David Visnjic

„30 UNDER 30" AUCH ÜBER 30: DIE EVOLUTION VON FÄHIGKEITEN

Mit dem Alter wächst die Verantwortung für andere. Damit einher geht eine Evolution der eigenen Fähigkeiten und des Mindsets, die es besonders für Führungskarrieren zu kultivieren gilt. Denn wer Großes schaffen will, benötigt neben den eigenen Ideen auch eine für die anderen verständliche Vision – und möglichst viele Mitstreiter*innen, die koordiniert am gleichen Strang ziehen.

Text: tuw.media-Redaktion Foto: David Visnjic

Wenn die „30 ­under 30“ langfristig die ­Zukunft gestalten möchten, werden sie auch über 30 Leadership-qualitäten zeigen müssen, um andere auf dem Weg mitzunehmen. Dazu benötigen sie in vielen Fällen andere Fähigkeiten und ein anderes Mindset, als es für Fachexpert*innen notwendig ist. Während Fachexpert*innen im beruflichen Alltag tief in die Details eines Spezialgebiets eindringen müssen, um Themen in aller Komplexität zu verstehen, sind Manager*innen herausgefordert, bewusst Komplexität zu reduzieren, um handlungs- und entscheidungsfähig zu bleiben. Der Blick muss auf den wettbewerbs­entscheidenden Variablen bleiben (z. B. Trends und Marktveränderungen, Mitarbeiter*innen, Geschäftsprozesse, Kund*innen, Wettbewerber*innen oder Technologien), d. h., der Überblick ist entscheidend.

Je größer die Organisation ist und je globaler und diversifizierter sie agiert, desto herausfordernder wird die Selektion der potenziell relevanten Faktoren, die noch dazu in vielfältigen dynamischen Interaktionen zueinander stehen. Verstärkt wird die Komplexität zudem durch den Umstand, dass Wettbewerbsvorteile durch Einzigartigkeit entstehen, d. h., dass es einem Unternehmen gelingt, eine Leistung zu erbringen, die andere in dieser Form kaum imitieren können (z. B. das App-Store-Eco-System von Apple, die Markenführung von KTM, das E-Mobility-Feuerwehrfahrzeug von Rosenbauer). Der Vorsprung im Wettbewerb bedingt deshalb das ständige Streben nach Innovationssprüngen, um führende Marktpositionen zu erreichen.

Fachexpert*innen stehen deshalb mit der Über­nahme von Führungsverantwortung vor der Herausforderung, dass sie ihre Fähigkeiten erweitern und ihr Mindset transformieren müssen, um den Anforderungen einer verstärkten Außenwirkung gerecht zu werden. Sie müssen zunehmend andere Personen für ihre Ideen gewinnen können und sie auf ihr Zielsystem ausrichten. Aus der Tiefe der fachlichen Exzellenz verlagert sich deshalb der Schwerpunkt ihres Agierens auf Mana­gement und Leadership. Sie müssen methodische Managementfähigkeiten für Planung, Organisation und Kontrolle sowie für Kommunikation, Koordination und Entscheidung entwickeln und diesen Themen ausreichend Zeit und Aufmerksamkeit widmen.

Managementfähigkeiten sind im Kern unabhängig vom Fachgebiet, denn Technologien müssen in der Flugzeugbaubranche genauso geplant, deren Einsatz organisiert und die Ergebnisse der Anwendung kontrolliert werden, wie dies im Softwareentwicklungssektor der Fall ist. Mit der Übernahme von Führungsverantwortung bzw. mit den ersten Mitarbeiter*innen, die eingestellt werden, um eine Idee in die Welt zu tragen, steigt die Bedeutung sozialer Fähigkeiten sprunghaft an. Mitarbeiter*innen müssen gewonnen, inte­griert, sinnvoll ausgerichtet oder entwickelt werden, um als Team die gesetzten Ziele zu erreichen. Neben Empathie hilft Wissen über Persönlichkeitscharakteristika, Gruppendynamik und Kommunikationsformen. Entscheidungsheuristiken dienen als Basis, um die soziale Dimension der Führung gut bewältigen zu können. Die Kombination aus fachlichen und methodischen Fähigkeiten sowie die Nutzung der sozialen Fähigkeiten zur Integration der Mitarbeiter*innen in die Organisation sollte den Erfolg im Kerngeschäft sichern.

Für die langfristige Gestaltung der Zukunft wird dieses Zusammenspiel an unterschiedlichen fachlichen, methodischen und sozialen Fähigkeiten nicht ausreichen. Führungskräfte sind laufend gefordert, auf neue Technologien oder Geschäftsmodelle durch Konkurrent*innen zu reagieren und überraschende Krisen zu bewältigen.

