David Višnjić

Chemie: In Zukunft grün?

Marko Mihovilovic ist Dekan der Fakultät für Technische Chemie und ein „Produkt des Hauses“, wie der gelernte Chemiker von sich selbst sagt. TUW.media hat ihn zum Gespräch gebeten und gefragt, was hinter dem neuen Masterstudium „Green Chemistry“ steckt und was es mit grüner Chemie ganz allgemein auf sich hat.

Text: tuw.media-Redaktion Foto: David Višnjić

Was ist „grüne“ Chemie?
Marko MIhovIlovIc: Dem Fach Chemie haftet leider immer noch dieses alte Klischee an, dass man es dort, wo es raucht, stinkt und etwas explodiert, mit Chemie zu tun hat. Dabei kann Chemie so viel mehr. Mit dem Masterstudium Green Chemistry wollen wir das Image von Chemie als Problemverursacher und Umweltsünder hin zu Chemie als Problemlöser und Gestalter umweltfreundlicher Prozesse verändern.

Grüne Chemie orientiert sich an zwölf fundamentalen Prinzipien, die bei der Umsetzung möglichst vollständig Berücksichtigung finden sollen, mit dem Ziel einer umweltverträglichen, ressourceneffizienten und sicheren Prozessführung.

Warum muss dafür das neue Masterstudium Green Chemistry eingeführt werden? Ist die Technische Chemie nicht grün? [M. M.]: Auch das technische Chemiestudium an der TU Wien würde ich als grün bezeichnen. Das Besondere an Green Chemistry ist, dass wir sozusagen aus der Vogelperspektive auf die Chemie schauen und versuchen zu erklären, welchen Impact die einzelnen Aspekte im Gesamtkontext unter Berücksichtigung auf Auswirkungen auf die Umwelt haben; ebenso kommt Effizienz und Prozesssicherheit eine zentrale Bedeutung zu. Am Ende des Masterstudiums sind die Studierenden Expert*innen, die einzelne Maßnahmen nach ihrem Impact beurteilen und dementsprechend die bestmöglichen Lösungen ableiten können.

Ist die Einführung von Green Chemistry dem Zeitgeist geschuldet? Nutzt man die „Fridays for Future“-Stimmung als Marketing-Welle? [M. M.]: Initiativen wie Fridays for Future finde ich persönlich sehr wichtig. Was mich daran ein wenig stört, ist, dass auf Probleme zwar hingewiesen wird, jedoch keine Lösungsansätze angeboten werden. Um unsere Zukunftsprobleme lösen zu können, bedarf es Expert*innen, die ein Problem nicht nur erkennen, sondern auch das Wissen haben, Lösungsansätze zu entwickeln. Es ist meiner Meinung nach ein Irrglaube, alleine durch Einschränkungen unsere Probleme wie beispielsweise den Klimawandel lösen zu wollen. Nicht falsch verstehen, in einigen Bereichen werden Einschränkungen notwendig sein, aber nur in Verbindung mit dem Einsatz von smarten technologischen Produkten werden sie die gewünschte Wirkung, wie beispielsweise die Reduktion von CO2, zeigen.

Was hat Sie als Dekan der Technischen Chemie der TU Wien zur Kooperation von drei Wiener Universitäten veranlasst (das Masterstudium ist eine Kooperation der TU Wien, Universität Wien und BOKU Wien, Anm.)? [M. M.]: Wie in vielen anderen Branchen fehlen auch in der Chemie gut ausgebildete Fachleute. Die Idee, ein universitätsübergreifendes Studium anzubieten, ist nicht neu. Bereits vor zehn Jahren hat es erste Initiativen in diese Richtung gegeben. Der Startschuss für dieses konkrete Masterstudium wurde bei einer Fachleutekonferenz im April 2019 gegeben. Die Entwicklung und Umsetzung des Masterstudiums nahmen danach noch einige Zeit in Anspruch. Umso mehr freut es mich, ab Herbst 2022 gemeinsam mit zwei anderen renommierten Wiener Universitäten dieses Projekt umsetzen zu können.

