Er war ein Teenager wie viele andere, sportbegeistert und ehrgeizig. Mit 17 Jahren passierte das Unvorstellbare: Bei einem einfachen Kopfsprung ins Wasser brach sich Andreas Ernhofer drei Halswirbel und wäre fast ertrunken. Das Leben gerettet haben ihm seine Freunde, die bemerkten, dass er nicht mehr auftauchte, und ihn aus dem Wasser holten. Nach einer Notoperation eröffnete ihm der behandelnde Arzt, dass er unwiederbringlich ab dem Bereich der Brust gelähmt sei. Sogar banale und wenig geliebte Tätigkeiten wie das Zähneputzen musste jemand anderer für ihn übernehmen. Er, begeistertes Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr mit dem Berufswunsch Hubschraubernotarzt, war plötzlich selbst zum Notfall geworden – und auf jene Hilfe angewiesen, die er eigentlich anderen geben wollte. Heute jedoch gehört Ernhofer zu den besten zehn Paraschwimmern der Welt.
Gemeinschaft
Ernhofer erzählt im Gespräch, wie wichtig Gemeinschaft für ihn ist. Prägend sei es gewesen, zu sehen, dass seine Freunde von der Freiwilligen Feuerwehr nach seinem Unfall zu ihm standen und immer da waren, wenn er sie brauchte. Für ihn sind sie wie eine zweite Familie – er weiß, dass er bei ihnen immer ein offenes Ohr und Hilfe findet. Stolz ist Ernhofer darauf, dass er heute stellvertretender Leiter des Verwaltungsdiensts bei der Feuerwehr in Deutsch-Wagram (NÖ) ist. Seine Vorstellungen von Gemeinschaft und Zusammenhalt sind tief verwurzelt; er ist fest davon überzeugt, dass die Menschheit viel weiter wäre, wenn sie auf Gemeinschaft und Zusammenhalt anstatt auf kriegerische Auseinandersetzungen bauen würde.
Die Betonung der Gemeinschaft scheint einer der Schlüssel zu Ernhofers Erfolg zu sein – immer wieder kommt er im Gespräch darauf zurück, dass man gemeinsam viel weiter komme als alleine. Gemeinschaft ist wohl eine Grundlage für die mentale Kraft dieses Mannes.
Ich bin im Bonusleben – Und das möchte ich auf keinen Fall verplempern, indem ich mich über Unnötiges ärgere.
Andreas Ehrenhofer, Paraschwimmer
Die sportlichen Erfolge
Nach seinem Unfall legte Ernhofer in rasendem Tempo eine Karriere als Sportler hin – davor aber bedurfte es enormer Anstrengungen, die einen ersten Vorgeschmack auf seine beeindruckende Willenskraft gaben: Nach wochenlangem Training schaffte er es, wieder seine Arme zu bewegen, und war schließlich in der Lage, sich ohne fremde Hilfe die Zähne zu putzen; somit widerlegte er die Prognose seines Arztes. Das war nur der Anfang einer Serie von Überraschungen. Zur Rekapitulation: Ernhofer erlitt seinen Unfall im Sommer 2014, zwei Jahre später sprang er wieder ins Wasser – diesmal aber sollte er als Profischwimmer auftauchen. Sein Ziel war es, bester Paraschwimmer Österreichs zu werden. Erreicht hat er dieses Ziel schnell: Seit 2017 ist Ernhofer Österreichischer Staatsmeister in 50 m Brust. Seitdem holte er bei der Para Swimming World Series zweimal Gold, dreimal Silber und fünfmal Bronze; bei den Paralympics 2021 in Tokio belegte er den achten Platz beim Wettbewerb über 50 m Brust. Heute hält Ernhofer 19 österreichische Rekorde und gehört seit 2018 zu den zehn besten Paraschwimmern der Welt. Sein sportliches Ziel? Der schnellste Paraschwimmer der Welt zu werden. Als er dieses Ziel erstmals formulierte, wurde er noch belächelt. Heute aber ist er nur noch einen Platz davon entfernt – denn bei der Weltmeisterschaft auf Madeira im Juni 2022 errang er bereits den spektakulären zweiten Platz.
Ernhofers Geheimwaffe: mentale Stärke
„Ich bin im Bonusleben, denn am Unfalltag wäre ich fast gestorben“, sagt Ernhofer. Ihm ist bewusst, dass sein Leben ein Geschenk ist und dass es jederzeit vorbei sein kann. Er möchte seine Zeit nicht damit verbringen, sich über Unnötiges zu ärgern, etwa über Stau auf der Autobahn. Er sagt: „Ich fokussiere mich auf Dinge, die mich motivieren. Ich muss auch Geld verdienen und Miete zahlen, aber ich mache das mit einer ganz anderen Einstellung.“ Er hat bemerkt, dass die meisten Menschen durchs Leben gehen und nicht darüber nachdenken, was sie tun, und er möchte seine Erfahrungen weitergeben.
Ernhofer hat auch verstanden, dass nur er selbst daran arbeiten kann, Dinge zu verbessern – niemand anderer konnte für ihn die „Höchstleistung“ erbringen, den Finger oder die Hand zu heben. Er sagt: „Es war meine Entscheidung, ob ich im Pflegebett liegen bleibe oder rauskomme.“ Und weiter: „Du musst immer dein eigener Motivator sein – den anderen ist es egal, ob du der beste Schwimmer der Welt wirst.“
Ernhofer hält mentales Training für unterschätzt. Erfolgreich wurde er im Schwimmen nicht nur durch den Aufbau von Muskeln und die Schwimmtechnik. „Die dritte Komponente ist der Kopf“, so Ernhofer. Einen gewissen Startvorteil hat der Schwimmer durch seine Mutter, die Sportpsychologin und Mentaltrainerin ist. Ihre Unterstützung hat ihm nach dem Beginn seiner Profikarriere sehr geholfen – als Kind und Jugendlicher machte er einen großen Bogen um die Tipps der Mutter, da er, wie er lachend erzählt, überzeugt davon war, bereits ein Superstar zu sein.
Irgendwann erkannte Ernhofer, dass Mentaltraining nicht nur für den Sport sinnvoll ist, sondern es sich auch für alle anderen Lebensbereiche wie etwa das Studium einsetzen lässt: „Der Kopf ist immer die Steuerzentrale.“ Ernhofer studiert Medizinische Informatik an der TU Wien und steht kurz vor dem Bachelorabschluss. Es ist ein Studium, bei dem er sein Interesse für Medizin mit jenem für Informatik verbindet und bei dem er – das zu betonen ist ihm wichtig – er gleich gut wie jeder andere Mensch ohne Behinderung sein kann.
Mentaltraining – drei Tipps von Andreas Ernhofer
Ärger? Nein, danke! Das Leben ist zu kurz dafür.
Erfolge und schöne Dinge feiern – gerne auch ein zweites oder drittes Mal.
Unangenehme Aufgaben annehmen und sich eine Belohnung für danach vornehmen: So steht die Vorfreude im Vordergrund.
Text: Edith Wildmann
Fotos: Ernhofer