Florian Aigner

HINTER DEM EREIGNISHORIZONT

Faszinierend und angsteinflößend zugleich: Schwarze Löcher sitzen in den Zentren fast aller Galaxien. Mit ihren enormen Maßen, milliardenfach größer als unsere Sonne, verschlucken sie alles und jedes in ihrer Nähe. Wir wagen einen Blick hinter den Ereignishorizont, sprechen mit dem Theoretischen Physiker Herbert Balasin und fragen, was eigentlich wirklich passiert, wenn man in die Tiefen eines schwarzen Lochs fallen würde.

Text: Lela Thun Foto: Florian Aigner

Das kleine Raumschiff bewegt sich stetig auf die große schwarze Scheibe in der Mitte eines dunklen Nachthimmels zu. Ein glühender, heller Ring strahlt rund um sie und taucht den Raum dahinter in gelb-oranges Licht. Die Scheibe ist das schwarze Loch Gargantua aus dem Christopher-Nolan-Film „­Interstellar“. Ein Astronaut trennt seine Kapsel vom Raumschiff und fällt in Sekundenschnelle in die Tiefen des Lochs. Noch kommuniziert er mit seiner Kollegin an Bord des Schiffes, als plötzlich beim Passieren des Ereignishorizonts die Verbindung unterbrochen wird. Auf einmal geht alles sehr schnell: Die Kapsel beginnt zu vibrieren und die Lichter an Bord gehen aus. Der Astronaut zieht an seinem Schleudersitz und wird in das schwarze Loch katapultiert.

Was wirklich passiert, wenn man in das Zentrum eines schwarzen Loches fällt, ist für Astronomen und Physi­ker bisher noch unbekannt. „Wir wissen über schwarze Löcher eigentlich nicht viel“, erklärt uns Professor und Studiendekan Herbert Balasin. In seinem kleinen Büro im letzten Stock des Freihauses der TU Wien türmen sich auf Tischen und Ablagen allerlei Bücher und Zettel. Balasin studierte Technische Physik an der TU Wien und ist heute neben seiner Forschung und der Arbeit als Studiendekan auch in der Lehre tätig. In den Vorlesungsfächern wie „Einführung in die allgemeine Relativitätstheorie und Elektrodynamik“ gibt er sein Wissen an junge Physik- und Elektrotechnikstudent*innen weiter. Die Leidenschaft für die Lehrtätigkeit wird schnell bemerkbar, als sich Balasin an die große Tafel an der Seite des Raums stellt und anfängt, uns mit Skizzen und Zeichnungen die Mathematik hinter den schwarzen Löchern zu erklären.

„Um zu verstehen, was ein schwarzes Loch eigentlich ist, muss man zuerst Albert Einsteins allgemeine Relativitätstheorie verstehen“, so Balasin. „Tatsächlich stellte Einstein mit der allgemeinen Relativitätstheorie die bisherige Vorstellung von Zeit und Raum und damit auch von Gravitation auf den Kopf. Im Gegensatz zu Newtons Gravitationskraft ist nach Einstein Gravitation keine Kraft, sondern vielmehr eine Eigenschaft des vierdimensionalen Raum-Zeit-Kontinuums, nämlich dessen Krümmung“, so der Professor weiter. Dieses Raum-Zeit-Kontinuum ist die Verbindung des dreidimensionalen Raums mit der eindimensionalen Zeit zu einer vierdimensionalen mathematischen Struktur. Während in der klassischen Physik und in der Technik der Raum und die Zeit als zwei voneinander unabhängige Größen gesehen werden, hat bei hohen Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindig­keit der Raum einen Einfluss auf die Zeit und umgekehrt. „Zu jedem Objekt gehört eine eigene ‚Uhr‘, welche den ‚eigenen‘ Zeitverlauf des Objekts darstellt. Dieser lässt sich im Zuge einer Relativbewegung beeinflussen. Der Effekt ist im täglichen Leben verschwindend gering und erzeugt so die Illusion einer universellen Zeit, wie Newton sie postulierte. Im Bereich starker Raumkrümmung, wie zum Beispiel bei schwarzen Löchern, kann es jedoch zu Effekten kommen, die unserer gewöhnlichen Anschauung aufs Heftigste widersprechen“, erklärt Balasin. Einstein hat nämlich im Zuge seiner allgemeinen Relativitätstheorie festgestellt, dass ein ähnliches Phänomen von veränderter Zeit in der Nähe von großen Massen entsteht. „Für jeden vergeht die Zeit anders, da jeder eine andere Masse hat. Der Unterschied ist für uns Menschen jedoch so gering, dass er vernachlässigbar ist. Für große Himmelskörper und schwarze Löcher ist diese Tatsache aber der springende Punkt“, so Balasin.

