Fotos: Johanna Eckhardt

DER ELEFANTENLOSE STOSSZAHN

Einen Elfenbein-Ersatz aus dem 3D-Drucker entwickelte die Materialwissenschaftlerin Thaddäa Rath. Mit ihrem neu
gegründeten Unternehmen wird sie die Idee nun weltweit vermarkten.

Text: tuw.media-Redaktion Foto: Fotos: Johanna Eckhardt

Es sieht aus wie Elfenbein, es fühlt sich an wie Elfenbein und es lässt sich ganz ähnlich verarbeiten wie Elfenbein. Trotzdem hat das neuartige Material, das Thaddäa Rath aus dem 3D-Drucker holt, nichts mit Elefantenstoßzähnen zu tun.

Für ihre Dissertation forschte die Materialwissenschaftlerin an der Frage, wie man Elfenbein am besten ersetzen kann. Und sie fand die Antwort – nämlich „Digory“, ein Elfenbein-Ersatzprodukt mit hervor­ragenden Eigenschaften. Noch während sie ihre Doktorarbeit schrieb, begann sie mit der Gründung ihres Start-up-Unternehmens, mit dem sie ihr neues Material nun vermarkten will.

„Was ich an dem Material so mag, ist, dass es Technik und Kunst mitei­nander verbindet“, sagt Thaddäa Rath. Die Ästhetik des neuen Materials ist für sie eine wichtige Motivation: „Die Technik und die Wissenschaft sind rational und die Kunst drückt Emotionen aus. Was mich daran interessiert, ist, diese unterschiedlichen Welten zusammenzubringen.“

Von allem ein bisschen
Thaddäa Rath stammt aus der Steiermark, sie wuchs als mittleres von fünf Geschwistern in Graz auf. „Schon in meiner Zeit am Gymnasium habe ich mich mehr für Mathematik oder Chemie interessiert als für andere Fächer“, erzählt sie. Trotzdem war für sie klar: Einfach nur Mathematik oder Chemie zu studieren, das wäre für sie zu eindimensional gewesen.

Sie suchte ein Tätigkeitsfeld, das mehrere Disziplinen miteinander verbindet. „Einerseits, weil ich mich für viele wissenschaftliche Bereiche interessiere, andererseits wohl auch deshalb, weil ich kein besonders entscheidungsfreudiger Mensch bin und mich nicht auf einen ganz bestimmten Fachbereich festlegen wollte“, meint sie.

Und so entschied sich Rath für ein Studium der Werkstoffwissenschaften an der Montanuni in Leoben – ein Studium, dessen Inhalte von Chemie über Physik bis zur Mathematik reichen. Die Entscheidung war richtig: „In den Werkstoffwissenschaften habe ich mich immer sehr wohlgefühlt“, sagt Rath. „Mir hat ein Professor mal bei einer Prüfung gesagt: ,Es ist ein ganz bestimmter Typ Mensch, der Werkstoffwissenschaften studiert – nämlich die Leute, die immer nachfragen, die genauer wissen wollen, wie etwas funktioniert, auch wenn es vielleicht keine ganz einfache Erklärung gibt.‘ Das passt gut zu mir.“ Besonders spezialisierte sie sich schon im Studium auf Biomaterialien.

Außerdem sah Thaddäa Rath es als einen Vorteil, dass die Werkstoffwissenschaft noch nicht bis ins Detail „ausgeforscht“ ist, wie sie sagt: An aufregenden neuen Themen, über die sich bisher noch niemand besonders viele Gedanken gemacht hat, herrscht in dieser Forschungsdisziplin kein Mangel.

Ein alter Schrein und der Elefantenschutz
Ein solches Thema, das ihren weiteren Werdegang maßgeblich bestimmen sollte, ergab sich auf etwas ungewöhnliche Weise: In der Kirche von Mauerbach in Niederösterreich befand sich ein wertvoller Schrein aus dem 17. Jahrhundert. Dieser Schrein ist mit kleinen, filigranen Elfenbeinornamenten verziert, von denen manche im Lauf der Zeit verloren gegangen sind.

