Bene Croy, FoB Städtebau

Angelika PsenneR

Die Skyline einer Stadt bei Sonnenuntergang ist schön. Doch wie nehmen Menschen dieselbe Stadt in dem Moment wahr, in dem sie durch ihre 08/15-Seitenstraße laufen? Angelika Psenner, Professorin für Städtebau an der TU Wien, sagt, dafür müssen wir uns das „Stadtparterre“ anschauen.

Text: Juli Sixel Foto: Bene Croy, FoB Städtebau

Man nehme eine x-beliebige Stadt und schneide sie auf einem Meter Höhe ab. Übrig bleiben Straßen, Gehsteige, Fassaden, Innenhöfe, Schaufensterauslagen: das Stadtparterre.

In einer aufwendigen Analyse des Parterres von Wien hat sich ergeben, dass sich das Stadtbild in den letzten 100 Jahren stark verändert hat. Es fällt vielleicht nicht direkt auf, wenn man zwischen den schönen Häusern aus der Gründerzeit entlangspaziert, aber es wurden viele Räume zusammengelegt. „Und eine ganze Kette von unglücklichen Gesetzesänderungen hat dazu geführt, dass viele Gewerbelokale zu Garagen umgebaut wurden“, erklärt Psenner. „Statt Menschen belegen jetzt Autos unseren Wohnraum.“ Die Nutzungsstruktur der Stadt hat sich zugunsten des motorisierten Individualverkehrs verschoben. Das hat Einfluss auf unser Verhältnis zur Stadt: „Menschen laufen bestimmte Straßen nur ungern entlang, weil das Parterre so zugeparkt ist.” Vor allem nachts, wenn keine indirekte Beleuchtung von Schaufenstern oder Wohnungen auf die Straße fällt, „ist es nachvollziehbar, dass es da einen gewissen Unsicherheitsfaktor gibt und sich dort niemand gerne aufhält“, findet Psenner.

Es ist also wichtig, was sich hinter den Fassaden abspielt, ob es sich bei dem Gebäude um eine Bäckerei, ein Bürogebäude oder ein Wohnhaus handelt.

Aus wirtschaftlicher Sicht wirken kompakte Wohnungen mit 2,50 Metern Raumhöhe auf den ersten Blick am sinnvollsten. Und die Grundidee, Wohnraum auf das Notwendige zu minimieren, ist gut. Es wird Wohnraum für alle geschaffen und gleichzeitig Material gespart. Aber das Konzept ist nicht mehr zeitgemäß findet Psenner: „Es gibt schon lange keine Vater-Mutter-Kind-Familie mehr, die sich eine Wohnung aussucht und dann 40 Jahre in dieser bleibt.“

Heute leben wir Menschen in anderen, flexibleren und offeneren Konstellationen, dem sollte Raum zur Entfaltung und Entwicklung geboten werden. Neubauten sollten nicht hochspezialisiert sein und später nur als Mehrfamilienhaus oder nur als Bürokomplex funktionieren können. Psenner nennt die Art, Gebäude funktionsoffen zu gestalten, „Möglichkeitsräume“. Denn die Anforderungen, die wir in Zukunft an die Gebäude haben werden, können wir heute noch nicht vorhersehen.

Ein Weg, Räume in ihrer Nutzung nicht vorzubestimmen, sind hohe Decken. „Dafür müssen wir wiederum Ressourcen in die Hand nehmen, wir können nicht alles wegsparen“, so Psenner.

In der Architekturszene ist dieses Wissen angekommen, auch Psenner sensibilisiert ihre Studierenden darauf. Es hakt an der Umsetzung: „Die Geldgeber betreiben lokal begrenzte Ökonomie, Gebäude werden auf kurzzeitigen Profit ausgelegt.“ Aber die ökonomische Rechnung geht nicht auf: „Dabei werden riesengroße Bereiche ausgelassen. Wir müssen Klimaschäden und wissenschaftliche Erkenntnisse mit einrechnen.“ Denn was das Klima betrifft, kommt einiges auf die Städte zu: Hitzewellen, Sommersmog, Starkregen. Großkronige Bäume und Flächenentsiegelung klingen nach einer attraktiven Lösung.

„Aber um wirklich zukunftsfähig zu bauen, braucht es Kostenwahrheit. Wir müssen sehr streng und sehr mutig Änderungen durchführen.“ Das gibt Städtebauexpertin Angelika Psenner der nächsten Generation von Entscheidungsträger*innen für die Zukunft mit.

Angelika Psenner
forscht und lehrt an der TU Wien im Bereich Städtebau. Das Parterre von Wien ist ihr Steckenpferd: Sie mag es nicht, „einzelne Teile für sich anzuschauen“, erklärt sie, „beispielsweise nur den öffentlichen Raum oder nur das Erdgeschoss“. Stattdessen schaut sie sich alles an, was in diesem ersten Meter liegt. Sie hat herausgefunden, dass das Parterre der ausschlaggebende Faktor ist, wenn wir bewerten, wie wir eine Stadt empfinden.