Aurore Simmonet, Sonoma State University, Lillie Paquette, MIT

SCHWARZE LÖCHER UND KATZENSTREU

Woran arbeiten die jungen Wissen­schaftler*innen an den Top-Unis der Welt eigentlich? Die 33-jährige Professorin Erin Kara und die 34-jährige Doktorandin Rebecca Brenneis lehren und forschen am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA. Ihre Arbeitsfelder sind verschieden, beide teilen aber ein Ziel: die Wissenschaft aufzumischen. Mit zwei Mio. US-$ Förderung vom Department of Energy für Brenneis’ Projekt, Methan aus der Luft zu filtern, und Karas Erfindung, schwarze Löcher hörbar zu machen, sind sie auf dem besten Weg dorthin.

Text: Sophie Schimansky Foto: Aurore Simmonet, Sonoma State University, Lillie Paquette, MIT

Ein Schwarzes Loch klingt wie das Pfeifen eines Sturms. Erin Kara erinnert sich noch genau an den Tag, als sie es zum ersten Mal gehört hat. Jedes schwarze Loch klingt aber anders, sagt sie; manchmal klingt es so, als halte man ein Ultraschallgerät an einen Menschen und lausche in die Tiefen des Körpers hinein. Statt des Ultraschalls nutzt Kara aber Röntgenstrahlen aus dem Umfeld des schwarzen Lochs, der glühend heißen Corona und dem kühleren, wirbelnden Gas an ihrem Rand. Indem man die Zeitverzögerung zwischen der Koronaemission und dem vom Gas reflektierten Licht misst, kann man auch die Region um sie herum erfassen. Inspiriert haben Kara Fledermäuse, die nicht besonders gut sehen, sondern eine Höhle wahrnehmen, indem sie Ultraschalltöne aussenden und die Zeit messen, die die Wellen brauchen, um wieder bei ihnen anzukommen.

Warum aber will Kara schwarze Löcher hörbar machen? „Es bringt einfach eine ganz neue, zusätzliche Dimension zu den Daten, die wir sonst erheben. Es werden weitere Sinne angesprochen“, sagt sie. Erin Kara macht die allgemeine Relativitätstheorie hörbar – man kann die Verschiebungen des Lichts hören, die durch die Ausdehnung der Raumzeit entstehen, und das sei selbst für sie, die an schwarzen Löchern forscht, seit sie 18 Jahre alt ist, „wirklich aufregend“. Außerdem könne sie die Daten so viel besser einer breiten Masse zugänglich machen. Auf Youtube etwa kann nun jeder „schwarze Löcher anhören“ – das Video „Extreme Kerr Black Holes“ hat knapp eine halbe Million Aufrufe, und in den Kommentaren zeigen sich die Nutzer*innen begeistert. Genau das ist Erin Karas Ziel, sagt sie: Menschen für Astronomie zu begeistern.

Sie selbst begann mit 18 Jahren, sich für Astronomie zu interessieren. Ihre Geschichte klingt dabei wie ein Film über eine junge, erfolgreiche Wissenschaftlerin, die ihre Liebe zu den Sternen und zum All entdeckt, als ihre Physik­professorin sie einlädt, den Sommer über Projekte mit ihr zu bearbeiten und zu forschen, während andere faul auf der Haut liegen, schwimmen oder Volleyball spielen gehen. Erin Kara: „Ich hatte ehrlich gesagt keine großartigen Gründe dafür oder dagegen, außer dass ich dachte: ‚Warum nicht?‘“ Und damit war es um sie geschehen, dank der „ganz großen Fragen“, die Astrophysiker*innen sich stellen. Es geht um nichts Geringeres als das Universum, sagt sie. Noch heute, 15 Jahre später, strahlt ihr Gesicht, wenn sie davon erzählt, wie Reshmi Mukherjee, ihre damalige Professorin am Barnard College, sie für die Astrophysik gewonnen hat: „Sie hat mein Leben für immer verändert!“ Sie habe ihr stets über die Schulter geblickt und ihr Mut zugesprochen, wenn Kara an sich zweifelte, schaut sie zurück. Das Gleiche tut Kara heute mit ihren Student*innen: „Viele von ihnen sind besser, als ich es in ihrem Alter war.“ Aber sie zweifeln an sich, lassen sich von schlechten Tagen entmutigen, sagt Kara. „Forschung ist aber wie Ebbe und Flut: Es gibt gute Tage und schlechte. Es existiert nur beides zusammen.“ Ein Vorteil an der Astrophysik sei, dass es noch so vieles gibt, das wir nicht wissen. So könne man selbst als junge/r Student*in schon Entdeckungen machen.

