Astronomie und Geodäsie vor 1938

Der Bereich Astronomie war in den Programmen des k. k. Polytechnischen Instituts in Wien (PI) zunächst nicht vertreten, aber einige wenige der hier ausgebildeten Alumni waren auf diesem Gebiet aktiv. Christian Doppler (1803–1853), der hier studiert hatte und als Assistent tätig gewesen war, veröffentlichte 1842 als Professor in Prag, wenige Jahre vor seiner Rückkehr an das PI, die Schrift „Über das farbige Licht der Doppelsterne“.

Text: tuw.media-Redaktion

Diese vertrat zwar Hypothesen, die aus astronomischer Sicht nicht haltbar waren, legte aber den Grundstein für die Entdeckung des Dopplereffekts, der später akustisch auch bewiesen werden konnte.

Die erste Vorlesung über „populäre Astronomie“ am PI hielt der Mathematiker und Physiker Leopold Schulz-Straßnitzki (1803–1852) im Studienjahr 1850/51. Mit Schulz-Straßnitzkis frühem Tod verschwand dieses Fach jedoch wieder für einige Zeit aus dem Lehrangebot des Polytechnischen Instituts.

In den für die Entwicklung des PI zur Technischen Hochschule in Wien so entscheidenden Reformjahren um 1865 wurden erstmals detaillierte Curri­cula entwickelt. Für die sogenannte „Ingenieurschule“, die Bauingenieure ausbilden sollte, waren auch geodätische Fächer von großer Bedeutung: Aus diesem Grund wurde eine Lehrkanzel für „Höhere Geodäsie und sphärische ­Astronomie“ eingerichtet und 1866 mit Joseph Herr (1819–1884), dem ersten Rektor des PI, besetzt. Seine Lehr­veranstaltungen, die unter anderem aus der „Praktischen Uebung im Beobachten“ bestanden, wurden teilweise im 1867 im Hauptgebäude eingerichteten Observatorium abgehalten.

Diese Himmelsbeobachtungsübung war zunächst eine Pflichtveranstaltung in der Ingenieursausbildung, später dann im „geodätischen Kurs“, einem zweijährigen Lehrgang für Geometer. Herr und seine Nachfolger Wilhelm ­Tinter (1839–1912) und Richard Schumann (1864–1945) publizierten unter anderem zu Themen wie Bahnbestimmung der Planeten und Kometen und führten im Observatorium astrono­mische Messungen durch. Der Schwerpunkt ihrer publizistischen Aktivitäten und der Lehre lag aber auf dem Gebiet der Nutzung der Erkenntnisse für die Landvermessung, unter anderem mit dem 1928 für die Landestriangulation errichteten 13 Meter hohen Turm auf dem Observatorium.

Aus einer ganz anderen wissenschaftlichen Ecke kam eine Reihe von Forschern, die als Pioniere der Entwicklung des Raketenantriebs, Raketenbaus und der Raumfahrt gelten können. An dieser Stelle können nur zwei von ihnen angeführt werden.

Hermann Potočnik (1892–1929) war Absolvent der Militärakademie und begann nach dem Ende des Ersten Weltkriegs ein Elektrotechnikstudium an der TH in Wien, das er 1925 abschloss. Ab 1925 widmete sich der schwer an Tuberkulose erkrankte Potočnik ausschließlich dem Thema Raumfahrttechnik. Unter dem Pseudonym Noordung veröffentlichte er 1928 sein einziges Buch „Das Problem der Befahrung des Weltraums – der Raketenmotor“, das richtungsweisende Vorschläge zur Errichtung von Raumstationen enthält. Das im slowenischen Vitanje 2012 eingerichtete Kulturzentrum für europäische Raumfahrttechnologien ist auch architektonisch seinem Andenken gewidmet.

Eugen Sänger (1905–1964) ­studierte Bauingenieurwesen, promovierte 1930 in diesem Fach und war bis 1935 als ­Assistent an der Lehrkanzel für Baustoffkunde und mechanische Techno­logie an der TH in Wien tätig. Sein richtungsweisendes Buch „Raketen-Flugtechnik“ erschien 1933 und wurde vom Verband der Freunde der Technischen Hochschule in Wien mit der namhaften Spende von 1.000 Schilling gefördert. 1936 wanderte Sänger in das nationalsozialistische Deutschland aus und arbeitete für die militärische Flugzeugindustrie, setzte daneben aber seine Raumfahrtforschung fort. Nach Kriegsende ging er zunächst nach Frankreich, arbeitete aber auch an dem gegen Israel gerichteten Raketenprogramm Ägyptens.

Sängers Lebenslauf – er ist nicht un­typisch für die Weltraumpioniere aus Österreich und Deutschland dieser ­Generation – macht klar, warum die TU Wien in diesem Fall keine Ehrungen durchgeführt hat.

Paulus Ebner ist Historiker und leitet seit 2016 das Archiv der TU Wien.

Text: Paulus Ebner
Foto: David Višnjić