedern zeigen, dass er nicht in einem Elfenbeinturm sitzt, sondern Seite an Seite mit ihnen kämpft. Diesen Einsatz verlangt er auch von anderen: Tesla-Mitarbeitern, die sich beschwerten, ihre Familie zu wenig zu sehen, sagte er, dazu hätten sie ausreichend Zeit, wenn Tesla bankrott gehe. Auch Urlaube sieht Musk kritisch: Nachdem er auf einer Reise durch Brasilien und Südafrika fast an Malaria gestorben wäre, sagt er in einer 2015 erschienenen Biografie: „Urlaub bringt dich um.“

Musk sagt heute, besagte Zeit (2016 bis 2019) sei die Hölle gewesen – aber nicht anders machbar. Trotz oder gerade wegen seines Einsatzes wird er wiederholt für die Kultur in seinen Unternehmen kritisiert: Arbeiter würden unterdrückt, heißt es, außerdem gleiche Teslas Kultur einer Studentenverbindung. Musks Humor auf Social Media unterstreicht den Eindruck. Doch für Musk zählen nur Resultate – und die können sich sehen lassen: Teslas Marktkapitalisierung liegt bei über einer Billion US-$, das in Privatbesitz befindliche Space X wird mit mehr als 100 Mrd. US-$ bewertet. The Boring Company kommt auf eine Bewertung von 5,7 Mrd. US-$, auch Neuralink und Open AI sind wohl Milliarden wert. Zum Vergleich: Der deutsche Automobilkonzern Volkswagen hat eine Marktkapitalisierung von rund 100 Mrd. US-$.

Musks Vermögen wuchs jahrelang schrittweise, bevor es gemeinsam mit dem Tesla-Kurs inmitten der Coronavirus-Pandemie explodierte. 2020 schätzte Forbes das Vermögen des Tesla-Gründers auf 26,4 Mrd. US-$, ein Jahr später waren es bereits 151 Mrd. US-$ und 2022 dann 219 Mrd. US-$. Seit Veröffentlichung der Billionaires List Anfang April stieg die Zahl noch einmal um über 20 Mrd. US-$.

Viele Beobachter fragten sich, warum Musk, der solches Talent im Aufbau und Skalieren von Unternehmen zeigt, ein bestehendes Unternehmen wie Twitter übernimmt, statt eine konkurrierende Plattform zu bauen. Doch vielleicht liegt Musk tatsächlich etwas an Twitter und Free Speech – oder er ist einfach nur ein Ausnahmekünstler, wenn es darum geht, Aufmerksamkeit zu generieren, denn mit Ausnahme von Steve Jobs und womöglich Donald Trump ist es keinem Unternehmer in jüngerer Vergangenheit gelungen, eine derartige Präsenz in der öffentlichen Wahrnehmung zu entwickeln wie Musk. Fest steht nur, dass der Tesla-Gründer die Schlagzeilen weiterhin prägen wird – und auch seinen Platz als reichster Mensch der Welt wird Musk so schnell nicht wieder abgeben.

Elon Musk
...wurde in Südafrika geboren und studierte Volkswirtschaft und Physik in den USA. Er gründete die Unternehmen Zip 2, Tesla, Space X, Open AI, Neuralink und The Boring Company sowie die Musk Foundation.

Foto: Martin Schoeller, The Royal Society, Forbes Media