Damit soll keineswegs angedeutet werden, dass es den in den 1820er- und 1830er-Jahren berufenen, teils sehr jungen Professoren an Expertise gefehlt hätte, aber die Neuheit der hier angebotenen Fächer und die fehlenden Curricula, die immer auch zu bewältigende Hürden darstellten, erleichterten jungen Assistenten und Praktikern die schnelle Karriere in jungen Jahren.
Die Berufung eines 23-Jährigen zum Professor für „praktische Geometrie und Landvermessung“, wie es Friedrich Anton Gerstner 1819 widerfahren ist, kann heutzutage weitgehend ausgeschlossen werden.
Aus dem Baubereich soll Josef Stummer genannt werden, nicht nur, weil Alexandra Wieser gerade in einer Publikation unseres Archivs die umfangreichen Tagebücher dieses technischen Allrounders vorgestellt hat. Stummer hatte am Polytechnischen Institut und an der Akademie der bildenden Künste studiert. Neben diesen Studien schloss er auch noch eine Maurerlehre ab. Bereits mit 22 Jahren war er in leitender Funktion am Ausbau des Allgemeinen Krankenhauses in Wien (Höfe 8 und 9) tätig, mit 23 war er Assistent am Polytechnischen Institut und mit 28 wurde er zum ordentlichen Professor für Land- und Wasserbau berufen.
Dieses Phänomen der sehr jungen Professoren erfuhr in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine jähe Abbremsung und wurde im 20. Jahrhundert weitgehend ins Gegenteil verkehrt.
Was waren die Ursachen? An erster Stelle ist zu erwähnen, dass die zunehmende Formalisierung der Bildung die Blitzkarrieren der Frühzeit unmöglich machte. In den ersten Jahren des Kaiserlich-königlichen Polytechnischen Instituts konnte ein Studium mit etwa 16 begonnen werden, vereinzelt finden sich in den Hauptkatalogen der ersten Jahre auch Studenten, bei denen ein Lebensalter von 15 Jahren eingetragen ist.
Erst mit der großen Studienreform am Polytechnischen Institut, die 1872 auch zur Umbenennung in „Technische Hochschule“ führte, wurde die Matura als Voraussetzung für ein ordentliches Studium auch an Technischen Hochschulen eingeführt und somit ein späterer regulärer Studienbeginn vorgeschrieben.
Die Ausbildung von Curricula mit Mindeststudiendauer führte zu einer Verlängerung der in der Studierendenrolle verbrachten Zeit. Die 1901 geschaffene Möglichkeit, das Doktorat, den Dr. techn., zu erwerben, verschob die Möglichkeiten, eine akademische Karriere zu starten, immer weiter nach hinten – und dazu kam in fast allen an der TH/TU Wien vertretenen Fächern auch noch die für eine Professur unabdingbare Habilitation dazu.
Gab es bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts noch eine beachtliche Zahl von Professoren, die vor ihrem 30. Geburtstag berufen worden waren, so lässt sich im gesamten 20. Jahrhundert der gegenteilige Effekt beobachten: Von den ersten zehn gewählten Rektoren unserer Universität (1866-1876) hatten nicht weniger als acht zu ihrem 40. Geburtstag bereits den Rang eines ordentlichen Professors erreicht, zwei sogar bereits vor ihrem 30. Geburtstag – 100 Jahre später zeigte sich ein völlig anderes Bild: Von den Rektoren der 1960er-Jahre waren nur zwei bereits mit 40 zum ordentlichen Professor aufgestiegen.
Dazu kommt in der zweiten Hälfte des 19. und auch im 20. Jahrhundert noch der Umstand, dass sich ein professoraler Habitus herausbildete, der einen bürgerlichen Lebensstil und eine gewisse gesellschaftliche Verankerung voraussetzte. Jüngere Habilitierte hatten dies oft noch nicht erreicht – und damit wurde ihnen sehr oft auch die „Professorabilität“ abgesprochen.
Gerade Letzteres hat sich in den letzten 30 Jahren doch sichtbar verändert. Eine dieser Ausnahmen, die ganz gewiss für einen Kulturwandel der TU Wien stehen, war die erste ordentliche Professorin der TU Wien, die 1996 mit 35 Jahren berufen wurde – heute ist Sabine Seidler Rektorin der TU Wien.
Paulus Ebner ist Historiker und leitet seit 2016 das Archiv der TU Wien.
Text: Paulus Ebner