Vorstellen kann man sich diese durch Masse gekrümmte Raumzeit wie ein Gewicht auf einer gespannten Decke. Die Decke ist hierbei der Raum, das Gewicht ein massiger Himmelskörper. Je schwerer der Himmelskörper, desto tiefer die Mulde, die sich auf der Decke bildet. Gibt man jetzt kleine Gewichte wie Murmeln dazu, so fallen diese in die Mulden der Himmelskörper. Sie werden also durch die Krümmung des Raums zu den großen Planeten „gezogen“. Ein schwarzes Loch kann man sich auf dieser metaphorischen Raumzeit wie ein Loch in der Decke vorstellen, aus dem weder Licht noch Masse wieder heraustreten können. Würde man in unserem Sonnensystem die Sonne mit einem schwarzen Loch gleicher Masse ersetzen, ­würde sich jedoch bis auf das Ausbleiben des Lichts nichts verändern. Wenn sich jetzt ein Körper ­innerhalb des ­Radius der ehemaligen Sonne bewegt, erlebt dieser lediglich einen starken Zuwachs an Gravitations­beschleunigung.

Doch was genau ist ein schwarzes Loch? Herbert Balasin beantwortet diese Frage mittels einer Vielzahl an Skizzen auf der Tafel: „Ein schwarzes Loch ist eine Region des Raum-Zeit-Kontinuums, welche ein Entweichen selbst für Licht, das schnellstmögliche Signal, ­verhindert.“ ­Dieser Effekt entsteht aber erst nach dem charakteristischen Ereignishorizont, welcher das Innere des schwarzen ­Lochs vom Äußeren trennt. „Einmal hinter dem Ereignis­horizont, kann keine Information mehr an die Außenwelt gelangen. Es gibt also kein Zurück mehr“, erklärt der Physiker. Die Singularität (ein Ort mit unendlich hoher Dichte) sitzt im Zentrum des schwarzen Lochs, bei ihr ist die Krümmung der Raumzeit unendlich.

Schwarze Löcher entstehen im Zuge einer Supernova, wenn die Lebenszeit eines Sterns zu Ende geht und dieser kollabiert. Theoretisch kann aber jeder Körper mit Masse zu einem schwarzen Loch werden, auch der menschliche Körper. Alle Gegenstände besitzen nämlich einen zur Masse proportionalen Schwarzschildradius. Dieser gibt an, auf welche Größe man einen Körper komprimieren müsste, damit dieser zu einem schwarzen Loch wird. Der Schwarzschildradius der Erde ist ungefähr einen Zentimeter groß. Komprimiert man also ihre gesamte Masse auf die Größe einer Murmel, so würde man ein schwarzes Loch erhalten.