Es gibt nichts Aufre­gen­deres als den Mo­ment, in dem einem bewusst wird: man hat etwas Neues entdeckt.

Erin Kara, Astrophysikerin

Erin Kara ist seit drei Jahren am MIT. Ihr Physikstudium begann sie am Barnard College. Nach ihrem vierjährigen Grundstudium ging sie nach Großbritannien, um einen einjährigen Master anzuhängen. „Es gefiel mir dort so gut, dass ich beschloss, für die Dissertation an der University of Cambridge zu bleiben“, so Kara. Nach vier Jahren ging es dann zurück in die USA, zum Nasa-Zentrum. Dort heuerte sie am Goddard Space Flight Center außerhalb von Washington, D.C., an. „Ich war wirklich begeistert davon, bei der Entwicklung von Zukunftstechnologien dabei zu sein. Das MIT war bei dem Projekt, an dem ich mitarbeiten durfte, mit an Bord – es ist ja auch für seine Stärke in der Instrumenten­entwicklung bekannt. Das hat mich an- und letztlich auch dorthin gezogen“, so Kara. Sie bleibe weiter am MIT, hält dort eine Lebenszeitprofessur und will, bis sie alt ist, auch bleiben. Noch gehört sie aber zu den bei Weitem Jüngsten in ihrem Forschungsbereich, und zu den wenigen Frauen. Das könne an Vorteilen liegen, kommt sie ins Grübeln. „Das Bild des Wissenschaftlers als einsames Genie ist ja weitverbreitet“, schmunzelt Kara. Auch sie selbst habe sich eine/n Astrophysiker*in vor allem allein in der Dunkelheit vorgestellt, in den Bergen, mit einem Teleskop. „Und ehrlich gesagt, das hat mich nicht angesprochen. Ich halte mich nicht für ein einsames Genie; und ich bin auch ein sehr geselliger Mensch. Ich könnte nie einen Job machen, bei dem ich nicht mit Leuten zusammenarbeiten kann.“

Während Erin Karas Gedanken im All kreisen, zerbricht Rebecca Brenneis sich den Kopf über unseren Planeten Erde – genauer gesagt, über ihren nachhaltigen atmosphärischen bis hin zum Artenschutz, kurz: über unser Leben auf der Erde. Und ja: Selbstverständlich hänge das eine mit dem anderen zusammen, sagt sie. Die meisten Menschen aber denken bei Klimaschutz an grüne Wälder und saubere Meere, an Tiere, die die Erde bevölkern. Brenneis formuliert das Ziel ihrer Arbeit etwas weniger bildlich, etwas abstrakter, und, wie sie sagt, realistisch: „Ich erforsche Emissionen und Klimawandel, weil ich die Menschen um uns herum an dem Ort, an dem sie leben, schützen will; meine, unsere Zukunft schützen will.“ Und so spielt es auch eine Rolle, dass Brenneis selbst erst 34 Jahre alt ist. Der Klimawandel sei ein großes Thema, sagt sie, vor allem für jüngere Wissenschaftler*innen wie sie. „Ich bin Teil der Generation, die sich schlicht damit motiviert, diese Arbeit zu leisten, um nicht ständig in einer existenziellen Krise sein zu müssen.“

Für sie persönlich sei es der beste Weg, all diese Ängste zu verdrängen, indem sie über Chemie lese. „Aber mit dem Wissen, dass ich mit dem, was ich gerade lese, im Moment kein großes Problem lösen werde können.“ Es sei vielmehr so, als ob „wir gemeinsam in Richtung einer positiven Veränderung arbeiten würden. Das ist für mich eine große Motivation.“ Brenneis’ Erfindung, mit der sie zu diesem Wandel beiträgt, ist ein Methanfilter. Es geht in der Politik und der breiten Öffentlichkeit beim Thema Klimaschutz viel um CO2-Emissionen und deren ­Vermeidung – ein nicht ganz so heiß diskutiertes Thema sind Methan­emissionen.

