Wer an einem heißen Sommertag die Fahrt von Wien zum Neusiedler See auf sich nimmt, um sich abzukühlen, kommt nicht darum herum, ihnen auf der Strecke mehrmals zu begegnen: Die 1.000 Tonnen schweren und bis zu 200 Meter hohen weißen Türme mit ihren rot-weiß gestreiften Rotorblättern sind vor allem im windreichen Osten des Landes zu betrachten. Vor 28 Jahren wurde die erste größere Windkraftanlage in Österreich im Marchfeld gebaut, heute zieren über 1.300 Stück unsere Nation. Mit dem Ausbau der Anlagen wurden über die Jahre aber auch kritische Stimmen laut, denn für viele lautet die Prämisse: Erneuerbare Energien schön und gut – aber bitte nicht vor meiner Haustür. Windparks würden durch Lärm die Lebensqualität der Anwohner*innen mindern, eine Bedrohung für Tiere darstellen, uns durch Infraschall krank machen und die Landschaft verschandeln, so einige Argumente der Windkraftgegner*innen. Abgesehen davon gibt es Sorgen, die Stromversorgung durch Windenergie abhängig vom Wetter zu machen und durch einen Ausbau von Windkraftanlagen hohe Kosten tragen zu müssen. Doch welche Argumente sind berechtigt und wie hat sich die Thematik im Zuge von Russlands Angriff auf die Ukraine hierzulande verändert?
Um aus Wind Strom zu erzeugen, muss die kinetische Energie des Winds in elektrische Energie umgeformt werden. Windräder transformieren dafür zuerst die kinetische in mechanische Rotationsenergie. Das passiert entweder durch Widerstand oder Auftrieb bei den Rotationsblättern der Räder. Ein Generator innerhalb der rotierenden Achse der Anlage formt die mechanische Energie dann in elektrische um. Die Windkraftanlagen werden in das Stromnetz integriert, und so gelangt der Strom dann in die Haushalte. Nach diesem Prinzip produzierten die 1.307 Windkraftanlagen in Österreich 2021 Strom für circa 50 % aller österreichischen Haushalte und decken damit laut Zahlen der Interessensgemeinschaft Windkraft (IG Windkraft) ungefähr 11 % des gesamten Stromverbrauchs des Landes ab. Damit liegt Österreich laut dem europäischen Verein zur Förderung von Windkraft „WindEurope“ unter dem EU-Durchschnitt, der 15 % beträgt. In Dänemark deckt Windkraft beispielsweise bereits heute 44 % des Stromverbrauchs ab, in Irland sind es 31 % und in Portugal 26 %. Mit dem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) hat sich Österreich nun vorgenommen, bis 2030 Strom zu 100 % aus erneuerbaren Energien zu beziehen – momentan liegt man bei etwa 70 %. Um das Ziel zu erreichen, sollen bis Ende 2022 106 weitere Windkraftanlagen gebaut werden.
Im Zuge dieses Vorhabens hat Gustav Resch, Senior Scientist an der TU Wien (Energy Economics Group) gemeinsam mit dem AIT (Austrian Institute of Technology) und der WU Wien und im Auftrag des Klimaschutzministeriums ein ausgeklügeltes Anreizsystem für den Ausbau der Windenergie entwickelt, das durch finanzielle Unterstützungen in ganz Österreich besagten Ausbau anregen soll – auch im Westen des Landes. Resch ist seit dem Jahr 2000 an der TU Wien tätig. Er forscht an energiewirtschaftlichen und energiepolitischen Fragen, vorwiegend im Bereich der erneuerbaren Energien, und untersucht diese etwa bezüglich Förderausgestaltung oder Marktintegration. Das Vorhaben Österreichs, im Jahr 2030 100 % des Stroms aus erneuerbaren Energien zu beziehen, hält er prinzipiell für realistisch: „Wichtig ist hierbei, dass alle an einem Strang ziehen. Es gibt durch das EAG einen schönen Bundesgesetzrahmen und entsprechende finanzielle Anreize. Es müssen aber alle Bundesländer mitziehen, damit wir das Ziel wirklich erreichen – das österreichische föderale System könnte uns da noch in die Quere kommen.“ Die aktuelle geopolitische Situation treibt die Gespräche rund um die Energiewende in ganz Europa noch einmal besonders an, denn die Strompreise am Großhandelsmarkt sind astronomisch und der Umstieg kann in der aktuellen Situation ohne Explosion der Förderpreise vollzogen werden. Im Mai 2022 stieg der Großhandelspreis für Strom laut Österreichischem Strompreisindex in Österreich beispielsweise um 19,6 % gegenüber April, im Vergleich zum Vorjahr beträgt der Preisanstieg ganze 205,4 %.
