Das Elektroauto ist klimaschädlich, weil bei der Produktion CO2 ausgestoßen wird, Bio-Gemüse ist klimaschädlich, weil es mit dem Lkw geliefert wird, und das Internet produziert so viel Kohlendioxid wie der gesamte Flugverkehr, rechnet man uns vor. Kein Wunder, dass solche Berechnungen bei manchen Leuten für Frust sorgen: Wenn ich ohnehin nichts richtig machen kann, warum soll ich dann überhaupt etwas machen?
Ja, selbstverständlich macht unser individuelles Verhalten einen wichtigen Unterschied. Aber in CO2-Fußabdrücken zu denken ist der falsche Weg. Diese Sichtweise verlagert die Schuld von den eigentlichen Klimatätern auf Einzelpersonen, die nichts dafür können. Der Gedanke „wenn sich alle von uns einfach persönlich ein bisschen anstrengen, dann retten wir gemeinsam das Klima“ ist falsch.
Die Idee vom „Carbon Footprint“ stammt pikanterweise aus der Erdölindustrie: Die Firma BP brachte sie auf, durch einem Online-Rechner, mit dem man die Schwere der ganz persönlichen Klimasünden in Zahlen fassen kann. Aus Sicht der Erdölindustrie ist das ein genialer Schachzug: Nicht sie selbst trägt die Verantwortung für die Klimakatastrophe, die Schuld wird verdünnt, auf unzählige Einzelpersonen, die sich alle gefälligst ein bisschen schlecht fühlen sollen.
Angenommen, ich klaue eine Geburtstagstorte. Um das zu verschleiern, beschließe ich, sie in kleine Stückchen zu zerpflücken und an zweihundert Hühner zu verfüttern. Und nun erkläre ich: Jedes der Hühner trägt ein kleines bisschen Schuld am Tortendiebstahl. Ich selbst kann nichts dafür, die Hühner sollten einfach ihren Tortenfußabdruck überdenken! Das ist lächerlich. Die Hühner wären auch mit etwas anderem zufrieden gewesen. Schuld am Tortendiebstahl bleibt der Tortendieb.
Beim Klima ist es ähnlich: Entscheidend ist die Kohlenstoffbilanz. In einem natürlichen Kreislauf wird Kohlenstoff in Form von CO2 von Pflanzen aus der Luft geholt. Die Pflanzen sterben, verfaulen oder werden gefressen – der Kohlenstoff gelangt am Ende wieder in die Luft, der Kreislauf ist geschlossen. Unser Problem ist, dass Kohlenstoff, der seit Millionen Jahren unter der Erde lag, herausgeholt und in das System gepumpt wird. Es ist der zusätzliche Kohlenstoff-Input in Form von Öl oder Gas, der den Kreislauf durcheinanderbringt. Wofür dieser Kohlenstoff verwendet wird, spielt für die Kohlenstoffbilanz keine Rolle.
Und daher ist es unredlich, in kunstvollen Bilanzrechnungen zu ermitteln, wie viel von dem CO2-Ausstoß, der eigentlich im Kohlekraftwerk oder im Auspuff eines Lastwagens anfällt, nun eigentlich einem einzelnen Konsumenten, einem einzelnen Solarpaneel oder einem einzelnen Internetserver zuzurechnen ist. Der Internetserver kann nichts dafür, wenn er mit Strom aus einem Kohlekraftwerk versorgt wird. Er würde mit grünem Strom aus Windenergie ganz genau so gut funktionieren.
Das heißt natürlich nicht, dass wir uns als Individuen nicht bemühen sollen, klimafreundlicher zu leben. Selbstverständlich ist es gut, wenn wir auf Elektromobilität umsteigen, weniger Fleisch essen und unsere Ölheizung durch Fernwärme ersetzen. Wir alle können in vielen kleinen Entscheidungen jeden Tag dem Klima helfen. Der große Irrtum ist aber: Die Klimawende setzt sich nicht bloß aus vielen kleinen individuellen Einzelentscheidungen zusammen. Entscheidend sind Handlungen, die wir nur gemeinsam setzen können.
Ich kann allein kein Kohlekraftwerk schließen. Ich kann allein kein Ende des Verbrennungsmotors durchsetzen. Ich kann allein kein Umdenken in der Raumplanung oder im Betonbau bewirken. Die wirklich großen Brocken, die unsere CO2-Bilanz radikal ändern könnten, sind Gemeinschaftsthemen. Große, gesamtgesellschaftliche Probleme in kleine Krümelchen zu zerpflücken und sie dann dem Einzelnen als schlechtes Öko-Gewissen zu verfüttern, wird unser Klima nicht retten.
Florian Aigner
...ist Physiker, Autor und Wissenschaftspublizist. An der TU Wien bildet er als Wissenschaftsredakteur die Schnittstelle zwischen Forschung und Wissenschaftsjournalist*innen. 2021 wurde Florian Aigner der Kardinal-Innitzer-Preis verliehen.