Das ist ein Problem, das sich bei der Restauration alter Kunstgegenstände immer wieder ergibt: Jahrhundertelang gehörte Elfenbein zu den beliebtesten Materialien im Kunsthandwerk, doch zum Schutz der Elefantenpopulationen wurde der internationale Handel mit Elfenbein im Jahr 1989 verboten. Möchte man also Elfenbeinteile alter Objekte restaurieren, muss man auf Ersatzmaterialien zurückgreifen. Manchmal wurden etwa Knochen, Muscheln oder bestimmte Kunststoffe verwendet, eine wirklich befriedigende Lösung gab es bisher allerdings nicht.

Da liegt natürlich die Frage nahe: Kann man diese Ornamente mit modernen Hightech-Methoden ersetzen? Gibt es einen Weg, diese Ornamente zu scannen und sie am 3D-Drucker nachzubauen – und zwar mit einem Material, das dem Original möglichst nahekommt?

Diese Forschungsfrage war wie geschaffen für das Team von Prof. Jürgen Stampfl am Institut für Werkstoff­wissenschaft und Werkstofftechnologie der TU Wien – dort hatte man nämlich bereits viel Erfahrung mit Materialien für die Zahntechnik gesammelt. Insofern war es naheliegend, statt Zahnersatz für Menschen nun auch einen Ersatz für Elefantenstoßzähne zu finden. Stampfl suchte also jemanden, um im Rahmen einer Dissertation diese Frage zu klären. Thaddäa Rath bewarb sich auf die Dissertationsstelle und war aufgrund ihrer Erfahrung in der Werkstoffwissenschaft eine ideale Kandidatin.

3D-Druck auf Weltklasseniveau
So ging sie im Jahr 2018 nach Wien, um an der TUW ihre Dissertation zu beginnen. „Für eine Steirerin ist das kein einfacher Schritt, da gibt es doch noch immer einiges an Vorurteilen“, erklärt sie schmunzelnd. „Ich dachte immer, Wien sei doch auch nur ein großes Graz. Heute denke ich eher: Graz ist ein kleines Wien.“

Das Forschungsteam, das sich an der TU Wien mit 3D-Druck beschäftigt, sorgt seit vielen Jahren immer wieder mit Innovationen in diesem Bereich für Aufsehen: Selbst winzige Objekte werden dort im Labor mit extrem hoher Auflösung hergestellt, 3D-Druck-Verfahren werden verbessert und für ganz bestimmte Materialien maßgeschneidert. Schon mehrere erfolgreiche Spin-off-Unternehmen gingen aus dieser Forschungsrichtung an der TU Wien hervor.

Das Institut für Werkstoffwissenschaft und Werkstofftechnologie ist an der Fakultät für Maschinenwesen und Betriebswissenschaften angesiedelt, eng kooperiert wird allerdings mit dem Institut für angewandte Synthese­chemie der TU Wien. So werden einerseits neue Materialien entwickelt, die sich im 3D-Drucker verarbeiten lassen, gleichzeitig wird das 3D-Druck-Verfahren technisch verbessert und die fertigen Materialien werden werkstoffwissenschaftlich untersucht – ein perfektes Arbeitsumfeld für eine Forscherin wie Thaddäa Rath, die interdisziplinäres Arbeiten liebt.

So sieht das Elfenbein-Imitat „Digory“ aus, das TUW-Studentin Thaddäa Rath mithilfe eines 3D-Druckers herstellt.

Schön, stabil, lichtdurchlässig
Auch wenn es in dieser Arbeitsgruppe bereits erste Vorarbeiten auf der Suche nach einem Elfenbein-Ersatzmaterial gegeben hat, war es eine sehr heraus­fordernde Aufgabe: „Wir mussten eine ganze Reihe von Anforderungen gleichzeitig erfüllen“, sagt Thaddäa Rath. „Das Material soll nicht nur wie Elfenbein aussehen, auch Festigkeit und Steifigkeit müssen stimmen, das Material soll zudem bearbeitbar sein.“

Durch zahlreiche Experimente gelang es Thaddäa Rath und anderen Mitgliedern des Teams, die passende Mischung zu finden: Winzige Kalziumphosphat-Partikel mit einem Durchmesser von etwa 7 µm wurden gemeinsam mit extrem feinem Siliziumoxidpulver in ein spezielles Harz eingebettet. Die Mischung wird dann bei großer Hitze in 3D-Druckern verarbeitet: Schicht für Schicht wird das Material jeweils an den gewünschten Stellen mit einem UV-Laser ausgehärtet, bis das vollständige Objekt fertig ist.