„Momentan könnte man in Österreich durch Windenergie eine Megawattstunde Strom um circa 60 bis 90 € produzieren“, so Resch. Am Großhandelsmarkt liegt der Preis für die gleiche Menge Strom im Vergleich dazu bei 150 bis 200 € (und mehr). Förderungen müssen aktuell deshalb auch noch nicht ausbezahlt werden, erzählt Resch weiter, denn Windenergie sei im Vergleich günstiger denn je. „Die große Frage ist, wie sich der Großhandelsstrompreis in Europa künftig entwickelt. Wenn dieser in den nächsten Jahren wieder massiv absinkt – er war auch schon bei 30 € – dann hätte man natürlich ein deutlich höheres Fördervolumen“, so der Wissenschaftler.
Doch trotz der Tatsache, dass die Windkraft beim vollständigen Umstieg auf erneuerbare Energien eine wichtige Rolle spielen wird, hat die Energiegewinnungsform nicht nur Freunde. Ursprünglich sorgten die vermeintlich hohen Kosten des Ausbaus für Kritik, doch auch das Sterben von Vögeln durch die Windräder, der Lärm oder angeblich krank machende Infrarotstrahlen werden von Windkraftgegner*innen ins Feld geführt. Vergangenen Herbst berichtete die deutsche Wochenzeitung Der Spiegel in einer gemeinsamen Recherche mit der Umweltschutzorganisation Greenpeace über ein regelrechtes Netzwerk von Gegner*innen der Energiewende, welche sich zu einem großen Teil auch gegen den Ausbau von Windkraft engagieren – viele davon kämen aus der Industrie. Viel Gegenwind kommt beispielsweise von der „Bundesinitiative Vernunftkraft“, einem Zusammenschluss von mehr als 920 deutschen Bürgerinitiativen, die sich gegen den Ausbau von unter anderem Windkraft aussprechen. Auch Naturschutz- und Wildschutzinitiativen klagten zuletzt gegen diverse deutsche Windkraftprojekte. Woher die teilweise sehr kleinen Organisationen das Geld für die oftmals sechsstelligen Kosten der Klagen nehmen, ist unklar – vermutet werden von Greenpeace-Seite allerdings Geldgeber*innen aus der Industrie. „Das ist eine organisierte Lobby von einzelnen Strippenziehern und Multifunktionären mit engen Verbindungen in die Industrie“, so Greenpeace-Energieexperte Karsten Smid damals gegenüber dem Spiegel. Auch in Österreich kämpfen Vereine wie die „Bürgerinitiative Windpark-frei“ gegen den Ausbau der Windenergie an. Obwohl die Kritikpunkte der Anti-Windkraft-Protagonist*innen nicht alle aus der Luft gegriffen sind, können sie mittlerweile zum Teil gut widerlegt werden.
Eine häufige Sorge von Windkraftgegner*innen ist der besagte Lärm, den die Anlagen verursachen und der die Lebensqualität der Bewohner*innen in der Nähe von Windparks ihnen zufolge mindern würde. Abstandsregelungen sorgen allerdings mittlerweile dafür, dass die Anlagen immer weiter weg von Wohngebieten gebaut werden müssen. In Österreich ist diese Regelung je nach Bundesland unterschiedlich: In Niederösterreich liegt der Abstand beispielsweise bei 1,2 Kilometern, im Burgenland bei einem Kilometer und in Kärnten bei 1,5 Kilometern.
Die große Frage ist, wie sich der Groß-handels-strompreis in Europa künftig entwickeln wird.
Gustav Resch, Senior Scientist der Energy Economics Group an der TU Wien
Die Zahl der Vögel, die durch Windräder sterben, sei zwar schwer zu bestimmen, Expert*innen gehen aber davon aus, dass Katzen, Glasscheiben oder Autos die weit größere Gefahr für die Tiere sind. Ein Problem stellen die Anlagen allerdings dann dar, wenn sie für Tötungen seltener Tierarten verantwortlich sind. Die Wahl des Standorts für Windräder ist beim Ausbau deshalb enorm wichtig und es wird darauf geachtet, sie beispielsweise nicht in der Nähe von Naturschutzgebieten zu bauen. Mittlerweile gibt es außerdem spezielle Softwareprogramme für Windräder, die Vögel erkennen können und die Rotorblätter verlangsamen, sobald ein Tier auf sie zufliegt.
