Wieland Kloimstein (M. R.), Eva Kelety (B. E.)

DAS GUTE LEBEN FÜR ALLE

30 Menschen unter 30 haben es in diese Ausgabe des TUW Magazine geschafft – Glückwunsch! Außer diesen 30 porträtierten Personen studieren und forschen natürlich noch wesentlich mehr Menschen an der TU Wien, die wir in unserer Kolumne würdigen wollen. Egal, ob diese (Nachwuchs-)Forscher*innen jünger oder älter als 30 Jahre sind, sie alle verbindet eine Frage: Welche Forschungslandschaft, welche akademische Kultur und Haltung braucht es, um in ihr nicht nur zu bestehen, sondern auch gut arbeiten, leben und sich entfalten zu können? Bereits griechische Philosoph*innen haben sich mit dieser Kernfrage der Ethik beschäftigt: Was ist das gute Leben?

Text: tuw.media-Redaktion Foto: Wieland Kloimstein (M. R.), Eva Kelety (B. E.)

Die Forscher*innen der TU Wien sind motiviert, engagiert und wissbegierig. Sie sind talentiert, ­arbeiten hart und leisten Herausragendes – wie man nicht zuletzt in diesem Magazin sieht. Als neu gegründeter Fachbereich Responsible Research Practices unterstützen wir die TUW-Forschungscommunity in ihrem Bestreben nach Exzellenz – und zwar nicht nur in Fragen der Forschungsethik und wissenschaftlichen Integrität, sondern auch in der Frage, wie die Zukunft des (guten) akademischen Lebens aussehen kann. Gerade junge Forscher*innen müssen einiges gleichzeitig bewerkstelligen: Der Beginn einer akademischen Karriere bedeutet häufig Unsicherheit, viele Erwartungen wie hohe Flexibilität oder Wohnortveränderungen, gleichzeitig soll man einen hohen Output in puncto Kreativität und Publikationen nachweisen. Zur selben Zeit wollen Forscher*innen vielleicht auch eine Familie gründen und eine gewisse Sicherheit haben. Die vielen Unsicherheiten, die ein Weg in die Wissenschaft bedingt, benötigen ein hohes Ausmaß an Kraft und Resilienz.

Für eine erfolgreiche Karriere braucht es nicht nur individuelles Durchhalten, sondern auch ein geeignetes Umfeld – ein kollegiales, inklusives und offenes Arbeitsumfeld, gegenseitigen Respekt, wohlwollendes Mentoring und vieles mehr. Und es braucht ein Umfeld frei von Rassismus, Sexismus, sexueller Belästigung etc.; Diskriminierung und Ausgrenzung sollten in unserer Gesellschaft nirgends einen Platz haben, auch nicht in der Forschungscommunity.

Abseits von direkter oder indirekter Diskriminierung gibt es noch weitere Situationen, die ­Forscher*innen daran hindern, über ihre eigene ­Forschung nachzudenken – etwa, wenn Forsch­er*innen (insbesondere Nachwuchswissenschaftler*innen) Energie dafür aufwenden müssen, Unstimmigkeiten in puncto Zusammenarbeit oder Publikationen zu lösen. Im hochgradig kompetitiven Feld der Wissenschaft ist Zusammenarbeit ebenso notwendig wie die ­Kompetenz, das richtige Maß an Vertrauen zu finden. Wie viel Vertrauen ist notwendig, um miteinander ­arbeiten zu können? Was tun, wenn das, was eigentlich ausgemacht war, nun plötzlich nicht mehr gilt? Wie viel Wettbewerb spornt Wissenschaftler*innen an und ab wann wirkt er sich negativ aus? Alle Wissenschaftler*innen lernen früher oder später, zwischen diesen Anforderungen zu navigieren; ein Aspekt auch persönlichen Wachstums.

Die Frage einer unterstützenden Forschungslandschaft – und damit auch jene nach einem guten Leben für alle – stellen wir uns nicht nur an der TU Wien, sondern sie wird schon lange in der Forschungscommunity diskutiert. EU-Rahmenforschungsprogramme (aktuell: Horizon Europe) sorgen dafür, dass unser Blick vorwärts gerichtet ist. Durch diese ­Programme wurden zuletzt beispielsweise Themen wie Forschungsethik, Forschungsdatenmanagement oder Gender in der Forschung von Forscher*innen eingefordert und an Universitäten implementiert. Aktuell ist europäischen Universitäten empfohlen, einen sogenannten „Research Integrity Promotion Plan“ (RIPP) auszuarbeiten – im Fachbereich Responsible Research Practices haben wir diese Arbeit bereits aufgenommen. Was hat ein RIPP nun mit (Nachwuchs-)Forscher*innen und dem guten Leben für alle zu tun?

Ein RIPP zielt wenig überraschend vorrangig auf eine Kultur der wissenschaftlichen Integrität ab. Verantwortungsvolle Forschungspraktiken sollen gefördert, das Risiko von Verstößen gegen die Integrität soll möglichst minimiert werden. Der RIPP einer Universität soll insbesondere konkret beschreiben, wie die Universität beispielsweise verantwortungsvolles Forschen fördert. Die Europäische Kommission listet neun Themen auf, die ein RIPP abdecken soll, beispielsweise Strukturen für Forschungsethik, Wissenschaftliche-Integrität-Trainings oder Datenmanagement.

Was ist das gute Leben?

Marjo Rauhala und Bettina Enzenhofer, TU Wien-Mitarbeiterinnen des Fachbereichs Responsible Research Practices.

In dieser Kolumne fokussieren wir auf das Thema Forschungslandschaft – auch ein Thema des RIPP. „Eine Universität muss ein unterstützendes Umfeld schaffen“, heißt es in der Beschreibung. Und weiter: „Hyper-Wettbewerb, schädlicher Publikationsdruck, nachteilige Machtungleichgewichte und ­Konflikte sollen angesprochen und angemessen behandelt werden. Faire, transparente und verantwortungsbewusste Richtlinien für die Beurteilung, Ernennung und Förderung von Forscher*innen müssen vorhanden sein. Diversität und Inklusion müssen aktiv gefördert werden. Kollegialität, Offenheit, Reflexion und gemeinsame Verantwortung sind wesentliche Elemente eines Arbeitsumfelds, in dem das Risiko von großen und kleineren Verstößen gegen die ­wissenschaftliche Integrität minimiert wird.“

Klingt unrealistisch? An der TU Wien gibt es bereits viele Aktivitäten zu diesem Thema, wir müssen die jeweiligen Arbeitsgruppen, Richtlinien und gelebten Praxen nun noch bekannter machen. Als neu implementierter Fachbereich Responsible Research Practices nehmen wir diese Herausforderung ernst. Auch die TU Vision Group steht in diesem Studienjahr unter dem Motto „Universität leben“. Vielleicht haben Sie auch Ideen?

Gemeinsam können wir dazu beitragen, ein un­terstützendes Arbeitsumfeld zu schaffen. Für alle – egal, ob unter oder über 30.

Marjo Rauhala (Leitung) und Bettina Enzenhofer arbeiten an der TU Wien im Fachbereich Responsible Research Practices. Angesiedelt im Vizerektorat Forschung und Innovation (VR Johannes Fröhlich) berät der Fachbereich seit 1. April 2022 das Rektorat und Wissenschaftler*innen der TU Wien in allen Fragen rund um verantwortungsvolle Forschung.

Text: Marjo Rauhala und Bettina Enzenhofer