TU Wien

ALLES STRÖMT

Stellen wir uns zwei Flüssigkeiten vor, die gemischt werden, dann haben wir die Entstehung kleiner Wirbel und Strömungsmuster vor Augen – oder auch den Zerfall einer Mischflüssigkeit in viele Tropfen, die als eigene Schicht auf der anderen Flüssigkeit zusammen­finden. Wir denken daran, wie sich Kaffee mit Milch vereint, oder daran, wie Wasser und Öl ein Salatdressing bilden.

Text: tuw.media-Redaktion Foto: TU Wien

Der Artikel erschien in der Ausgabe 1–21 „Mobilität“.

Bei solchen „Küchenexperimenten“ lässt sich dasselbe feststellen wie bei einem „Enten-Rennen“, für das bei Volksfesten schon einmal ein paar Hundert Gummienten in einen Bach geleert und auf ihrer Reise zum vordefinierten Ziel beobachtet werden: Wie genau sich die Flüssigkeiten oder Gummienten bewegen, hängt von vielen Faktoren ab: Temperatur und Fließgeschwindigkeit des Wassers, aber auch Größe, Gewicht und Eintauchtiefe des transportierten Gegenstands bzw. die Dichte sowie chemische Eigenschaften der gemischten Flüssigkeiten spielen eine Rolle. Welche Strömungen entstehen und wie sich die beteiligten Körper, Energien und Impulse wechselseitig beeinflussen, ist jedoch schwer vorhersehbar.

Das Institut für Strömungsmechanik und Wärmeübertragung der TU Wien an der Fakultät für Maschinenwesen und Betriebswissenschaften steht unter der Führung von Alfredo Soldati. Er verantwortet die Forschung im experimentellen Bereich der Strömungsmechanik, die sich u. a. mit der Verbreitung von Covid-19-Aerosolen beschäftigt. Die wissenschaftliche Spezialisierung der numerischen Strömungsmechanik liegt in der leitenden Verantwortung von Hendrik Kuhlmann (Bild); auch er widmet sich Bedeutenderem als Kaffee, Milch und dem Abschmecken der Salatbar in der Uni-Mensa.

Die Strömung von Gasen und Flüssigkeiten spielt praktisch überall eine Rolle: Bei Flugzeugen, beim Auto, aber auch innerhalb des Menschen, wenn unser Blut durch den Körper strömt. Tatsächlich fließt in die Strömungsmechanik gar die viel zitierte „Raketenwissenschaft“ ein: Denn gerade beim Antrieb einer ­Rakete sind chemische Reaktionen erforderlich, um Gasgemische auf extreme Geschwindigkeiten zu beschleunigen. Der turbulente Hochgeschwindigkeitsgasstrahl muss genau kontrolliert sein: im Sinne der Vorhersagbarkeit einer Raketenflugbahn und natürlich auch für den Schutz von Menschenleben.

Hendrik Kuhlmann
arbeitet am Institut für Strömungsmechanik
und Wärmeübertragung an der TU Wien.

Kuhlmann selbst interessierte sich immer schon für strömungsmechanische Instabilitäten. Darunter ist zu verstehen, dass für ein gegebenes Problem unter bestimmten Randbedingungen eine Mehrzahl an Lösungen möglich ist – also ein jeweils unterschiedliches Verhalten von Strömungen unter anscheinend gleichen Voraussetzungen. Die Frage ist, welche Strömung dann im Experiment realisiert wird. Insbesondere mit einem steigenden Energielevel der Strömung „entstehen neue Lösungen und Lösungstypen“, erklärt Kuhlmann den numerischen Forschungsansatz.

Fragen wie jene nach Bewegungsmustern von kleinen Partikeln in einem Flüssigkeitstropfen, denen Kuhlmann ebenfalls nachgeht, erfordern mitunter auch experimentelle Unterstützung von Forscher*innen in der Raumstation ISS. Darüber hinaus widmet sich Kuhlmann seit 2018 einem besonders kuriosen interdisziplinären Projekt: So wurde er vom Biologen Johann Waringer (Universität Wien) eingeladen, mit ihm das Verhalten von jungen Köcherfliegen in Gebirgsbächen zu untersuchen.

Die etwa ein bis zwei Zentimeter langen Larven dieser Insekten umgeben sich zum Schutz mit einem Köcher aus kleinsten Steinchen. Ziel der Untersuchungen ist es, einen Zusammenhang zwischen dem Lebensraum verschiedener Spezies und den lokal herrschenden Strömungsbedingungen herzustellen.

Zwangsläufig den Gesetzen der Strömungsmechanik unterworfen, werden sie damit auch zum interessanten Forschungsobjekt dieser wissenschaftlichen Kategorie.

Text: Bernhard Madlener