Raphaela Wutte

AUF DER SUCHE: „THEORY OF EVERYTHING"

Raphaela Wutte, Doktorandin für theoretische Physik an der Technischen Universität Wien, ist in Völkermarkt, Kärnten, aufgewachsen. Nach der Matura kam sie nach Wien, um Physik zu studieren. Der Grund: die Erklärung der Welt. „Alles ist Physik“, sagt Wutte. Sie ist eine Wissenschaft, in der man sehr genau sagen kann, ob etwas richtig oder falsch ist, was Wutte besonders wichtig findet, und die Antworten werden im Idealfall von der Natur gegeben. „Es gibt eine mathematisch exakte Beschreibung, und man kann sie überprüfen“, so Wutte.“

Text: Ekin Deniz Dere Foto: Raphaela Wutte

Die junge Physikerin ist auf das Thema Gravitation spezialisiert und arbeitet mit schwarzen Löchern, den Extremfällen aller von Physiker*innen untersuchten Phänomene. Sie meint, es sei eine sehr aufregende Zeit, auf diesem Gebiet zu arbeiten, und erklärt den Grund dafür folgendermaßen: Die Existenz schwarzer Löcher wurde vor etwa 100 Jahren theoretisch vorhergesagt, ohne die Möglichkeit, diese zu beobachten und experimentelle Beweise aus der Natur selbst zu sammeln. Jetzt, da man es kann, erwarten nicht nur Wissenschaftler*innen spannende Tage, sondern auch alle, die neugierig auf unsere Realität sind. Entsprechend der Bedeutung dieser neuen Entwicklungen wurde 2017 der Nobelpreis für die Entdeckung der Gravitationswellen (Wellen in der Raumzeit, also dem „Gewebe“ des Universums, die durch massive Objekte verursacht werden, die sich mit extremen Beschleunigungen bewegen) und 2020 der Nobelpreis für die Entdeckung eines supermassiven kompakten Objekts im Zentrum unserer Galaxie vergeben. „Es ist eine spannende Zeit, um an diesen Themen zu arbeiten, weil viele Ergebnisse experimentell überprüft werden können, die Theoretiker*innen schon lange voraussagten“, sagt sie.

Der Bereich der Gravitation als Studie über die grundlegende Wechselwirkung, die eine gegenseitige Anziehung zwischen allem mit Masse oder Energie verursacht, ist ein riesiger Bereich, der viele verschiedene Richtungen einschließt. Wutte inte­ressieren schwarze Löcher besonders, ihre Eigenschaften und die Energie ihres Gravitationsfelds
(das Gravitationsfeld ist ein Modell zur Erklärung der Einflüsse, die ein massiver Körper auf den ihn umgebenden Raum ausübt, Anm). Wichtige Fragen dabei sind unter anderem: Was sind die Eigenschaften der Energie des Gravitationsfelds? Wie kann sie definiert werden? Ist sie positiv oder nicht? „Und das ist natürlich enorm spannend, denn es gibt noch viele offene Fragen zu diesen Themen“, so Wutte. „Es ist auch ein interessantes Gebiet, auf dem Physik und Mathematik zusammenkommen.“

Wutte ist also eine von vielen Wissenschaftler*innen, die versuchen, sich ein einheitliches Bild des Universums zu machen: „Während meiner Doktorarbeit habe ich auch an einer Theorie der Quantengravitation gearbeitet, die im Grunde genommen eine Theorie von allem ist“, sagt sie. „Bei dem Versuch, Quantenmechanik mit der allgemeinen Relativitätstheorie zu vereinheitlichen, arbeite ich mit einer bestimmten Korrespodenz, die AdS/CFT (anti-­de Sitter/conformal field theory correspondence, Anm.) genannt wird. Das ist eine Korrespondenz, die aus der Stringtheorie hervorgegangen ist, und die Korrespondenz wird immer noch am besten verstanden im Kontext der Stringtheorie.

Was genau versuchen Physiker*innen also zu vereinheitlichen? Auf der einen Seite steht die allgemeine Relativitätstheorie, eine sehr einflussreiche Theorie, die von Albert Einstein zwischen 1907 und 1915 entwickelt wurde; sie stellt kritisch fest, dass die beobachtete Gravitationswirkung zwischen Massen aus ihrer Verformung der Raumzeit resultiert. Dies kann das Verhalten von sehr großen Objekten wie Planeten erklären. Anderer­seits ist die Quanten­mechanik eine fundamentale Theorie der Physik, die die physikalischen Eigenschaften der Natur auf der Ebene der Atome und subatoma­ren Teilchen beschreibt und somit das Verhalten von sehr kleinen Dingen erklären kann. Es gibt Situationen, in denen sowohl die allgemeine Relativitätstheorie, als auch die Quantenmechanik eine Rolle spielen: z.B. Schwarze Löcher, in welchen ungeheure Massen auf sehr kleinen Raum konzentriert sind. Deshalb sollten Wissenschaftler*innen in der Lage sein, diese beiden Aspekte mit einer vereinheitlichten Theorie zu beschreiben.