Werfen wir einen Blick zurück auf Gargantua, das schwarze Loch aus „Interstellar“. Jene Darstellung ist das Ergebnis von Gleichungen des Theoretischen Physikers Kip Thorne, welcher bei der Recherche und Produktion des Films eine wichtige Rolle gespielt hat. „Der helle Ring rund um das schwarze Loch ist die sogenannte Akkretionsscheibe. Auf dieser befindet sich leuchtend angeregte Materie, welche in das schwarze Loch fällt. Aufgrund der starken Raumkrümmung entsteht allerdings auch ein ‚Linseneffekt‘, welcher es gestattet, um das schwarze Loch herumzuschauen“, so Balasin. Somit sind Sterne und Licht, die eigentlich durch das schwarze Loch verdeckt sind, für den Betrachter sichtbar. Die Darstellung des schwarzen Lochs in dem Film stimmt also damit überein, was Professor Balasin beschrieben hat. Doch was passiert wirklich, wenn man sich hinter den Ereignis­horizont begibt?

Zuerst passiert man eine Art Ring an Photonen, der sich um das schwarze Loch bewegt, die sogenannte Photon Sphere. Dieser Ort ist noch relativ weit vom Zentrum eines schwarzen Lochs entfernt, sodass Licht nicht hinein­gezogen, aber dennoch so stark von dem Gravitationsfeld beeinflusst wird, dass es um das schwarze Loch rotiert. Würde man sich auf dieser Photon Sphere um 90 Grad auf die Seite drehen, so könnte man seinen eigenen Hinterkopf sehen, da das Licht, welches vom Hinterkopf reflektiert wird, sich einmal schnell um das schwarze Loch dreht und auf der anderen Seite wieder auftaucht. An diesem Punkt kommt es auch zu anderen Phänomenen: Aufgrund des großen Gravitationsfelds vergeht die Zeit für jemanden, der in ein schwarzes Loch fällt, langsamer als für einen außenstehenden Beobachter. Wenn man von außen jemandem dabei zusähe, wie er in ein schwarzes Loch springt, so würde sich dieser für den Beobachter immer langsamer in Richtung des Ereignishorizonts bewegen. Tatsächlich könnte der Beobachter nie sehen, wie der Fallende den Ereignishorizont passiert. Stattdessen würde sein Bild einfach kurz davor einfrieren und sich dann langsam in Luft auflösen. Balasin: „Wenn man auf dem Weg zum Ereignishorizont mit anderen Menschen kommunizieren wollen würde und daher immer im selben zeitlichen Abstand Nachrichten versendet, so würden diese Nachrichten mit immer größer werdenden Pausen bei einem weit draußen stationierten Empfänger ankommen. Wenn die Person dann den Ereignishorizont erreicht, können die Signale gar nicht mehr ankommen.“

Ist man nah genug an der Singularität, kann es zu der berühmten „Spaghettisierung“ kommen. Bei diesem Phänomen wird ein Objekt, das sich ausreichend nah an der Singularität aufhält, in die Länge gezogen. Im Falle unseres/unserer Astronaut*in sind die Füße näher am Gravitationszentrum und werden daher stärker in Richtung Singularität gezogen als der Kopf. Und was passiert danach? „Im Zentrum des schwarzen Loches wird man höchstwahrscheinlich einfach zerquetscht“, so Balasin.

Albert Einstein und Nathan Rosen schlossen aber nicht ganz aus, dass spezielle schwarze Löcher, sogenannte Wurmlöcher, existieren, durch die man schnell von einem Ort zum anderen reisen könnte. Experimentell beweisen kann man ihre Existenz jedoch nicht. Generell ist vieles rund um schwarze Löcher, Wurmlöcher und Co noch unklar. „Ein großer Schritt wäre es, ein Modell zu finden, welches die allgemeine Relativitätstheorie mit der Quantentheorie verbindet“, so Balasin, fügt aber noch hinzu: „Die Erfahrung hat uns gelehrt, dass, wenn man in der Forschung eine Tür öffnet, sich dahinter meistens drei weitere Türen befinden. Ich fände es schade, wenn dies durch eine ‚finale Theorie‘, die alles erklärt, zu einem Ende kommen würde.“