Neben Lärm- und Naturschutzbedenken steht auch der Infraschall der Windkraftanlagen in der Kritik. Infraschall ist ein sehr niederschwelliger, tiefer Schall, den Menschen nicht hören können und der beim Betrieb der Anlagen entsteht. Zwar ist medizinisch noch nicht bewiesen, dass dieser Schall krank macht – ausschließen könne man das allerdings auch nicht. Nichtsdestotrotz dürfen mittlerweile aber nur noch Windkraftanlagen gebaut werden, die sehr wenig Infraschall erzeugen; dieser ist dann lediglich direkt neben der Anlage zu spüren. Der Infraschall, dem man im Stadtverkehr oder im Auto auf der Autobahn ausgesetzt ist, ist zudem im Vergleich stärker.
Ein großes Bedenken, das bei der Thematik rund um den Ausbau der Windenergie aufkommt, ist auch die Frage: Was, wenn kein Wind weht? Als Land möchte man sich natürlich nicht abhängig vom Wetter machen – ein Problem, das auch bei anderen erneuerbaren Energieformen wie Wasserkraft und Photovoltaik besteht, die von Niederschlag bzw. Sonneneinstrahlung abhängig sind.
Laut Resch ist es deshalb wichtig, Windräder nicht nur konzentriert an einem Punkt zu errichten oder Photovoltaikanlagen nebeneinander zu platzieren, sondern die Energiequellen gleichmäßig über das Land zu verteilen. Die sogenannte Dunkelflaute, in der wirklich über das ganze Land hinweg zu wenig Wind weht (und auch keine Sonne scheint), wird laut Expert*innen allerdings maßlos überschätzt. Prinzipiell sei man mit dem europäischen Stromnetz aber sowieso gut aufgestellt. „Man hat ja ein engmaschig vernetztes Stromnetz und einen funktionierenden länderübergreifenden Strommarkt in Europa – ganz anders als zum Beispiel in den USA. Dadurch gibt es fast immer irgendwo Strom, der zugekauft werden könnte, auch wenn im eigenen Land gerade kein Wind weht“, so Resch. „Es wird aber natürlich auch Tage geben, wo kein Wind weht und die Hitze brütet, dann braucht man auch andere Technologien. Da wäre beispielsweise die Photovoltaik eine wunderbare Ergänzung“, so Resch. Abgesehen davon würden die großen Pumpspeicherkraftwerke im Westen Österreichs auch dafür sorgen, Reserven bereitzuhalten, sollte es tatsächlich zu einem Windmangel kommen.
Ein Großteil der Kritikpunkte lässt sich also widerlegen. Insgesamt steht die Bevölkerung Mitteleuropas der Windkraft aber positiv gegenüber: Eine Studie aus dem Jahr 2020 der Plattform You Gov zeigt: 74 % der Deutschen sprechen sich für Windräder als Lieferanten von Energie aus, den Ausbau der Windenergie halten 73 % für wichtig. An der Optik der Anlagen stören sich junge Menschen (18-bis 24-Jährige) durchschnittlich weniger als ältere Bürger*innen. Auch in Österreich stehen laut einer Umfrage der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt zum Meinungsbild der Windkraft in Österreich alle Zeichen auf Wind: 78 % befürworten den Ausbau von Windkraftanlagen außerhalb ihres Orts; bei Menschen, die bereits jetzt in der Nähe eines Windparks leben, sind es sogar 88 %. Die Umfrage zeigt außerdem, dass die Stimmung in Österreich schlechter wahrgenommen wird, als sie tatsächlich ist: Nur 46 % denken, dass ihre Nachbar*innen sich für Windkraft aussprechen. 80 % der Österreicher*innen stimmen außerdem der Forderung nach einer Vereinfachung und Beschleunigung der Genehmigungsverfahren für Windparks zu.
Der Ausbau dieser Form von Energie kommt aber nicht nur der Umwelt zugute, sondern auch der Wirtschaft. „Rund 1,3 Millionen Menschen arbeiten weltweit im Windenergiesektor, allein in Österreich hat die Branche rund 5.000 Arbeitsplätze geschaffen. 2020 erwirtschafteten Windenergiebetreiber, Zulieferbetriebe und Dienstleistungsfirmen rund 950 Millionen €“, heißt es in einem Artikel der österreichischen Tageszeitung Kurier.