Es gibt verschiedene Ansätze für eine vereinheitlichte Theorie, unter denen sich auch die berühmte Stringtheorie einreiht, und die AdS/CFT Korrespondenz kann der Stringtheorie zugeordnet werden. Bei AdS/CFT handelt es sich um eine Beschreibung der Quantengravitation auf negativ gekrümmte Räumen in Form bestimmter Quantenfeldtheorien. Es ist also eine vermutete Beziehung zwischen zwei Arten von physikalischen Theorien: Anti-de-Sitter-Räume (AdS), die in Theorien der Quantengravitation verwendet werden, und konforme Feldtheorien (CFT) als Quantenfeldtheorien, die Elementarteilchen beschreiben. Diese Korrespondenz war in den letzten 20 Jahren sehr erfolgreich; das ist auch ein Grund, warum Wutte während ihres PhD auch daran gearbeitet hat. Zum Beispiel, eine Frage, die sie dabei stellt, ist: Wenn man bestimmte Theoreme aus der allgemeinen Relativitätstheorie nimmt, welche Einschränkungen ergeben sich daraus für diese Korrespondenz?

Es freut einen sehr, dass theoretische Konzepte tatsächlich gemessen wurden und dass man diese unglaublichen Vorhersagen hat, die Jahr-zehnte oder 100 Jahre zurückreichen.

Raphaela Wutte, Doktorandin der TU Wien für theoretische Physik

Doch das Problem ist, dass man diese Theorien, die versuchen, die Quantenmechanik und die allgemeine Relativitätstheorie zu vereinheitlichen, derzeit nicht testen kann, da man keinen Zugang zu den erforderlichen Energieskalen hat. „Das Problem besteht darin, dass es eine Reihe von Theorien gibt, die für eine Theorie der Quantengravitation infrage kommen, wie zum Beispiel die Stringtheorie“, erklärt Wutte, „aber es ist nicht klar, welche dieser Theorien tatsächlich die richtige Beschreibung der Natur ist.“ Aber es gibt auch Positives zu berichten: „Man kann die Quantenfeldtheorie auf gekrümmten Raumzeiten genau untersuchen, und damit erhält man bereits Vorhersagen wie die Hawking-Temperatur“, so Wutte weiter. Und genau hier kommen die interessantesten Objekte in unserem Universum ins Spiel: schwarze Löcher. Die Hawking-Temperatur besagt, dass Wärmestrahlung aufgrund relativistischer Quanteneffekte außerhalb des Ereignishorizonts eines schwarzen Lochs freigesetzt werden sollte. Für Wutte sind schwarze Löcher spannend, weil sie Extremsituationen darstellen, die durch den Kollaps eines massereichen Sterns entstehen: „Die gesamte Materie beginnt zu einem schwarzen Loch zu kollabieren, und es ist eine extreme Situation, in der die Krümmung enorm stark wird.” Wutte erklärt weiter: „Wenn man sich einem Schwarzen Loch immer weiter nähert und eine bestimmte Distanz unterschreitet, kann man nicht mehr entkommen, weil sich nichts schneller als mit Lichtgeschwindigkeit fortbewegen kann und selbst Licht nicht mehr dem Gravitationssog des Schwarzen Lochs entkommt.” Schwarze Löcher zeigen also die Auswirkungen sowohl der allgemeinen Relativitätstheorie als auch der Quantenmechanik, was sie zu einem Lieblingsspielzeug der Physiker*innen macht.

„Es ist sehr befriedigend, diese Dinge zu sehen, vor allem, wenn du ein/e Theoretiker*in bist“, meint Wutte. „Es freut einen sehr, dass theoretische Konzepte tatsächlich gemessen wurden und dass man diese unglaublichen Vorhersagen hat, die Jahrzehnte oder 100 Jahre zurückreichen.“

Wutte ist jetzt 28 Jahre alt und wird im Juli ihren Doktortitel in theoretischer Physik abschließen und als Postdoc an die Universität Brüssel wechseln. Was sie an der akademischen Welt besonders fasziniert, ist die Gemeinschaft: „Es ist enorm befriedigend auf einem Gebiet zu arbeiten, auf dem es so kluge und leidenschaftliche Leute gibt”, sagt Wutte „Oft ist man so begeistert von einem Problem, dass man sich selbst am Abend nicht losreißen kann und noch mit Kolleg*innen diskutiert.“

Raphaela Wutte ist theoretische Physikerin an der Technischen Universität Wien. Sie hielt Vorträge bei zahlreichen Konferenzen und Seminaren und erhielt zahlreiche Preise und Stipendien, darunter: DOC Stipendium der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Christiana Hörbiger Stipendium.