Zudem sollten sie proaktiv nach neuen Marktchancen Ausschau halten, um zu verhindern, dass die Konkurrenz diese Felder schneller besetzt. Je geschickter ein Unternehmen die Weiterentwicklung in allen Unternehmensteilen fördert, desto effektiver wird es im Markt agieren können. Führungskräfte sind der Schlüssel, um Unternehmen in die Zukunft zu führen, indem sie kontinuierlich die operativen und strategischen Rahmenbedingungen zwecks Steigerung der Wettbewerbswirkung verbessern (z. B. Prozesse effizienter gestalten, neue Technologien einsetzen oder Innovationen vorantreiben). Hierfür sind strategisch-konzeptionelle Fähigkeiten sowie ein passendes Mindset unumgänglich. Sie ermöglichen den Blick über den Tellerrand des operativen Geschäfts, mutige Entscheidungsfindung für Innovationen und Optimierungen sowie deren konsequente Umsetzung, um im Wettbewerb führend zu agieren.

Strategisch-konzeptio­nelle Fähigkeiten helfen, Komplexität zu reduzieren, sich ein möglichst stimmiges bzw. brauchbares Bild der Zukunftsherausforderungen zu machen und gleichzeitig sinnstiftend Entscheidungen kommunizieren zu ­können. Die Bewältigung der Corona­­krise in den ersten Tagen des Lockdowns musste genauso geplant werden wie die Rückkehr aus dem Homeoffice, ein Change-Prozess im Rahmen der digitalen Evolution oder – viel simpler, aber dennoch heikel – die Neuordnung der Aufgabenverteilung im Team oder die Vorbereitung einer Teamklausur.

Die Aktivierung strategisch-konzeptioneller Fähigkeiten hängt vom Mindset und vom Selbstverständnis der Führungkraft ab; und davon, wie viel Zeit und Aufmerksamkeit etwa Zukunftsthemen gewidmet wird. Dazu können idealtypisch drei Führungsidentitäten unter­schieden werden:

Der „Fachexperte in einer Führungsrolle“ widmet sich als Führungskraft vor allem den fachlichen Herausforderungen, wodurch die Mitarbeiter*innen wenig Bindung zum Team entwickeln. Sie sind daher etwas orientierungslos in der Zusammenarbeit und ein nur vages Verständnis für die Unternehmensziele wird aufgebaut. Zudem ist die Gefahr groß, dass Konflikte entstehen, da ein gemeinsames Grundverständnis für die Form der Zusammenarbeit fehlen wird.

Agiert die Führungskraft als „Manager*in“, rücken die operativen Aktivitäten der Gegenwart ins Zentrum der Aufmerksamkeit und werden gut geplant, organisiert und kontrolliert ablaufen. In stabilen Umfeldern wäre dies ausreichend, um auf Dauer erfolgreich agieren zu können – turbulente Entwicklungen in Märkten und die Dynamik des Wettbewerbs erfordern aber ein zukunftsorientiertes Handeln.

„Visionäre Führungskräfte“ entwickeln deshalb ihre Unternehmen, Non-Profit-Organisationen bzw. Verantwortungsbereiche auf unteren Ebenen besonders gut weiter, da sie Zeit und Aufmerksamkeit den Entwicklungen auch in ferneren Umfeldern widmen, eigene Visionen oder Zielbilder formulieren und kommunizieren können, die andere inspirieren und mitnehmen, sowie konsequent an der Umsetzung ihrer Vorstellungen arbeiten. Im Selbstverständnis sind sie dafür verantwortlich, dass sie weit über das Bestehende hinausgehen und andere auf diese Reise mitnehmen können.

Während Fähigkeiten kognitiv erlernt werden können, ist eine Veränderung des Mindsets viel herausfordernder, da sie nicht angeordnet werden kann. Nur Reflexions­prozesse, vielfach einge­bettet in den Erfahrungsaustausch mit anderen Personen oder über Coaching, dienen dazu, dass sich die Identität von der Fachkraft zum/zur Manager*in und dann zur visionären Führungskraft ändert.

Wolfgang H. Güttel leitet die TU Wien Academy for Continuing Education, die alle Themen rund um postgraduale Weiterbildung an der Hochschule betreut. In seiner Kolumne für dieses Magazin schreibt er über das richtige Mindse für erfolgreiches Leadership.

In diesem Sinne wünsche ich den „30 Under 30“, dass sie auch über 30 als Trieb­feder der Entwicklung in ihren Verantwortungsbereichen agieren und ­möglichst viele auf ­spannende Reisen in die Zukunft mitnehmen können.

Text: Wolfgang H. Güttel