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VOLLGAS AUS DER ENERGIEKRISE

Der Sommer wird kühl! Zwar nicht das Wetter, aber dafür die Wassertemperaturen in den Schwimmbädern: Bis höchstens 24 Grad sollen die Becken der Wiener Freibäder diesen Sommer noch geheizt werden – Grund dafür sind die stark angestiegenen Energiepreise.

Text: Juli Sixel Foto: Unsplash

Der russische Angriffskrieg ­gegen die Ukraine hat seit 24. Februar dieses Jahres ordentlich Schwung in die Strompreisentwicklung gebracht. Laut der deutschen Bundesanstalt für Geowissen­schaften und Rohstoffe ist Russland weltweit der größte Exporteur von Gas und der zweitgrößte Exporteur von Öl. Fossile Brennstoffe waren schon zu Beginn des Jahres knapp, weil sich die Weltwirtschaft langsam wieder von der Covid-Pandemie erholte; besonders in Asien, aber auch sonst überall steigt die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen seit dem Herbst 2021. Zusätzlich beunruhigt jetzt der Ukraine-Krieg den Markt – die Nachfrage steigt und mit ihr der Strompreis. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob es überhaupt noch moralisch vertretbar ist, russische Brennstoffe einzukaufen, denn Russlands Energiewirtschaft liefert etwa die Hälfte der Staatseinnahmen, und durch ebendiese Staatseinnahmen wird der Ukraine-Krieg finanziert.

Aktuell liegt der Strompreis in Wien bei circa 40 Cent pro Kilowattstunde (kWh). Noch in der zweiten Jahreshälfte 2021 lag der Preis für eine kWh bei knapp 23 Cent. Der Jahresverbrauch eines durchschnitt­lichen Haushalts liegt bei 3.500 kWh, daraus ergeben sich aktuell Stromausgaben um die 1.400 € pro Jahr. Gut 600 € mehr müssen die Wiener*innen also voraussichtlich für ihren Strom blechen – aber warum ist der Strom nun so viel teurer geworden? Um das zu verstehen, ist es wichtig, zu verstehen, wie sich der Strompreis überhaupt zusammensetzt.

Der Marktpreis für Strom ergibt sich aus der sogenannten Merit-Order. In diesem Modell werden nacheinander Strom­erzeuger in das Einspeisungsnetz zugeschaltet. Zuerst werden dabei die günstigsten Anbieter freigeschaltet, anschließend immer teurere; so lang, bis der Bedarf gedeckt ist. Photovoltaik sowie Wind- und Wasserkraft sind dabei günstiger als fossile Brennstoffe wie Kohle, Öl oder Erdgas. Der teuerste zugeschaltete Stromerzeuger heißt Grenzkraftwerk – dieses bestimmt mit seinem Angebot den Strompreis für alle Anbieter. Obwohl die anderen Stromerzeuger günstigere Preise angeboten haben, erhalten sie denselben Preis wie das Grenzkraftwerk. Je teurer also Strom aus dem Grenzkraftwerk ist, desto teurer wird der Strom insgesamt. Das Konzept, dass alle gleich viel Geld bekommen, obwohl sie unterschiedlich viel geboten haben, nennt sich „uniform pricing“. Aktuell ist Gas besonders teuer, und wenn nun das Grenzkraftwerk ein Gaskraftwerk ist, wirkt sich dieser Preis auf den gesamten Strompreis aus.

Die stark steigenden Strompreise sind nicht nur bei den oben erwähnten Wassertemperaturen der Freibäder spürbar, sondern auch für die privaten Haushalte. Eine Studie des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change, kurz MCC, zeigte aber, dass sich die Strompreiserhöhung sehr ungleich auf die Haushalte auswirkt. Das MCC hat für diese Studie die Auswirkungen der Energiepreiskrise auf deutsche Haushalte ermittelt. Die Ungleichheit zeigt sich gleich im doppelten Sinn: Weil der Strom teurer ist, geben einkommensschwächere Haushalte prozentual nun mehr für Strom aus; dieses Geld fehlt später natürlich an anderen Ecken. Menschen, die mehr Geld zur Verfügung haben, bezahlen zwar auch mehr für Strom, aufgrund ihres höheren Budgets macht der Strom aber einen ge­ringeren Anteil an ihren Gesamtausgaben aus. Doch auch innerhalb der Einkommensklassen zeigen sich große Unterschiede: Die Studie weist darauf hin, dass dies mit der Wohnsituation zusammenhängt – wer in einer gut isolierten Wohnung wohnt, muss weniger heizen.

Wenn nun keine abfedernden Maßnahmen ergriffen werden, könnten die Strompreise bald unerträglich hoch steigen. Um dem entgegenzuwirken, verteilte die österreichische Bundesregierung 150€ Entlastungsgutscheine. Kurzfristig mag das Abhilfe schaffen, auf lange Sicht setzt das der Energiekrise aber kaum etwas entgegen.

Wie Österreich haben verschiedene Regierungen Entlastungspakete beschlossen. Die Internationale Energieagentur (IEA) erklärt in einem Zehn-Punkte-Plan zur Senkung des allgemeinen Ölverbrauchs allerdings: „Gegen allgemeinere Anspannungen auf den Märkten können diese Maßnahmen jedoch nichts ausrichten. Was hilft, ist ein größeres Angebot.“ Alternativ schlägt die IEA folgende Maßnahmen vor:

  • Tempolimits auf Autobahnen
    um mindestens zehn km/h senken
  • Bis zu drei Tage Homeoffice pro ­Woche, wo möglich
  • Autofreie Sonntage in Städten
  • Vergünstigungen des öffentlichen
    Nahverkehrs und Anreize für Mikromobilität, Fuß- und Radverkehr
  • Wechselnde Fahrverbote für
    Privatautos in Großstädten
  • Fahrgemeinschaften und weitere
    Maßnahmen zur Senkung des Kraftstoffverbrauchs
  • Förderung von kraftstoffsparendem Fahren im Güterstraßenverkehr
  • Nutzung von Hochgeschwindigkeitszügen statt Flugreisen
  • Vermeidung von Geschäftsreisen
    bei alternativen Optionen
  • Mehr Nachdruck bei der Einführung bei Elektro- und kraftstoffsparenden Fahrzeugen

Diese zehn Punkte wirken sich auf die Stromausgaben für Endverbraucher*innen aus: Wer mit dem Fahrrad fährt, hat keine Ausgaben für Benzin; dadurch, dass der/die Fahrradfahrer*in kein Benzin benötigt, sinkt gleichzeitig der allgemeine Verbrauch fossiler Brennstoffe – die Nachfrage sinkt und die Kraftwerke können Strom aus fossilen Brennstoffen zu einem niedrigeren Preis anbieten. So pendelt sich wegen der Merit-Order der Strompreis bei einer niedrigeren Grenze ein. Die IEA schätzt, dass durch ihren Zehn-Punkte-Plan täglich 2,7 Millionen Barrel Öl eingespart werden könnten – ein Barrel Öl entspricht Benzin für eine 450 Kilometer lange Autofahrt oder 70 kWh Strom. Insgesamt könnten durch die Senkung täglich 189 Millionen kWh frei werden. Wenn wir also oft genug mit dem Fahrrad ins Schwimmbad fahren statt mit dem Auto, können die Becken dort vielleicht auch bald wieder auf gemütliche 26 Grad geheizt werden.