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SCHWINGENDE FÄDEN

Was wäre, wenn Elementarteilchen keine Punktteilchen, sondern schwingende Fäden wären? Was wäre, wenn unser Universum aus zehn verschiedenen Dimensionen bestünde? Dies sind die beiden Grundideen der Stringtheorie, die es ermöglichen sollen, Quantenmechanik und allgemeine Relativitätstheorie zu kombinieren, erklärt Stefan Fredenhagen.

Text: Ekin Deniz Dere Foto: Unsplash

Eine Kandidatin für die „Theory of Everything“, nach der Physiker*innen seit Langem suchen, ist die Stringtheorie – wegen ihrer möglichen, aber eher ­spekulativen Implikationen wie z. B Paralleluniversen eine der ­berühmtesten wissenschaftlichen Theorien. „Es gibt in der Stringtheorie eine Menge interessanter Dinge, die passieren könnten“, sagt Stefan Fredenhagen, Professor für mathematische Physik an der Universität Wien und Mitorganisator der Strings Conference 2022 – „wir müssen aber mit Spekulationen vorsichtig sein, weil wir hier die gewöhnliche Arena der Wissenschaft verlassen.“

Seit den antiken Philosoph*innen spekulieren die Menschen über die grundlegenden Bestandteile von allem: die Atome. Das Wort selbst ist genauso alt: Mit „atomos“ bezeichnete Demokrit den Punkt, an dem die Materie nicht mehr in kleinere Teile zerlegt werden kann. Es überrascht nicht, dass er sich im fünften Jahrhundert vor Christus geirrt hat, denn die Physik hat seitdem einen weiten Weg zurückgelegt – Wissenschaftler*innen haben heraus­gefunden, dass die Atome in noch kleinere Teile zerlegt werden können.

Im Laufe der Zeit wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts schrittweise das Standardmodell der Teilchen­physik entwickelt. Derzeit gilt es als die beste Theo­rie zur Beschreibung der Grundbausteine des Universums. Der Name sollte nicht zu der Annahme verleiten, dass es sich um ein kompaktes Modell handelt, da es tatsächlich zwölf Quarks, zwölf Leptonen, fünf Eichbosonen und ein Skalarboson (das berüchtigte Higgs-Teilchen) und auch die Wechselwirkungen zwischen diesen umfasst. „In der Stringtheorie könnten wir so etwas wie das Standardmodell mit der starken und schwachen Kernkraft, mit der Elektrodynamik und so weiter modellieren. Diese Theorie hat die Kapazität, eine vereinheitlichte Theorie der Wechselwirkungen zu sein“, so Fredenhagen.

Die Stringtheorie entstand in den 1960er-Jahren als eine Theorie zur Erklärung der starken Kernkraft (eine der vier Grundkräfte der Physik). Fredenhagen: „Diese ­Versuche wurden dann in den 1970er-Jahren aufgegeben, als die ­Quantenchromodynamik zur führenden Theorie wurde.“ Aber dann begannen die Wissenschaftler*innen, die Stringtheorie als eine Theorie der Quantengravitation zu etablieren. Das ging natürlich nicht so schnell, denn es gab einige Hindernisse: In diesen Modellen gab es zum Beispiel die seltsame Eigenschaft, dass man Anregungen des Strings bekam, die auf Teilchen hindeuteten, die sich schneller als das Licht bewegten (sogenannte Tachyonen). Dies sollte nicht möglich sein, da sich nach Einsteins spezieller Relativitätstheorie nichts im Universum schneller als das Licht bewegen kann. „Aber als man erkannte, dass es eine supersymmetrische Formulierung der Stringtheorie (sagt für jedes Teilchen einen entsprechenden supersymmetrischen Partner voraus, Anm.) ohne Tachyonen gibt, kam das Feld wieder voran“, erklärt Fredenhagen.

Was ist die Grundidee der String­theorie? Sie geht davon aus, dass die grundlegenden Bestandteile unserer Welt keine Teilchen sind, sondern kleine Strings, die schwingen können; unterschiedliche Schwingungen würden sich manifestieren, als wären sie kleine Teilchen. „Wenn wir uns die Resultate ansehen, die wir an Teilchenbeschleunigern sammeln, haben wir nur punktförmige Strukturen“, sagt Fredenhagen, „aber das steht nicht im Widerspruch zur Stringtheorie, denn die Länge der Strings ist extrem kurz und das bedeutet, dass sie als Punktteilchen erscheinen.“

Die Stringtheorie ist deshalb so attraktiv, weil sie leistungsfähige Vorhersagen über das Graviton (das quantisierte Austauschteilchen der Gravitationstheorie) machen kann: „Wir haben verschiedene Anregungen der Strings, sie können auf verschiedene Weise und in vielen Dimensionen schwingen, es kann verschiedene Arten von Schwingungen geben – und eine davon sieht aus wie das, was wir von einem Graviton erwarten würden“, so Freden­hagen. Und nicht nur das: In verschiedenen Arten von Stringmodellen könnte man alle Teilchen erhalten, die man braucht, um die Welt zu erklären. In der Praxis ist das noch nicht gelungen, aber im Prinzip sind diese Strings so reichhaltig, dass man je nach Art des Stringmodells andere An­regungen hat, die wie verschiedene Teilchen aussehen.

Ein interessantes Merkmal der Stringtheorie ist, dass sie zehn Dimensionen vorschlägt. In der Alltagswelt des Makrouniversums kann man die drei Raumdimensionen und eine Zeitdimension erleben. Damit die Stringtheorie jedoch mathematisch konsistent ist, benötigt sie sechs zusätzliche Dimensionen der Raumzeit. „Diese zusätzlichen Dimensionen sind so winzig aufgerollt, dass wir sie nicht wahrnehmen können, aber sie beeinflussen dennoch, was wir in den vier Dimensionen sehen“, so Fredenhagen weiter.

Obwohl die Stringtheorie ein starkes mathematisches Modell der Quanten­gravitation darstellt, gibt es ein gewichtiges Problem: Sie ist nicht experimentell falsifizierbar, zumindest noch nicht. Trotz der unterschiedlichen Meinungen innerhalb des Fachs bleibt es ein allgemeines Problem, dass die Stringtheorie keine befriedigende Aussagekraft hat, weil die Wissenschaftler*innen nicht genügend Informationen über die zusätzlichen sechs Dimensionen haben. „Ich bin nicht völlig davon überzeugt, dass die Stringtheorie die endgültige Antwort ist“, sagt Fredenhagen, „aber im Moment ist sie die am besten entwickelte Theorie, die wir zur Beschreibung der Quantengravitation haben. Deshalb lohnt es sich, sie besser zu verstehen.“

Diese Implikationen, Unzulänglichkeiten und Anwendungen der Theorie werden auf der diesjährigen Strings Conference vom 18. bis 23. Juli diskutiert. Dabei handelt es sich um die wichtigste Konferenz in diesem Bereich; sie wurde in den 1980er-Jahren ins Leben gerufen. Dieses Jahr findet sie in Wien statt und wird von der Universität Wien in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Wien, dem Österreichischen Wissenschaftsfonds, der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der Stadt Wien organisiert.