Methan ist ein Treibhausgas – nur lassen sich im Gegensatz zu CO2 die Quellen nicht gut vermeiden, denn viele sind natürlich, wie Sümpfe oder Wälder. Der Ansatz von Rebecca Brenneis und ihren Kolleg*innen ist, das entstandene Methan aus der Luft zu filtern, und das mit einer einfachen, günstigen Methode, die trotzdem abenteuerlich klingt. Der Plan der Forscher*innen umfasst riesengroße Methanfilter in den Wüsten unseres Planeten, die das Gas aus der Luft holen. Dazu hat Brenneis, noch im Kleinen, Filter entwickelt, die mit Tonpartikeln gefüllt sind. Ton als Grundsubstanz ist dabei günstig und etwa in jeder Katzenstreu enthalten, erklärt die Physikerin.

Deswegen ist die Lösung von Brenneis skalierbar und somit interessant für die US-Regierung. Das Department of Energy, das US-Energieministerium, hat der Forschungsgruppe vor Kurzem eine Zwei-Millionen-US-$-­Förderung zugesprochen.

„Damit haben sie den Heiligen Gral anerkannt“, so die Forscherin. Und dieser heißt im Fall von Brenneis’ Arbeit Direct Air Capture; also das Sammeln und Reinigen der schmutzigen Luft. Brenneis’ Idee stößt aber nicht überall auf Gegenliebe, bekommt zuweilen auch gehörigen Gegenwind, sagt sie. „Es gibt eine Menge Debatten in der Umweltgemeinschaft darüber, ob das eine gute Idee ist, weil es die Leute glauben lässt, dass sie Treibhausgase ausstoßen können, weil wir sie ohnehin aus der Luft holen.“ Das schwinge bei der Förderung immer mit, sagt sie – aber grundsätzlich sei dieser Grant ein großer Erfolg.

Direct Air Capture ist ein Begriff, der meist für Kohlendioxid verwendet wird. Es sind Abluftreinigungssysteme, die man in Kraftwerken für fossile Brennstoffe anbringt und die das CO2 dort auffangen, wo es entsteht. Das ist naturgemäß viel einfacher, weil das Kohlendioxid dort konzentriert ist. Wenn man einfach nur Luft aus der Atmosphäre durch ein System ziehen wollte, das Kohlendioxid auffängt, ist das allerdings viel schwieriger, da man viel mehr Luft bewegen muss, weil das Gas hier nicht konzentriert sei, erklärt Brenneis. Das Problem ist auch, dass man sehr viel Energie aufwenden muss, um genügend Kohlendioxid zu sammeln, um die Energiemenge auszugleichen, die für den Betrieb des Systems benötigt wird. „Bei Methan ist das natürlich etwas besser, denn Methan ist ein stärkeres Treibhausgas“, erklärt Brenneis. Man muss also weniger davon auffangen, um diese Art von Ausgleichssystem zu erreichen. Kern der Idee ist jedenfalls, dass man versucht, die Gase direkt aus der Luft zu gewinnen – man fängt sie also direkt aus der Luft auf und nicht bei deren Erzeugung.

Unverkennbar ist Rebecca Brenneis’ Liebe zur Umwelt und zur Wissenschaft, die sie antreibt. „Es gab zwei wirklich wichtige Erkenntnisse für mich. Die eine war, dass es sich nach der Rezession so anfühlte, dass man es als Millennial nur mit etwas anderem als einem Englisch-Abschluss schaffen wird können.“ In anderen Worten: „Studieren um des Studiums willen“ kam
für sie nicht infrage. Rebecca Brenneis will die Welt verändern, denn beunruhigend ist für sie „auch die ­Richtung, in die wir uns umwelttechnisch auf diesem Planeten bewegen. Ich denke, es gibt ein massives Problem in Sachen Nachhaltigkeit, sprich, von der Wiege bis zur Bahre, und ich glaube nicht, dass die Leute einfach nur weniger Plastik benutzen sollten. Ich denke, wir müssen buchstäblich weniger organische Chemikalien verwenden. In der Zwischenzeit aber haben wir das Problem bereits verursacht und müssen nun versuchen, Wege zu finden, es zu lösen. Wir haben bereits Schaden angerichtet – ich wollte also eine Art Problemlösung finden.“