„Beachten muss man auch, dass ­Elfenbein lichtdurchlässig ist“, erklärt Rath. Damit das Material tatsächlich aussieht wie Elfenbein, muss es nicht nur dieselbe Farbe haben wie Elfenbein, es muss sich auch vom Licht auf dieselbe Weise durchdringen lassen. Diese Eigenschaft, die sogenannte „Transluzenz“, kann man erreichen, wenn man exakt den richtigen Anteil an Kalziumphosphat verwendet – das konnte Thaddäa Rath in zahlreichen Experimenten zeigen. Danach kann das Material dann noch
je nach Wunsch nachgebessert werden, je nachdem, wie das Elfenbeinstück aussieht, das man kopieren möchte. So kann man etwa die Farbe nachträglich nachbessern – gute Erfolge erzielte das Team mit schwarzem Tee. Auch die charakteristischen dunklen Linien, von denen Elfenbein normalerweise durchzogen ist, lassen sich nachträglich millimetergenau aufbringen.

Restaurierung und Schmuckdesign
Im Bereich der Restaurierung ist das ein großer Schritt nach vorne: Mit dem neuen Material, das den Namen „Digory“ bekam, steht nicht nur ein besserer, schönerer und leichter verarbeitbarer Ersatz für Elfenbein zur Verfügung als bisher, es hat zusätzlich auch noch den Vorteil, dass man nun durch die 3D-Druck-Technologie selbst feinste Details auf einfache Weise reproduzieren kann. Anstatt sie mühsam aus Elfenbein-Ersatzmaterial herauszuschnitzen, kann man Objekte nun innerhalb weniger Stunden ausdrucken.

Doch nicht nur für die Restaurierung alter Kunstgegenstände aus Elfenbein soll das neue Material verwendet werden. „Bald wurde uns klar, dass unser Material auch für das Schmuckdesign interessant ist“, sagt Thaddäa Rath. „Nachdem wir unsere Ergebnisse veröffentlicht hatten, kamen internationale Schmuckdesigner auf uns zu.“ Angesichts der großen ­Nachfrage beschloss Rath, den logischen nächsten Schritt zu wagen und ein Unternehmen zu gründen, um das Elfenbein-Ersatzmaterial weltweit anzubieten. So wurde das Start-up-Unternehmen „Eburo“ geboren. „Das ist Esperanto für Elfenbein“, erklärt sie.

Firmengründung und unternehmerische Selbstständigkeit waren kein vorgefasstes Ziel, kein großer Lebensplan, auf den Thaddäa Rath langfristig hingearbeitet hätte. Der „eine große Masterplan“ ist auch gar nicht ihr Stil. Viel lieber ist ihr die Strategie, sich mehrere Optionen offenzuhalten – und die Chancen dann mutig zu nützen, wo sie sich bieten.

Raths Firmengründung fiel zeitlich genau mit der Schlussphase ihrer Dissertation zusammen. Das war keine einfache Phase: „Beides gleichzeitig in Angriff zu nehmen – das kann ich nicht unbedingt empfehlen“, meint sie dazu heute. Aber aufzugeben war keine Option: „Ich bin vom Typ her darauf ausgerichtet, Dinge zu Ende zu bringen“, sagt Rath. „Wenn es nicht schnell geht, dann eben langsam und stetig. Aber irgendwann hat man es dann.“

So hatte sie schließlich immer wieder Erfolg – bei der Suche nach dem passenden Material, beim Fertigstellen ihrer Dissertation, beim Gründen ihrer Firma. Und mit derselben Strategie wird sie nun mit ihrem Team auch alles daransetzen, die neu gegründete Firma Eburo nach vorne zu bringen: Schritt für Schritt, mit solider Arbeit und Kreativität.

Mit Elfenbein-Ersatz wird begonnen – vielleicht kommen im Lauf der Zeit noch andere Werkstoffe hinzu. Ideen gibt es viele, einen starren Masterplan gibt es auch hier nicht. Thaddäa Rath bleibt ihrer Erfolgsstrategie treu: sich nicht festlegen lassen, sondern gute Ideen aus unterschiedlichen Bereichen optimal verbinden.

Und davon haben dann am Ende alle etwas: sie selbst, ihre Firma, die ­Geschäftskunden. Und natürlich
die Elefanten – die dürfen ihre Stoßzähne behalten.

Text: Florian Aigner