Durch den Zusammenschluss der drei Universitäten ist es auch möglich, ein breiteres Wissensspektrum für die Studierenden anzubieten. Jede Universität bringt fachliche Expertise und eigene Schwerpunkte ein, Synergien können genutzt werden.

Werden in anderen Ländern ähnliche Masterstudien angeboten? [M. M.]: In Frankreich oder Spanien gibt es ähnliche thematische Angebote, hinsichtlich Studienkooperation waren die TU Graz und die Universität Graz früh wegweisend. Was Green Chemistry besonders macht, ist, dass sich mit der TU Wien, der Universität Wien und der BOKU Wien drei Bildungseinrichtungen zusammengeschlossen haben, mit dem Ziel, im zentraleuropäischen Raum Expert*innen in einem disziplinenübergreifenden Sektor der Chemie auszubilden.

Worin bestehen die Schwerpunkte der jeweiligen Universitäten? [M. M.]: Für die TU Wien liegt die Expertise klar auf technologischer Umsetzung und Prozessentwicklung. Die BOKU wird den biologischen Aspekt als Schwerpunkt abdecken und die Universität Wien wird auf die Bereiche Grundlagen sowie den toxikologisch-pharmazeutischen Bereich fokussieren.

Gibt es Institutionen oder Firmen, mit denen Sie im Rahmen von Green Chemistry zusammenarbeiten wollen? [M. M.]: Nachdem wir Green Chemistry nur als einen Teil in einer größer angelegten Bildungsinitiative sehen, bei der auch Forschungsaktivitäten über ein industrienahes PhD-Programm sowie eine berufsbegleitende Ausbildungsschiene angedacht sind, sind wir bereits frühzeitig auch mit Industriepartnern in Kontakt getreten. Wir haben festgestellt, dass es reges Interesse an gut ausgebildeten Fachkräften gibt. Ich bin überzeugt, dass wir hier ein sehr attraktives Maßnahmenbündel im Endausbau anbieten können, um insbesondere den Forschungs- und Industriestandort in Österreich in der aktuellen Übergangsphase zu einem nachhaltigen Produktionsstandort zu unterstützen. Darüber hinaus gibt es auch enge Kontakte mit Bildungseinrichtungen in den Nachbarländern.

Wer genau ist die Zielgruppe für das neue Studium? Wie viel Wahlfreiheit haben die Masterstudierenden, sich an den einzelnen Unis zu vertiefen oder diese auch zu meiden? [M. M.]: Mit dem Masterstudium richten wir uns an Studierende der MINT-Fächer. Es gibt vier Module, wobei jede Universität ein Modul abdeckt und das vierte Modul von allen drei Bildungseinrichtungen bedient wird. Studierende werden auf allen drei Hochschulen Lehrveranstaltungen besuchen und sich dort weiterbilden und forschen. Ein Masterstudium an sich ist ja schon eine Fachvertiefung. Green Chemistry ist aus Pflicht- und Wahlmodulen aufgebaut. Die Wahlmodule sind sehr flexibel, hier können die Studierenden aus einer großen Bandbreite an Angeboten wählen und sich in einzelnen Teilaspekten weiter vertiefen.

Wo liegen die Perspektiven für Absolvent*innen? Wurde mit Blick darauf Englisch als Sprache gewählt? [M. M.]: Englisch wurde in den letzten Jahren die Lingua franca im Bereich Chemie. Green Chemistry ist das erste rein englischsprachige Masterstudium an der Fakultät für Technische Chemie der TU Wien. Dadurch sollen österreichische Studierende am internationalen Arbeitsmarkt bessere Chancen bekommen. Außerdem sprechen wir mit einem englischsprachigen Masterstudium Studierende aus anderen Ländern an und können so die besten Köpfe nach Österreich holen, mit der Hoffnung, dass sie auch über ihr Studium hinaus ihre Expertise in Österreich einbringen.

