Valentin Berger

DER MANN MIT DER KATZE

Alle, die die Zeiten des Schillings noch miterlebt haben, haben zumindest einmal das Gesicht Erwin Schrödingers erblickt. Sein Antlitz zierte die 1.000-Schilling-Banknote, die damals einen Wert von rund 70 € darstellte. Doch wer war dieser Mann, der es auf einen österreichischen Geldschein geschafft hat – und was hat er mit einer Katze zu tun?

Text: David Zehner Foto: Valentin Berger

Erwin Schrödinger entwickelte sein wohl bekanntestes Gedankenexperiment, „Schrödingers Katze“, im Jahr 1935. Mit diesem mittlerweile weltweit bekannten Modell zeigt der Physiker die Unvollständigkeit der Quantenmechanik auf. Er übertrug das Verhalten subatomarer Teile vom mikroskopischen in den makroskopischen Bereich, in die „greifbare“ Welt sozusagen. Im Gedankenexperiment setzte Schrödinger eine Katze in eine Box mit einem radioaktiven Element. Das radioaktive Element zerfällt mit gleicher Wahrscheinlichkeit innerhalb einer Stunde oder eben nicht. In der Kiste befindet sich auch ein Detektor, der beim Erfassen von Radioaktivität ein tödliches Gas freisetzt – in dem Moment, in dem das radioaktive Teilchen zerfällt, setzt der Detektor das tödliche Gas frei und die Katze stirbt. Von außen kann der Betrachter nicht erkennen, ob die Katze lebt oder nicht; sie befindet sich in einem Zustand, in dem sie gleichzeitig lebendig und tot ist.

Mit seinem Gedankenexperiment kritisierte Schrödinger die vorherrschende Quantenphysik, da laut deren Auslegung nur eine Messung entscheiden kann, in welchem Zustand sich Teilchen befinden. Bei der Anwendung auf den makroskopischen Bereich – mit Schrödingers Katze also – kommt ein Problem auf, da die Katze nur tot oder lebendig sein kann und nichts dazwischen. Jedoch ist sie im Gedankenexperiment bis zum Zeitpunkt der Messung gleichzeitig lebendig und tot; Schrödinger beschreibt diesen Zustand als „zu gleichen Teilen gemischt oder verschmiert“.

Dieser Zustand, auch als Superpositionsprinzip bekannt, findet bei Quantenobjekten, etwa Photonen, statt. Diese können im Doppelspalt­experiment sowohl den einen als auch den anderen Spalt durchqueren. Beobachtet man das Experiment aber, was einer Messung gleichkommt, ist der Verlauf gänzlich anders, da der Weg des Photons bereits durch die Beobachtung festgelegt wurde.

Doch wer war Erwin Schrödinger eigentlich? Erwin Rudolf Josef Alexander Schrödinger war bereits zu Lebzeiten (und ist noch immer) einer der berühmtesten österreichischen Physiker und Wissenschaftstheoretiker. Am 12. August 1887 erblickte Schrödinger in Erdberg, im dritten Wiener Gemeindebezirk, das Licht der Welt. Er wuchs in guten Verhältnissen auf, sein Vater Rudolf Schrödinger besaß eine Wachstuchfabrik. Mit zehn Jahren besuchte Schrödinger das Akademische Gymnasium Wien, das älteste Gymnasium der Stadt; noch heute erinnert dort eine Gedenktafel an den Physiker. Nach seinem Schulabschluss studierte Schrödinger ab 1906 Mathematik und Physik an der Universität Wien, wo er 1910 promovierte und sich vier Jahre später am Physikalischen Institut habilitierte.

„Mann mit der Katze“.

Erwin Schrödinger, Begründer der Quantenphysik

Nach einer kurzen Lehrtätigkeit in Wien führte Schrödingers akademische Reise über Stuttgart und Breslau in die Schweiz, wo er in Zürich am Institut für Theoretische Physik lehrte, an dem kurz zuvor Albert Einstein war. Nach einem Zwischenstopp in Berlin floh Schrödinger nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten nach England, wo er seine Tätigkeit als Professor am Magdalen College der Eliteuniversität Oxford ausübte. Aufgrund seiner offenen Beziehung zu seiner Frau und einer außerehelichen Beziehung mit der Frau eines Assistenten verlor Schrödinger in den 1930er-Jahren seinen Lehrstuhl in Oxford. Während dieser Zeit bekam er allerdings für seine 1925 aufgestellte Schrödingergleichung im Jahr 1933 gemeinsam mit Paul Dirac den Nobelpreis für Physik.

Schrödinger gilt als Begründer der Quantenmechanik. Die Schrödingergleichung, die er entwickelte, hilft seit 1926 bei der Erklärung verschiedener Eigenschaften von Atomen. Ursprünglich war sie als Wellengleichung bekannt und bildet auch heute noch die Basis für bestimmte Anwendungen in der Quantenmechanik. Die Schrödingergleichung lieferte damit eine Erklärung für die Bewegungen von Teilchen zwischen unterschiedlichen Energieniveaus innerhalb eines Atoms. Darüber hinaus liefert die Gleichung eine Methode zur Berechnung von Energieniveaus und beschreibt die Ausbreitung oder Interferenz von Teilchen. Noch heute wenden Forscher*innen Schrödingers Formel zum Beschreiben chemischer Reaktionen und subnuklearer Vorgänge an.

Ab 1940 lehrte Schrödinger für mehr als zehn Jahre in Dublin am Trinity College, wo er seine berühmten „Schrödinger lectures“ mit dem Titel „What is life?“ hielt. In dieser dreiteiligen Vorlesungsreihe beschäftigte sich Schrödinger mit der Frage des Lebens und beschränkte sich dabei nicht nur auf seine Disziplin. Die „Schrödinger lectures“ hatten eine große Auswirkung auf die Wissenschaft und trugen maßgeblich zur Entwicklung des Fachs Molekularbiologie bei. Anschließend wurden die Vorlesungen als Buch veröffentlicht, und das Trinity College veranstaltet seit 1995 ihre „Schrödinger Lecture Series“ mit Gästen aus aller Welt. Ab 1956 lehrte Schrödinger bis zu seinem Tod fünf Jahre später wieder in seiner Geburtsstadt Wien an der Physikalischen Fakultät für Theoretische Physik. Die Schrödingergleichung, welche die Quantenmechanik revolutionierte, ziert nicht nur sein Grab im Tiroler Alpbach, sondern auch seine Büste im Arkadenhof der Universität Wien.

Doch nicht einmal Schrödinger selbst hätte erahnen können, welchen Einfluss sein Gedankenexperiment auf die Populärkultur haben würde. Spätestens seit dem Erscheinen der Sitcom „The Big Bang Theory“ 2007 mit den ulkigen ­Physikern Sheldon Cooper und Leonard Hofstadter haben viele zumindest einmal schon von Schrödingers Katze gehört.

Erwin Schrödinger
wurde 1887 in Wien geboren und gilt als Begründer der Quantenphysik. 1933 erhielt er gemeinsam mit Paul Dirac den Nobelpreis für Physik.