Diese Gedanken waren auch ihre steten Begleiter nach ihrem Erststudium in Kunstgeschichte. Sie begann ­daraufhin, sich bei einer Umwelt­organisation zu engagieren. „Aber ich hatte immer das Gefühl, dass ich mehr erreichen kann, wenn ich zusätzlich noch ein Ingenieurstudium absolvieren würde.“ Daher ging Brenneis mit 27 wieder an die Uni, um einen Bachelor­abschluss in Ingenieurwissenschaften zu machen. Brenneis: „Umwelttechnik erschien mir dabei eine sinnvolle Kombination. Ich sage den Leuten manchmal, dass es den Planeten auch nach der Klimakatastrophe, nach dem Aussterbeereignis noch geben wird – nur sind wir Menschen dann nicht mehr da. Ich glaube nämlich nicht, dass wir den Planeten retten müssen – sondern vor allem uns Lebewesen.“

Erin Kara
ist beobachtende Astrophysikerin und arbeitet daran, die physikalischen Grundlagen für das Wachstum schwarzer Löcher und die Auswirkungen auf ihre Umgebung zu verstehen. Sie hat eine neue Technik namens X-Ray Reverberation Mapping entwickelt, die es Astronom*innen ermöglicht, das auf schwarze Löcher fallende Gas zu kartieren und die Auswirkungen der stark gekrümmten Raumzeit in der Nähe des Ereignishorizonts zu messen. Neben ihrer Forschung im Bereich der beobachtenden Astrophysik arbeitet Kara an der Entwicklung neuer und künftiger Weltraummissionen, unter anderem mit der US-amerikanischen Nasa. Sie stammt ursprünglich aus Bethlehem, Pennsylvania, und besuchte das Barnard College der Columbia University, wo sie einen Bachelorabschluss in Physik mit dem Nebenfach Kunstgeschichte erwarb. Nach ihrem Abschluss im Jahr 2011 zog sie mit einem Gates-Cambridge-Stipendium nach Großbritannien und machte am Institut für Astronomie der Universität Cambridge einen Master und ihren Doktortitel. Im Jahr 2015 erhielt Kara ein Nasa Hubble Postdoctoral Fellow, das sie an die University of Maryland und ans Goddard Space Flight Center der Nasa führte. Im Jahr 2018 wurde sie Neil Gehrels Prize Postdoctoral Fellow an der University of Maryland und trat im Juli 2019 als Assistenzprofessorin für Physik in den Lehrkörper des MIT ein. Kürzlich verlieh ihr die American Astronomical Society den Newton-Lacy-Pierce-Preis 2022 für „herausragende Leistungen in der beobachtenden astronomischen Forschung in den letzten fünf Jahren“.


Rebecca Brenneis
ist Doktorandin am MIT im Studiengang Umwelttechnik, wo sie sich auf Umweltchemie spezialisiert hat. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf Technologien zur Methanreduzierung, um den raschen Fortschritt des Klimawandels zu verlangsamen. Brenneis hat einen Masterabschluss in Chemie- und Umwelttechnik von der Yale University, an der sie sich hauptsächlich mit der Bewertung und Behandlung von Abwässern beschäftigte, die bei der hydraulischen Frakturierung zur Erdgasförderung anfallen. Während ihres Studiums der Geowissenschaften und des Umweltingenieurwesens arbeitete sie bei der US Geological Survey und untersuchte das Ausmaß der Trichlorethylen-Kontamina­tion in zerklüfteten Sedimentgesteinen. In ihrer Freizeit kocht Brenneis gerne, geht campen, bestimmt Pflanzen und spielt Trivia.