Das Masterstudium ist ein attraktives Ausbildungsangebot für junge Leute. Sie werden zu Expert*innen ausgebildet, die danach ihr Fachwissen am Arbeitsmarkt einbringen können.

Nach dem Masterstudium haben die Studierenden sogenannte Industriereife erreicht und könnten sofort in den Arbeitsmarkt einsteigen, oder auch ihre Forschungserfahrung im Rahmen von Dissertationsprogrammen vertiefen. Da die Ausbildung einen großen Wissenschaftsbereich abdeckt, ist auch die Berufswahl sehr vielfältig. Sie reicht von Regulatorik über Verfahrenstechnik bis hin zu analytischen Berufen, um nur einige zu nennen.

Was fasziniert Sie persönlich an Chemie? [M. M.]: Chemie ist eine kreative, fast künstlerische Wissenschaft, da regelmäßig neue Stoffe hergestellt werden. Wir haben viele musisch begabte Kolleg*innen an der Fakultät. Ich erkläre es gerne so: Wo Physiker*innen durch ein Fernglas auf die Welt schauen, erschaffen Chemiker*innen im Reagenzglas ihre eigene Welt.

Was ist Ihre Vision für die Zukunft  – allgemein und mit Fokus auf Chemie? [M. M.]: Durch die Pandemie hat die Wissenschaft wieder mehr an Bedeutung für den Einzelnen bekommen. Universitäten haben in der Gesellschaft eine wichtige Rolle. Sie sollen komplexe Zusammenhänge einfach und verständlich erklären, sie haben den Auftrag faktenbasiertes Wissen weiterzugeben. Gerade in einer Zeit, wo wir in einem Nachrichtenüberfluss leben, ist es die zentrale Aufgabe von Universitäten, Fakten von Fiktion bzw. Fake News von realen Nachrichten für die Gesellschaft unterscheidbar zu machen. Gerade wir als technische Universität können gut zeigen, wie viel Technik im Leben jedes Einzelnen steckt. Das fasst unser Mission Statement „Technik für Menschen“ perfekt zusammen.

Marko Mihovilovic ist Dekan der Fakultät für Technische Chemie und will mit Green Chemistry ein universitätsübergreifendes Studium anbieten, das die Chemie aus der Vogelperspektive beobachtet und ihre Aspekte im Gesamtkontext analysiert.

Was ist wichtig für angehende Studierende?
Marko Mihovilovic:

Green Chemistry richtet sich an Absolvent*innen von MINT-Fächern.


Es ist als Vollzeitstudium konzipiert. Gemeinsam mit der Academy for Continuing Education wird bereits an einer berufsbegleitenden Variante gearbeitet.

Das Masterstudium ist kostenpflichtig, es werden die in Österreich geltenden Studiengebühren verrechnet.

Für Herbst 2022 stehen 50 Plätze zur Verfügung. Die Anzahl ergibt sich aus den eingeschränkten Ressourcen z. B. für Laborübungen. So kann eine sehr individuelle Betreuung der Studierenden sichergestellt werden.

Das Aufnahmeverfahren besteht aus einem fachlichen Test und aus Interviews mit zwei habilitierten Professor*innen. In den Gesprächen sollen die Motivation sowie die Erwartungshaltung abgegriffen werden. Der Test und das Gespräch finden online statt.

Weiterführende Informationen unter www.tuwien.at/studium/studienangebot/masterstudien/chemie

Univ.-Prof. DI Dr. Marko Mihovilovic
...wurde im Jänner 2020 zum Dekan der Fakultät für Technische Chemie ernannt. Er studierte Technische Chemie und Technische Wissenschaften an der TU Wien, Postdoc-Studien führten ihn nach Kanada und Florida.